Kapitel 12

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Kapitel 12

Dreimal durchlebte Severus die Erinnerung an diesem Abend. Bei jedem Mal hatte er Probleme mit der Atmung, aber beatmen musste sie ihn nicht mehr. Und jedes Mal, wenn Severus aus seiner Erinnerung auftauchte, berichtete er etwas anderes.

„Sie sagten: 'Du musst dir mal die Haare waschen, sonst fällt das noch aufs Haus zurück. Komm, wir helfen dir!'", berichtete er nach dem ersten Mal und rümpfte die Nase, immer wieder unterbrochen vom Hustenreiz.

Nach dem zweiten Mal erzählte er: „Sie haben einen an die Tür gestellt um aufzupassen, dass niemand was mitkriegt. Immer, wenn jemand ins Bad kam, hat mir einer den Mund zugehalten. Ich konnte kaum atmen." Er kniff dabei die Augen zusammen, als wäre ihm noch immer schwindelig.

Und nach dem dritten Mal sprang er aus seinem Sessel auf und brüllte wie ein wildes Tier, das endlich seinem Käfig entkam. Hermine erschrak, beobachtete ihn still. „Am liebsten würd' ich sie ins Jenseits und zurück fluchen!", grollte er und schlug mit der Faust gegen die Wand. Der Schmerz schien seiner Wut einen kleinen Dämpfer zu verpassen. Er schüttelte die Hand aus.

„Hast du dich verletzt?", fragte Hermine.

Severus sah sich seine Finger nur flüchtig an, während er Kreise durch das Wohnzimmer lief. „Nein." Tatsächlich waren seine Fingerknöchel nur gerötet. Aber seine Hände zitterten.

„Was geht dir gerade durch den Kopf?"

Er warf ihr einen gereizten Blick zu. „Ich würde gern irgendjemandem wehtun. Sehr! Am liebsten den Ratten, die das damals mit mir gemacht haben!" Er spie die Worte aus zusammen mit ein paar Speicheltropfen.

„Was würdest du mit ihnen tun, wenn sie hier wären?"

Er schnaubte und stemmte die Hände in die Hüften. „Erst mal würde ich ihre Köpfe genauso ins Klo stoßen wie sie es bei mir getan haben. So heftig, dass sie eine Beule an der Stirn bekommen, wo sie gegen die Keramik gestoßen sind, und beinahe das Bewusstsein verlieren. Und dann würde ich spülen. Sehr, sehr oft. Und sie zwischendurch immer wieder fragen, ob sie das auch so lustig finden, wenn sie es sind, die keine verdammte Luft kriegen!" Die Wut verzerrte sein Gesicht zu einer Fratze, die Hermine schon lange nicht mehr bei ihm gesehen hatte, in diesem Ausmaß vielleicht noch nie. Er atmete heftig und schwitzte so sehr, dass es aussah, als hätte man ihm tatsächlich gerade erst den Kopf in die Toilette gesteckt.

„Und dann?", fragte sie weiter.

„Ich weiß nicht, ob es ein 'und dann' gäbe. Ich weiß nicht, ob ich aufhören könnte, bevor sie ... endlich still sind."

„Stell es dir vor, Severus", forderte Hermine ihn auf. „Bleib stehen, schließ' die Augen und stell es dir vor."

„Wozu?"

Sie verdrehte die Augen. „Mach es einfach!"

Er funkelte sie einige Sekunden lang an, aber zu ihrer Überraschung widersprach er nicht weiter.

„Stell dir vor, sie wären hier. Stell dir vor, du würdest den ersten ins Bad zerren, ihn im Nacken packen und seinen Kopf in die Toilettenschüssel stoßen. Stell dir vor, du hörst das dumpfe Geräusch, das sein Schädel beim Aufschlag auf die Keramik macht. Stell dir vor, du würdest die Spülung betätigen. Wieder und wieder. Hörst du ihn gurgeln? Hörst du ihn um Luft ringen?"

„Ja", murmelte Severus.

„Wie fühlt sich das an?"

Er stand still da, um seine Augen zuckte es. Hermine sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte und wie sein Körper erzitterte. Sie hörte sein Zähneknirschen. „Unbefriedigend", stellte er schließlich fest.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now