Kapitel 47

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Kapitel 47

Um sich der letzten und – wie Hermine vermutete – für ihn schlimmsten Erinnerung zu stellen, hatte sie Severus gebeten, das Wohnzimmer so einzurichten, dass er sich wohl fühlte. Er hatte sie daraufhin befremdlich angeguckt und es genau so gemacht, wie all die Male zuvor: Feuer im Kamin und zwei Gläser Wasser auf dem kleinen Tisch zwischen ihnen. Das einzige, was dieses Mal anders war, waren die Gardinen, die er zuzog. Es wurde dunkler im Wohnzimmer, mehr so wie es am Anfang ihrer Treffen gewesen war, weil die Sonne damals früher untergegangen war.

Die letzten beiden Nächte hatten sie daran erinnert, wie belastet Severus immer noch war. Mit seinem Eingeständnis im Hinterkopf war sie wachsamer gewesen und schneller aufgewacht, sofern sie denn schon geschlafen hatte; als sie am vorigen Morgen von der Nachtschicht zurückgekehrt war, hatte sie ihn nass geschwitzt und in sein Laken verknotet gefunden. Nach dem Wecken war sein Blick der eines panischen Kindes gewesen. Nur für einen kleinen Moment, aber dieser Blick war wie ein Schlag gegen ihr Brustbein gewesen.

Er hatte sich aus dem Stoff gekämpft und war vor ihr ins Bad geflüchtet, während Hermine mit rasendem Herzen auf die Matratze gesunken war und sich gefragt hatte, warum sie das nicht schon vorher bemerkt hatte. Wie sie sich einfach darauf hatte verlassen können, dass sie schon wach werden würde, wenn es ihm nicht gut ging. Sie fühlte sich, als hätte sie ihn im Stich gelassen.

Als sie sich nun neben ihn in ihren Sessel setzte, hatte ihr Blick anscheinend diesen mitleidigen Beigeschmack, den Severus nicht leiden konnte. Er verzog das Gesicht. „Sieh mich nicht so an, Hermine. Es geht mir gut."

„Hm", machte sie, presste die Lippen aufeinander.

„Verlang nicht von mir, noch länger zu warten!"

„Tu ich nicht."

Er beobachtete sie ungeduldig. „Aber?"

„Waren deine Nächte die ganze Zeit schon so schlimm wie gestern Morgen?"

„Glaubst du, es wäre dir entgangen, wenn ich mich neben dir in mein Laken verknotet hätte?", fragte er gepresst.

„Nein", murmelte sie.

„Da hast du deine Antwort."

„Aber letzte Nacht ..."

„Letzte Nacht war schlimmer als sonst", unterbrach er sie.

Hermine musterte ihn prüfend.

Severus seufzte, rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn. „Ich hatte in letzter Zeit nicht mehr Albträume als sonst, du hast nur zu tief geschlafen, um davon aufzuwachen. Was gut ist, weil ich als erwachsener, selbstständig denkender Mensch dazu in der Lage bin, allein mit meinen Albträumen klarzukommen." Er zögerte, ehe er sie wieder ansah und hinzufügte: „Ich hätte die Möglichkeit gehabt, dich zu wecken, wenn ich es gewollt hätte. Das war alles, was ich brauchte."

„Okay", sagte sie.

„Okay", wiederholte Severus. „Könntest du dann jetzt bitte das letzte Mal meinen Geist heimsuchen und die Erinnerung frei lassen?"

Sie lächelte über seinen genervten Blick, wurde aber schnell wieder ernst. „Das letzte Mal", überlegte sie. „Ich soll den Käfig also gleich ganz verschwinden lassen? Kein Plan B?"

„Kein Plan B", bestätigte er. „Ich will mich nicht wieder mit meinem Unterbewusstsein um die Erinnerung streiten müssen." Er schluckte, nestelte am Ärmel seines Hemdes.

„Verstehe."

Severus schnaubte, sagte aber nichts.

Als sie dieses Mal seinen Geist betrat, sah sie sich mit anderen Augen um als vorher. Ihr ging durch den Kopf, was Severus ihr über seine Okklumentik erzählt hatte und sie fragte sich, ob es immer noch Zimmer gab, in denen er Erinnerungen versteckte. Sie hatte kein Bedürfnis danach zu erfahren, was er verbarg, aber ein Teil von ihr erwartete tatsächlich, irgendwo hier eine Tür zu sehen, die ihr vorher entgangen war.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now