Kapitel 13.5

143 19 6
                                    

~Cleo

,,Ihr könntet mir wenigstens sagen, wie er reagiert hat." Dawson sah zwischen Esme und mir hin und her, als würde er gleich vor Neugier platzen. Irgendwie hatte er erfahren, dass wir am Vortag mit Seth gesprochen hatten, woraufhin er uns einen mindestens halbstündigen Vortrag über dieses ganz und gar unvernünftige Verhalten gehalten hatte. Dass ausgerechnet Dawson mir einen Vortrag über Vernunft hielt, bereitete mir Sorgen. So weit war es schon gekommen.

Esme betrachtete interessiert ihre Fingernägel. ,,Er war begeistert. Er möchte Strampler und Schnuller kaufen und er sieht sich so richtig in der Dad-Rolle." Sie neigte den Kopf zur Seite. ,,Du hast doch nichts dagegen, wenn ich mit ihm eine glückliche Familie gründe?"

,,Nö." Dawson ließ sich wie selbstverständlich auf mein Bett fallen und streckte die langen Beine aus. ,,Um einen Strampler kaufenden Seth zu sehen, würde ich vieles geben." Er sah auf. ,,Und wie hat er wirklich reagiert?"

Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Diese Sticheleien erinnerten mich an eine Zeit, in der Seth und Dawson tatsächlich einfach nur zwei Halbgötter mit besorgniserregendem Testosteronüberfluss gewesen waren. Sie hatten sich gegenseitig die Köpfe einschlagen wollen, jetzt versuchten sie tatsächlich, sich umzubringen. Manchmal kam ich damit geistig immer noch nicht mit.

Ich trommelte nervös mit den Fingern auf meinem Bettpfosten herum. ,,Er hat nichts in die Luft gesprengt, aber begeistert war er auch nicht. Er denkt, dass wir ihn anlügen und das ein Trick ist, um ihn durcheinander zu bringen."

Esme schüttelte den Kopf. ,,Ich weiß nicht, ob er das wirklich glaubt, oder ob er sich das nur einredet."

,,Das spielt keine Rolle." Dawson zuckte mit den Schultern. ,,Das ändert nichts an seinem Verhalten."

Im Gegenteil. Es trieb ihn immer weiter von uns fort. Ich sah im Augenwinkel, wie Esme angespannt die Hände öffnete und schloss. ,,Er hat sich für diese Seite entschieden", sagte sie schließlich. Sie vermied es uns anzusehen und starrte auf den Boden. ,,Er glaubt an das, was er tut. Er wird nicht zurückkommen. Und er... muss aufgehalten werden."

Er muss aufgehalten werden. Esmes Worte hallten wie ein Echo in meinen Gedanken wider. Selbst sie war mittlerweile so weit. Ich wusste es ebenfalls. Seth hatte Hephaistos getötet, er hatte verdammt nochmal den olympischen Gott des Feuers und der Schmiedekunst getötet. Er war eine riesige Gefahr und er... war Seth. Ich öffnete die Tür zu dem Trainingsraum, in dem ich früher immer mit Seth trainiert hatte, trat ein und ließ sie hinter mir ins Schloss fallen. Ich starrte die Dummyfigur an, die ich im Training dutzende Male hatte abstechen sollen und wusste augenblicklich nicht mehr, was ich hier wollte. Trainieren? Freiwillig? Bestimmt nicht. Ich glotzte den Dummy noch immer ratlos an, als die Tür geöffnet wurde. Ich zuckte zusammen, drehte mich um und erblickte Rune, der die Tür lautlos hinter sich schloss. Überrascht starrte ich ihn an. ,,Hi."

Er schien sich langsam dem Leben unter Menschen anzupassen; er trug immer häufiger Jeans und T-Shirt - mit Runen bedruckt, selbstverständlich - , nur sein Haar war wie immer aufwändig geflochten und mit antiken Metallperlen verziert. Auch die Axt war wie immer auf den Rücken geschnallt. Vermutlich konnte er einfach nicht ohne - und prompt sandte mir mein Hirn ein Bild davon wie Rune mit ihr kuschelte.

Er nickte mir zu. Daraufhin breitete sich ein unangenehmes Schweigen aus. Mir stellten sich die Nackenhaare auf und ich wandte den Blick ab. Er war hier aufgekreuzt, also sollte er irgendetwas sagen, richtig? Gerade als ich ihn fragen wollte, was eigentlich seine Mission war, sagte er schließlich etwas.

,,Du musst dich zwischen den Seiten entscheiden."

