Kapitel 5.3

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~Seth

Es gab nichts Schöneres auf dieser Welt, als am frühen Morgen von seinem Vogel geweckt zu werden, der einen zum lebendigen Abenteuerspielplatz erklärt hatte. Den verdammten Käfig hätte ich mir sparen können, Skotádi kam heraus, wann immer sie es wollte. Gerade versuchte sie beispielsweise meinen Rücken hinaufzuklettern und bohrte dabei ihre Krallen und ihren Schnabel in meine Haut. Würde jemand meinen Rücken sehen, könnte er fast auf die Idee kommen, ich hätte eine wilde Nacht gehabt. Mit der Hand wischte ich Skotádi zur Seite, die daraufhin empört krächzend davon flog.  ,,Mistviech", brummte ich das ungefähr dreihundertste Mal.

,,Vollpfosten", gab sie beleidigt zurück.

Ich tastete nach meinem Handy und schaltete es an. Es war viel zu früh, aber schlafen konnte ich vermutlich ohnehin nicht mehr. Ich richtete mich auf und blinzelte einige Male, dann erhob ich mich aus dem Bett und ging ins Badezimmer.
Während ich nach der Zahnbürste griff, fiel mir auf, dass meine Hand zitterte. Verdammt. Nicht schon wieder. Bei den Göttern, manchmal wünschte ich mir, einfach wieder normal zu sein. Halbgott-Seth, dessen größtes Problem gewesen war, wie er den Rat am besten ärgern konnte. Stattdessen war ich ein verdammter Junkie geworden, der nicht weniger als göttliche Seelen brauchte, um seinen Körper milde zu stimmen. Manchmal fragte ich mich, ob ich nicht möglicherweise doch ein Vasanist war. Götter mussten schließlich niemandem die Seele aussaugen. Oder doch? Ich hatte keine Ahnung.

Nachdem ich mir die Zähne geputzt und etwas anderes angezogen hatte, warf ich einen Blick in den Spiegel. Ich sah genauso tot aus, wie ich mich fühlte. Mit einer Hand versuchte ich halbherzig den zerflauschten Lockenhaufen auf meinem Kopf zu bändigen, gab dann aber auf und wandte mich ab.

Als ich über den Campus lief, dämmerte es gerade erst. Nebelschwaden hingen in der Luft und es war kalt. Ich schob die Hände in die Taschen meines Hoodies und passierte das Eingangstor. Die Wachen nickten mir zu, sagten aber nichts. Vermutlich hatten sie eine lange Nacht hinter sich. Ich hatte keine Ahnung, was mein Plan war, während ich tiefer in den Wald hinein hing. Vielleicht hoffte ich auf einen freilaufenden Rebellen, dem ich einen Teil seiner Seele abziehen konnte. Das war sogar ziemlich wahrscheinlich. Heute schien allerdings alles ruhig zu sein. Man hörte lediglich entfernte Rufe von Vögeln und das sanfte Rauschen der Blätter. In dieser Stille machte sich einmal mehr dieser verdammte Hunger bemerkbar. Bei den Göttern. Ich hasste mich dafür.

Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich spürte, wie der Boden unter mir für einen Moment bebte. Reflexartig hob ich die Fäuste und wirbelte herum. Vor mir stand ein Typ. Ein Typ mit brennenden Flügeln, schwarzgekleidet, mit einem lässigen Lächeln auf den Lippen. Ich brauchte einen Moment, bis ich ihn erkannt hatte. Bei unserer letzten Begegnung waren seine Haare türkis gewesen, das war das Einzige gewesen, das ich mir an seiner äußerlichen Erscheinung wirklich gemerkt hatte. Jetzt waren sie dunkelblau, aber an die Feuerflügel erinnerte ich mich. Götter, ich erinnerte mich. An alles. An den Moment, in dem Leandros mich beinahe erledigt hätte. Als ich irgendetwas in mir frei gelassen hatte, das mich zu dem Freak gemacht hatte, der ich heute war. Als ebendieser Vasanist mir gesagt hatte, was ich war. Das alles prasselte auf mich ein, während ich den Vasanist anstarrte und rotschwarzes Feuer in meiner Hand aufflammte.

,,Seth." Der Vasanist trat einen Schritt nach vorn und ließ die brennenden Flügel erlöschen. ,,Ich habe versprochen, dass wir uns wiedersehen werden."
Ich starrte ihn nach wie vor an und wusste nicht, was ich mit der Situation anfangen sollte. Damit hatte ich nun wirklich überhaupt nicht gerechnet.

,,Du hättest dich nicht daran halten brauchen", erwiderte ich.

Er zog einen Mundwinkel hoch. ,,Für dich doch immer gerne. Auch wenn du an deiner inneren Uhr arbeiten könntest- sechs Uhr am Morgen? Im Ernst?"

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt