Kapitel 10

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Kapitel 10

Wie schon im Krankenhaus wollte Hermine auch jetzt auf die sanfte Art in Severus' Geist eindringen. Es widerstrebte ihr, sich mit Gewalt Zutritt zu verschaffen und von ihren moralischen Bedenken einmal abgesehen, war sie auch überzeugt davon, dass sie seine Okklumentik ohnehin nicht überwinden könnte, selbst wenn sie es wollte.

Zu ihrer Erleichterung stand sie nur für einen kleinen Moment hilflos vor eben dieser. Wie Severus selbst gesagt hatte, etwas in ihm vertraute ihr und es ließ sie auch dieses Mal hinein.

Sie landete sofort in seiner Erinnerung.

Hermine sah sich perplex um. Da war Severus. Von außen. Sie sah diese Erinnerung nicht wie die anderen durch seine Augen, sie war als Zuschauer hier. So als würde sie sich die Erinnerung in einem Denkarium ansehen. Die Bilder waren etwas verschwommen, aber hier war Severus kein Kind mehr. Er musste etwa Anfang zwanzig sein.

Er lag auf einem Tisch und neben ihm stand ein junger Lucius Malfoy. Er hielt Severus' Gesicht mit beiden Händen fest, zwischen seiner rechten Hand und Severus' Wange klemmte sein Zauberstab und er drang anscheinend gerade gewaltsam in dessen Geist ein. „Ich will dir doch nur helfen!", schrie er dabei, laut genug um das Schreien von Severus zu übertönen.

Dann wechselte die Szene plötzlich, aber das Geschehen war fast das Gleiche. Es war nicht Lucius Malfoy sondern Voldemort, aber auch er drang in Severus' Geist ein, rücksichtslos und brutal.

Wieder wechselte die Szene, dieses Mal war es Albus Dumbledore, der sich Zugang zu Severus' Geist verschaffte.

Dann wieder Voldemort.

Hermine wurde ganz schwindelig bei den ständig wechselnden Szenen. Es mussten einige Erinnerungen sein und alle hatten sie das gleiche Thema: Legilimentik.

Plötzlich verstand sie, dass Severus sich so wild gebärdet hatte, als sie seinen Kopf hatte festhalten wollen. Wann immer er sich nicht fügte, zwang man ihn auf genau diese Art dazu, Blickkontakt herzustellen. Und jedes Mal keuchte oder schrie er, als sie in seinen Geist eindrangen, mal mehr, mal weniger laut.

Sie beobachtete das Geschehen einen Moment lang, zu fassungslos um etwas zu tun. Die Bilder verschwammen immer mehr, verloren an Farbe. Bald waren keine Worte mehr zu verstehen, nur noch undeutliche Töne. Aber die Erinnerung löste sich nicht auf. Severus war gefangen.

Hermine ging zu ihm. Was er mit ihr tun konnte, konnte sie vielleicht auch mit ihm tun. Sie schob sich zwischen ihn und wer auch immer es gerade war, der in seinen Geist wollte. Sie sah ihm fest in die Augen. „Ich bin hier, Severus", sagte sie, „Komm mit, wir gehen."

Hermine stellte sich vor, wie sie sich mit Severus zusammen aus der Erinnerung erhob, ergriff seine Hand und einen Moment später kippte sie in ihren eigenen Geist zurück und sah sich blinzelnd in seinem Schlafzimmer um. Sie holte tief Luft, dann sah sie zum Bett hinüber. Severus starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. „Oh, Entschuldigung!", rief Hermine und hob die Ganzkörperklammer auf.

Er rappelte sich hoch und griff mit den Händen in den Stoff der Decke. Schnappte nach Luft, als hätte sie ihn gerade aus dem Wasser gezogen. „Du bist in Sicherheit, ich tu dir nichts!", sagte Hermine laut und hob ihre Hände in die Luft. Sie wagte es nicht, ihn anzufassen. „Atme, Severus!" Sie begann, die Atemübung anzuzählen, die sie vor ein paar Tagen schon mal mit ihm gemacht hatte, und versuchte, seinen Blick einzufangen und festzuhalten.

Es dauerte mehrere Minuten, bis er ruhiger wurde. Aber Hermine schaffte es dieses Mal nicht, sich zu entspannen. Selbst als Severus langgezogen ausatmete, saß sie noch zum Sprung bereit auf der äußersten Kante des Stuhls. „Geht es?", fragte sie schließlich.

Medicus IIIWhere stories live. Discover now