Überrumpelt von dieser Aussage blinzelte ich nur.

,,Du bist gestern bei Seth gewesen." Seine bernsteinfarbenen Augen fokussierten mich. ,,Er ist der Anführer der Leute, die ihr bekämpft. Du kannst für ihn und seine Leute kämpfen. Oder du kämpfst gegen ihn."

Noch immer irritiert starrte ich ihn an. Woher wusste er nun schon wieder, dass ich gestern bei Seth gewesen war? Und warum interessierte ihn überhaupt, was ich tat?

,,Ich... ich kämpfe nicht für die Rebellion", brachte ich heraus.

Er fuhr mit den Fingern über die tätowierten Runen auf seinen Armen. ,,Dann wirst du gegen den Sohn von Hades kämpfen müssen."

Ich krampfte die Hände zusammen. ,,Warum ist das so wichtig? Ich bin nur eine Schülerin. Warum ist es wichtig, ob ich kämpfe oder nicht?" Ich war im vergangenen Jahr besser geworden, ich hatte gelernt zu kämpfen, ich hatte gelernt zu töten, aber ich war immer noch kein Kampftalent. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es so eine große Rolle spielte, ob ich kämpfte.

,,Du bist die Tochter der Schicksalsgöttin. Es spielt eine Rolle."

Ich schüttelte langsam den Kopf. ,,Ich habe nicht den Eindruck, dass das jemand außer dir so sieht." Ich wollte ihn ansehen, als mein Blick jedoch auf seine gruseligen Wolfsaugen traf, blickte ich schnell zur Seite. ,,Ich bin eigentlich nicht wichtig... oder sowas."

Rune zog die Augenbrauen hoch. Eine Geste, die ich an ihm als äußerst seltsam empfand, denn er zeigte äußerst selten Mimik. ,,Das lassen sie dich glauben?"

Verlegen zupfte ich an meinem T-Shirt herum. ,,Äh, ja?"

Rune schüttelte den Kopf und trat einen Schritt näher. Dennoch wahrte er eine höfliche Distanz. Ganz im Gegensatz zu Persönlichkeiten wie Seth und Dawson, die von Distanz nicht sonderlich viel hielten. ,,Du bist die Tochter der Schicksalsgöttin. Es kann eine Menge davon abhängen, für welche Seite du dich entscheidest." Er sah mich abwartetend an. Vermutlich wartete er auf meine Antwort. Eigentlich hatte ich mich längst entschieden, dennoch kamen mir die folgenden Worte nicht leicht über die Lippen. Als würde etwas meine Kehle austrocknen.

,,Ich habe diese Seite längst gewählt. Ich... ich kämpfe hierfür", würgte ich hervor.

Der Wikinger nickte langsam.  ,,Ich... kann dir anbieten, mit mir zu trainieren. Du solltest auf diesen Kampf vorbereitet sein."

Moment. Bot Rune mir gerade tatsächlich an, mit ihm zu trainieren? Trainieren, wie ich es früher mit Seth getan hatte? Ging er wirklich davon aus, dass ich wichtig war, oder wollte er bloß nicht, dass ich mich umbringen ließ? Ich wusste, dass Training eine gute Idee wäre. Was ich im Unterricht lernte, reichte nicht und Zeke hatte nur noch selten Zeit, mit mir zu trainieren. Aber mit Rune? Ich starrte auf den Boden. ,,Ich... also, wenn es keine Umstände bereitet?"

,,Tut es nicht."

So ein Mist aber auch. In diesem Moment verabschiedete sich mein Menschenverstand wieder ins Nirvana und ein kurzes Grinsen huschte über mein Gesicht. ,,Kann ich als deine neue Schülerin dann auch so fancy Flechtzöpfe tragen?"

Ich erwartete nicht, dass er etwas darauf antwortete. Tatsächlich wandte er sich ab und ging einige Schritte in Richtung Tür, blieb dort aber nochmal stehen. ,,Padawane tragen nur einen Zopf, Cleo."

So ließ er mich stehen, mit einer Kinnlade, die fast auf dem Boden aufschlug. Er kannte Star Wars? Er wusste, wie Fernseher funktionierten? Auf einmal schien das Bild von Rune, wie er mit seiner Axt kuschelnd auf dem Sofa saß, gar nicht mehr so weit hergeholt. ,,Verrückt", murmelte ich. Und ich hatte wirklich geglaubt, Spaziergänge und Morde wären seine einzigen Hobbys. Schien, als würde er doch nicht ganz so weit hinterm Mond wohnen wie gedacht.

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt