Kapitel 5

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Kapitel 5 

 Es gab wenige Momente, in denen Hermine eine so tiefe Dankbarkeit für ihre magischen Fähigkeiten empfand wie in diesem. Nachdem sich der Ekel, der ihr aus Snapes Erinnerung gefolgt war, wieder gelegt hatte, beseitigte sie ihr Erbrochenes mit einem Wink ihres Zauberstabs und legte einen Frischluftzauber über das Zimmer. Sie stellte ihre kribbelnden Beine auf den Boden und schloss die Augen, als sie sich nach vorn lehnte und die Ellbogen auf ihren Knien abstützte. Vergrub das Gesicht in ihren zitternden Händen. Nach ein paar tiefen Atemzügen beruhigte sich ihr Magen, dafür stiegen ihr Tränen in die Augen. 

 Was Snapes Eltern ihm angetan hatten, machte sie so unbeschreiblich wütend, dass sie gern irgendetwas an die Wand geworfen hätte. Sie fühlte sich so hilflos. Als hätte sie beobachten müssen, wie jetzt gerade einem Kind so etwas angetan wurde, ohne dass sie hatte eingreifen dürfen. Ihr Körper summte von dem Bedürfnis, es zu verhindern. 

 Aber es war längst geschehen. Und niemand hatte ihm geholfen. 

 Ihr schien ihr Körper zu klein für all die Emotionen, die sich gerade darin aufbauten. Sie stand auf und lief mit in die Seiten gestemmten Händen ein paar Runden durch das Zimmer. Schließlich stützte sie sich am Fußende von Snapes Bett auf, senkte den Kopf zwischen die Schultern und schloss die Augen. Das Blut rauschte in ihren Ohren und ein Echo des Ekels ließ sie schaudern. Sie stieß einen lauten Schrei aus. 

 Es wunderte sie nun gar nicht mehr, dass Snape so heftig auf die Ernährungszauber reagiert hatte. Stattdessen fragte sie sich, wie oft ihre Kollegen versucht hatten, ihm damit die Nährstoffe zukommen zu lassen, die sein Körper brauchte. Wie oft hatten sie ihn in diesen Moment seiner Kindheit zurückversetzt, ohne zu ahnen, was sie ihm antaten? 

 Als es an der Tür klopfte, richtete Hermine sich gerade wieder auf und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ja?", sagte sie mit erstickter Stimme und war sich einen Moment lang nicht mal sicher, ob man sie überhaupt gehört hatte. Doch die Tür öffnete sich und zu ihrer großen Erleichterung war es Professor McGonagall, die hereinkam. Nur Professor McGonagall. Nicht Suzie, nicht Heilerin Strout, niemand, der diesen unsäglichen Zauber an Snape ausgeübt hatte. Nur Professor McGonagall. 

 Dafür ließ der Anblick ihrer ehemaligen Hauslehrerin und die damit verbundene Erleichterung sie nun endgültig in Tränen ausbrechen. „Was ist los?", fragte Professor McGonagall sofort alarmiert. „Ist etwas mit Severus? Geht es ihm schlechter?" 

 Hermine schüttelte den Kopf, aber sie schaffte es nicht, Worte an den Tränen vorbei zu sprechen. Sie presste sich eine Hand auf den Mund und versuchte, ihre Emotionen wieder in den Griff zu bekommen. Professor McGonagall berührte ihre Schulter, was von ihr eine so umsorgende Geste war, dass Hermine nur noch mehr weinte. Wieder stemmte sie sich die freie Hand in die Seite, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte gegen die weiße Decke. Sie versuchte, an etwas anderes als das vor Zorn verzerrte Gesicht von Tobias Snape zu denken, an etwas anderes als den gewaltigen Stein in Snapes Magen. Aber es war, als wenn ihr jemand befohlen hätte, nicht an rosa Elefanten zu denken. 

 Schließlich drehte Professor McGonagall sie zu sich herum. „Schauen Sie mich an, Miss Granger!", befahl sie ihr mit fester Stimme. Hermine tat es. „Es sind nur Tränen." 

 Diese Ansicht konnte Hermine nicht so richtig teilen. Sie biss sich auf die Unterlippe und stieß immer wieder mit ihrer Fußspitze auf den Boden. Diese Unbeherrschtheit war für sie kaum auszuhalten; sie hatte ihre Gefühle zwar schon immer schlecht vor anderen verbergen können, aber jetzt gerade mischte sich die Hilflosigkeit von Snapes Erinnerung in ihr eigenes Erleben. Sie fühlte sich gefangen in den Reaktionen ihres Körpers. 

Medicus IIIWhere stories live. Discover now