Kapitel 3.3

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~Seth

Gleißend helle Blitze zerrissen die Dunkelheit, so mächtig, dass ich die Spannung auf der Haut spürte. Orange Flammen umhüllten meine Arme und schließlich meinen gesamten Körper und hielten die Blitze mühsam von meinem Körper fern. Leandros schwebte über mir, umrahmt von seinen Blitzen. Sein Umhang wehte im Wind, umgab ihn wie schwarze, dämonische Flügel. Es kam mir bekannt vor- als hätte ich es schon einmal erlebt. Ein Blitz löste sich aus der geballten Elektrizität und traf mich. Ich fiel um, schlug auf dem Boden auf. Mein gesamter Körper schmerzte, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. Ein Gefühl, als hätte man mich in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen, meine Muskeln brannten und ließen sich keinen Millimeter bewegen, während Leandros betont langsam auf mich zukam. Er bückte sich und riss mich an den Haaren hoch, bis er mir bequem in die Augen sehen konnte. Schmerzen. Noch mehr Schmerzen. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass mein Kiefer knackte, gab aber ansonsten keinen Laut von mir.

,,Sag mir, Sohn von Hades." Leandros lächelte mich höhnisch an. ,,Was muss ich tun, um dir einen Schrei zu entlocken?" Mit seinem Griff an meinen Haaren schleuderte er mich gegen eine viel zu weiche Wand, dann fuhr ein Ruck durch meinen Körper und alles wurde dunkel. Mit wild klopfendem Herzen schreckte ich auf. War ich jetzt tot? War alles vorbei? Langsam erkannte ich in der Dunkelheit die Umrisse meines Zimmers. Mit zitternden Fingern tastete ich nach meiner Nachttischlampe. Ein Traum. Nur ein Traum. Wirklich erleichtert war ich deshalb nicht, dafür war ich im Augenblick noch viel zu verstört. Außerdem machte es kaum einen Unterschied- es hatte sich so real angefühlt, als hätte ich diesen Moment ein weiteres Mal erlebt. Mein Schädel pochte und meine Brust hob und senkte sich hektisch. Götter. Ich musste mich beruhigen.

Ich holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Wiederholte das Ganze, bis ich nicht mehr wie ein hektisches Kaninchen mit Lungenproblemen schniefte, dann stand ich auf und begann unruhig im Raum herumzulaufen. Was bei den Göttern wollte mir mein Unterbewusstsein damit sagen? Musste es mich unbedingt an mein Versagen erinnern?

Ich war im Badezimmer gelandet und starrte mein Spiegelbild an. Je länger ich darüber nachdachte, desto dämlicher kam mir dieser Traum vor. Leandros hatte über mir geschwebt- geschwebt, verdammt. Fehlte nur noch, dass mein Unterbewusstsein ihm ein Krönchen aufsetzte. Ohne es wirklich zu wollen, begann meine Hand zu brennen. Feuer in rot und schwarz, als wollte es mich daran erinnern, was aus mir geworden war und weshalb ich diesen Kampf nicht verloren hatte. Ich blickte nun wieder in den Spiegel, sah mich mit diesem Feuer und fragte mich, ob ich mich überhaupt schon mal damit gesehen hatte. Das Feuer schmiegte sich an meinen Arm, lachte mich im Spiegel leise aus. Rot-schwarzes Feuer. Bis vor drei Wochen hätte ich nicht einmal gedacht, dass so etwas existieren konnte. Ich zwang mich dazu, den Blick abzuwenden und das Feuer erlöschen zu lassen.

Danach legte ich mich wieder ins Bett, aber schlafen konnte ich nicht mehr.

Das war auch nicht das letzte Mal, dass dieser verdammte Hipster Halbgott in meinen Träumen herumspukte. Mal in der mir wohlbekannten Szene, mal in einer völlig neuen. Aber jedes Mal behielt er klar die Oberhand und ich war absolut hilflos. Ich verstand nicht, weshalb ich jede Nacht so einen Mist träumte- ich hatte Leandros schließlich besiegt. Aber meinem Unterbewusstsein schien das herzlich egal zu sein. Die Tatsache, dass ich nicht sonderlich gut schlief, wirkte sich auch nicht allzu vorteilhaft auf meinen allgemeinen Zustand aus. Der Schlafmangel zerrte an mir und ich... ich hatte das Bedürfnis, mir die Energie auf andere Art zurückzuholen.

