Kapitel 16.1

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~Cleo

Die Sonne schien, als ich nach dem Unterricht über den Campus lief. Nachdem Rune wieder aufgetaucht war, hatte er mir angeboten, dass wir das Training fortsetzen konnten. Ich hatte eingewilligt. Der Tag der vermeintlichen Ratssitzung, an dem wir die Rebellen in eine Falle locken wollten, rückte immer näher und ich wollte vorbereitet sein. Im Rahmen meiner Möglichkeiten, jedenfalls. Eventuell war ich vorhin im Unterricht über meine eigenen Füße gestolpert. Daraufhin hatte Dawson mich genauso eventuell auffangen müssen, damit ich nicht mit der Nase voran auf dem Boden aufschlug. Unangenehm.

Als ich an dem Trainingsplatz ankam, auf dem ich mich immer mit Rune traf, war er bereits dort. Er schien immer überpünktlich zu sein, denn mein Handy zeigte noch nicht einmal die vereinbarte Uhrzeit. Rune kam mir entgegen und blieb vor mir stehen.

,,Hi", grüßte ich. Er nickte mir zu. Was sehr typisch für ihn war. Für Begrüßungen verschwendete er selten Worte. Ich hatte ihn auch noch nie lächeln gesehen. Dennoch kam es mir fast so vor, als würde er seit einiger Zeit ein kleines Bisschen weniger ernst schauen. Vielleicht war es auch nur Wunschdenken.

,,Alles in Ordnung bei dir?", erkundigte er sich.

,,Alles super", bestätigte ich. ,,Und bei dir?"

Erneutes kurzes Nicken. Er suchte meinen Blick, im Sonnenlicht hatten seine Augen die warme Farbe von Honig. ,,Bereit?", fragte er.

,,Bereit", erwiderte ich.

Ich folge Rune an den hinteren Rand des Trainingsplatzes, wo er Äste zu einem Scheiterhaufen übereinander geschichtet hatte. Er hob die Hand, Feuer schoss daraus hervor und setzte die Äste in Brand. Augenblicklich spürte ich die Hitze auf der Haut, die Luft roch nach Rauch. Etwas irritiert betrachtete ich die lodernden Flammen und runzelte die Stirn. Würde Rune mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wenn ich mich als unfähig herausstellte? Rune trat neben mich und folgte meinem Blick. ,,Lass dich davon nicht einschüchtern. Tu einfach das, was wir bisher gemacht haben. Wenn du es schaffst, die molekulare Struktur der Luft zu verändern, wirst du es sofort an den Flammen sehen."

Das machte Sinn. Ich schloss die Augen. Ich spürte den Wind, der mir über die Haut fuhr, die Luft, die in meine Lunge strömte und schließlich jene, die ich wieder ausatmete. Sie war schwerer, sank herab, ehe sie sich wieder mit der Luft vermischte. Ich spannte die Muskeln an, konzentrierte mich auf die schwersten Teilchen und verpasste ihnen einen sanften Stoß durch das Bewegen meiner Fingerspitzen. Wind fuhr mir über die Arme und ich hörte das Feuer lauter knistern. Das war zu stark gewesen.

,,Etwas sanfter." Runes Stimme erklang hinter mir. ,,Du hast es fast geschafft."

Ich atmete tief ein und fokussierte mich erneut auf die schwersten Teilchen. Vorsichtig bewegte ich die Hand, lenkte die Moleküle dorthin wo ich die Hitze der knisternden Flammen spürte. Eine weitere Handbewegung und die leichteren Bestandteile der Luft stießen sich ab und segelten ein Stück nach oben. Ich wusste nicht wirklich, was ich gerade tat oder wie es funktionierte. Es fühlte sich an, wie das Schicksal einer mit dem Vasanistenvirus befallenen Seele zu manipulieren- etwas, das ich einfach konnte, mir im Blut lag.

Ich spürte, wie die Hitze zu einer angenehmen Wärme abklang.

,,Öffne die Augen", sagte Rune.

Ich öffnete die Augen, konzentrierte mich aber darauf, die molekulare Anordnung beizubehalten. Das knisternde Feuer hatte sich in kaum sichtbare, blaue Flammen verwandelt, die sich eng an die Äste schmiegten. Ich hatte es geschafft. Ich hatte es wirklich geschafft. ,,Ist das... so richtig?", fragte ich sicherheitshalber trotzdem und betrachtete das zurückgedrängte Feuer prüfend.