Gerade saß ich mit meinem obligatorischem, lebenserhaltenden Kaffee auf der Couch und trommelte mit den Fingern nervös auf meinem Oberschenkel herum. Mein Blick schweifte durch meine Wohnung und traf schließlich auf das Bild von Esme und mir. Mit der Kaffeetasse in der Hand stand ich auf und betrachtete es genauer. Es war das erste mal, das ich das tat, seit... seit Esme nicht mehr hier war. Manchmal wünschte ich, ich könnte dieses Wochenende ein weiteres Mal erleben- das Festival, Esme. Unwillkürlich berührte ich das Löwen-Tattoo auf meinem Oberarm und schloss die Augen. Wenn ich mich konzentrierte, konnte ich es fast schon wieder vor mir sehen. Zumindest an den Schlamm des Festivalgeländes, sowie an diverse, in einen halben Krieg eskalierende Schlammschlachten, konnte ich mich noch sehr gut erinnern. Plötzlich ging einen Ruck durch meinen Körper. Schwindel erfasste mich und ich spürte einen Luftzug im Gesicht. Wind? Doch, das war Wind, obwohl ich kein Fenster geöffnet hatte. Verwirrt schlug ich die Augen auf und brauchte einen Moment, bis meine Welt aufhörte, sich zu drehen, aber das ließ meine Verwirrung nicht abklingen. Im Gegenteil. Unter meinen Stiefeln befanden sich keine Fließen mehr, sondern saftig grünes Gras und über mir erstreckte sich der wolkenlose Himmel. Ich stand auf einem Acker, in der Ferne erkannte ich einen schwarzen Kirchturm und einen eisernen Schriftzug, der das Wort 'Wacken' bildete. Ich stand auf dem verdammten Festivalgelände des Wacken Open Air. Was zur Hölle?

Hatte ich mich gerade mal eben tausende Kilometer nach Deutschland teleportiert, oder verlor ich einfach nur den Verstand? Ich bückte mich und strich mit den Fingern durch das Gras. Es fühlte sich sehr real an. Viel zu real ,,Heilige Scheiße", murmelte ich.

Ich versuchte, das alles irgendwie zu verstehen und zu verarbeiten, aber egal wie lange ich darüber nachdachte, mir fiel keine logische Erklärung dafür ein. Halbgötter konnten sich nicht durch die Gegend teleportieren. Niemand konnte das. Teleportieren konnten sich Witzfiguren aus grausamen Kinderbüchern. Mein Blick glitt über die Wiese, in der Entfernung hörte ich das Rufen einer Kuh. Und ich.

Götter konnten sich ebenfalls teleportieren, aber ich war kein Gott. Warum konnte ich das also? Langsam kehrten meine Gedanken nochmal zu dem Letzten zurück. Superstarke, rot-schwarze Flammen. Ich war kein Halbgott mehr. Ich war etwas ganz anderes, etwas Stärkeres, etwas Göttlicheres. Und plötzlich kam mir mein letzter Gedanke nicht mehr zu realitätsfern vor.

Ein Gott.

Ein Wind kam auf und fegte über den Acker, ein Wind, dessen Ursprung nicht Mutter Natur war. Meine Gefühle und Emotionen übertrugen sich auf die Umwelt. In diesem Moment konnte ich keine Kraft aufbringen, das Element zu zügeln. Es brach einfach aus mir heraus und ich hielt es nicht auf. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich wirklich ein Gott war, aber es war die einzige Erklärung dafür, dass ich gerade hier stand. In Deutschland. Tausende Kilometer entfernt von zuhause. Diese Erkenntnis war verstörend und gleichzeitig war ich gar nicht so überrascht, wie ich eigentlich sein sollte. Irgendwie hatte ich es gewusst. Tief in mir hatte ich es gewusst. In diesem Moment kam mir etwas in den Sinn, was der türkishaarige Vasanist zu mir gesagt hatte, nachdem ich Leandros besiegt hatte. ,,Es ist passiert, wie es passieren sollte. Der Beginn eines neuen Zeitalters, ein neuer Gott..." Tja, dieser Gott war dann wohl ich. Und was tat man, wenn man auf einem Acker in der Pampa Deutschlands herumhing und soeben erfahren hatte, dass man ein Gott war? Man gönnte sich erst einmal einen Schluck aus der Kaffeetasse, die diese lange Reise freundlicherweise mit einem angetreten hatte. Und dann sah die Welt schon wieder anders aus. Oder so. Ich starrte meine Hände an. ,,Ich bin ein Gott", sagte ich. Ausgesprochen klang es noch seltsamer. Und es wurde auch nicht besser, je länger ich den Satz in Gedanken wiederholte. Ich schloss die Augen und versuchte mich auf meine Wohnung zu konzentrieren, was mir schwer fiel, weil sich die Gedanken in meinem Kopf überschlugen. Ich war ein Gott. Aber ich fühlte mich nicht wie einer. Ich wollte kein Gott sein. Ich hasste die Götter. Und jetzt war ich selbst ein solches Wesen? Abrakadabra, Seth, du bist jetzt ein Gott? Einfach so?

Ein starker Schwindel erfasste mich, dann riss es mir den Boden unter den Füßen weg. Bruchteile einer Sekunde fühlte ich mich, als würde ich durch Raum und Zeit geschleudert werden, dann erblickte ich das Foto- und stand wieder in meinem Zimmer. 

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now