Als ich den Blick etwas hob, sah ich, dass Rune auf der anderen Seite des Scheiterhaufens stand. ,,Das ist so richtig", bestätigte er. Seine Mundwinkel hoben sich. Nur ein kleines Bisschen, aber er- er lächelte! In diesem Moment entglitt mir die Kontrolle über die feinsäuberlich sortierten Luftteilchen und ich schaffte es gerade noch rechtzeitig zurückzuspringen, ehe sich die Flammen wieder hochschlängelten. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. ,,Ups?"

Rune war um das Lagerfeuer herumgegangen und stand nun wieder neben mir. ,,Es ist normal, es nicht lange halten zu können", sagte er. ,,Man muss sich sekundenweise vorarbeiten. Das war gut."

Ich lächelte. ,,Danke, dass du mir das beigebracht hast. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist."

Rune senkte den Blick. ,,Du musst lernen, auf deine Fähigkeiten zu vertrauen."

Das war schwierig, wenn man wenig davon aufzuweisen hatte. Ich erwiderte nichts darauf, stattdessen glitten meine Gedanken weiter. Wenn ich nun in der Lage war, die Luft zu manipulieren, konnte ich mich unter anderem Feuerelementariern besser zur Wehr setzen. Das war praktisch. Wie aber sah es mit einem ganz bestimmten Feuerelementarier aus? Mir fuhr ein Schauer über den Rücken. Brauchten Seths Flammen Sauerstoff, um zu brennen? ,,Was ist mit Seth?", sprach ich meine Gedanken ohne Kontext aus. Rune bedachte mich mit einem irritieren Blick, er schien meinen Gedankengängen nicht folgen zu können.

,,Seth hat kein normales Feuer", erklärte ich. ,,Meinst du, sein Feuer braucht trotzdem Sauerstoff, um zu brennen? Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, was das überhaupt für ein Zeug ist. Es sieht aus wie seine Seele, aber er wird im Kampf ja kaum Leute mit seiner Seele bewerfen, oder?"

Rune sah noch immer leicht irritiert aus. ,,Ich weiß nicht, ob sein Feuer Sauerstoff zum brennen braucht. Es ist gut möglich", antwortete er schließlich nachdenklich.

Das konnte eine Schwachstelle sein. Jedenfalls dann, wenn sich Seths Feuer an chemische Gesetze hielt. Als mein Blick zu Rune glitt, fiel mir noch etwas anderes auf. Er war hier, weil die Götter ihn geschickt hatten, um uns beim Kampf gegen die Rebellion und vor allem gegen Seth zu unterstützen. Aber was war, wenn es tatsächlich funktionierte und wir Seth ausschalteten? Würde er dann wieder gehen müssen? Ich holte tief Luft. ,,Was... was wirst du tun, wenn dieser Kampf vorbei ist?"

Rune antwortete nicht sofort. Ein Wind kam auf, der die Flammen des Feuers knistern ließ. Vögel zwitscherten, das Laub der Bäume raschelte. Gerade, als ich dachte, er würde gar nicht antworten, zuckte er schließlich mit den Schultern. ,,Die Götter werden mir neue Aufgaben geben."

Obwohl ich eine derartige Antwort erwartet hatte, zog sich etwas in mir zusammen. Rune war eigenartig, oft genug war er mir höchst suspekt, aber er würde mir fehlen, wenn er nicht mehr hier wäre.

Ich räusperte mich. ,,Warum... lässt du dir das einfach so gefallen?"

Mir kam es vor, als würde er vermeiden mich anzusehen. Er schüttelte langsam den Kopf. ,,Es ist eine Ehre, für die Götter zu arbeiten", sagte er. Das klang selbst für seine Verhältnisse auswendig gelernt. Sein Blick war noch immer auf den Boden gerichtet. ,,Es tut mir leid, Cleo." Dann ging er. Stirnrunzelnd sah ich ihm hinterher. Was tat ihm leid? Dass er gehen musste, oder dass er sich nicht gegen die Dinge wehrte, die die Götter von ihm verlangten? Einmal mehr fragte ich mich, ob ich überhaupt auf der richtigen Seite kämpfte. Ich kämpfte für Götter, die ich bis auf wenige Ausnahmen noch nie gesehen hatte, die von ihren Nachfahren erwarteten, dass diese für sie und ihr System ohne wenn und aber ihr Leben ließen. Der einzige Grund, weshalb ich noch hier war und für genau dieses System kämpfte, war, dass die Alternative noch schlimmer war.
Ich blickte Rune hinterher und schüttelte den Kopf. Manchmal wünschte ich wirklich, dass die Linien zwischen Gut und Böse klarer gezogen wären. Damit sich nicht alles, was ich tat, so verdammt falsch anfühlte.

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt