Kapitel 13.4

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~Seth

Irgendjemand dachte sich nach dem gestrigen Abend, dass es eine gute Idee wäre, heute eine Krisensitzung abzuhalten. Keine Ahnung, welcher Held diesen Einfall hatte, aber offensichtlich jemand, der gestern keine astronomische Menge Absinth verdrückt hatte.
Nachdem wir eine Packung Ibuprofen und ein Wasserglas im Kreis herumgereicht hatten, eröffnete Ace schließlich die 'Sitzung'. Er wirkte im Vergleich zum Rest der Gruppe verdächtig lebendig, eventuell hatte ich den Übeltäter gefunden.

Als Ace sich räusperte, starrten ihn vier leere Augenpaare an. ,,Wir haben eine Anfrage vom Rebellenstützpunkt in North Carolina bekommen. Die Rebellen haben dort viel Zustimmung und stehen kurz davor, das erste Internat einzunehmen."

Ich hatte bereits mitbekommen, dass es in North Carolina viele Rebellen gab- ich hatte dort unter anderem Adler, Leandros' damalige rechte Hand getötet und Lysanna eingesammelt. Dass sie mittlerweile so weit waren, ein Internat einzunehmen, hatte ich allerdings nicht gewusst.

Ace' Blick traf auf mich. ,,Dafür brauchen sie Verstärkung - unseren Gott."

Unseren Gott. Wie sich das anhörte. Frei nach dem Motto ,,Können wir euren Panzer ausleihen?"

Der Panzer würde allerdings fehlen, wenn wir der Anfrage nachgingen.
Ich massierte mit den Händen meine Schläfen und sah Ace an. ,,Internat einnehmen ist schön und gut, aber wenn wir gehen, wird der Stützpunkt hier schlechter gesichert sein."

Ace runzelte die Stirn, als hätte er diese Tatsache noch nicht bedacht. Dann aber zuckte er mit den Schultern.
,,Das stimmt, aber ich denke, dass wir dieses Risiko eingehen sollten."

Ich starrte das Wasserglas vor mir an. Ein Internat einzunehmen hieß, einen Haufen Leute abzuschlachten. Viel Zustimmung hieß nicht alle. Viele Rebellen bedeutete mindestens ebenso viele Leute, die nicht der Rebellion angehörten.
Mein Blick wanderte zu Lysanna, die desinteressiert auf den Boden starrte, als würde sie das alles nichts angehen. Als ich sie ansah, schwappte prompt eine düstere Erinnerung in mein Hirn. Sie hatte etwas mit ihr und Everything I Do zu tun...

Mit den Fingern spielte ich an dem Armband an meinem Handgelenk herum. ,,Das wird ein riesiges Blutbad."

Ruckartig drehte sich Ray in meine Richtung und sah mich an. Es war faszinierend, wie wach er auf einmal wirkte, obwohl er eben noch wie ein Labrador auf Drogen ausgesehen hatte. ,,Hast du ein Problem damit?"

Hatte ich? Ich war mir nicht sicher. Das Internat in North Carolina war ein Internat voller Schüler und Kämpfer. Wie viele von ihnen würde man umbringen müssen, um die Internatsleitung mit dem Rücken gegen die Wand zu stellen? Wie viele Tote auf beiden Seiten würde es geben, bis wir in einer Position wären, in der wir ernsthafte Forderungen stellen konnten? Ich drehte das Armband an meinem Handgelenk hin und her.
Ich bin bereit, für diese Ziele zu töten. Das hatte ich versprochen und daran würde ich mich halten. ,,Nicht im Geringsten. Aber das wird zu Verlusten führen." Ich drehte den Kopf in Rays Richtung und sah ihn an. ,,Dass ich mit euch kämpfe, ist kein Freifahrtsschein für alles."

Ray angelte sich die Ibuprofen - Packung und das Wasserglas und schluckte zwei weitere Tabletten, als wären es Smarties. Manchmal wunderte es mich wirklich nicht, dass der Kerl nicht unbedingt die hellste Kerze auf der Torte war. ,,Ich denke, wir sollten das Risiko eingehen. Das ist unsere Chance. Und das 'wir-und-ihr' - Denken fand ich sowieso schon immer schwachsinnig." Er schielte auf die Schmerzmittel, als überlegte er, sich einen weiteren Snack zu gönnen. Ich streckte den Arm aus, nahm die Packung und legte sie außerhalb seiner Reichweite neben mir auf den Tisch. Er warf mir einen finsteren Blick zu.

Ich sah zu Lysanna und Kain. ,,Was sagt ihr dazu?"

Lysanna richtete sich auf und schüttelte die Schultern aus. ,,Blut, Tod und Verderben? Klingt super, da bin ich dabei."

Mein Blick wanderte zu Kain. Der zuckte nur mit den Schultern. ,,Ich bin sowieso nur ein Mitläufer."

Ich richtete mich wieder an Ace. ,,Richte den Rebellen in North Carolina aus, dass sie ihre Hilfe bekommen."

Er nickte.

Lysanna lehnte sich nach vorne. ,,Und wie kommen wir dorthin? Nimmt Seth uns alle Huckepack und teleportiert uns nach North Carolina oder machen wir einen auf krasse Rebellen und klauen ein Auto vom Internat?", fragte sie.

Vier Leute auf einmal zu teleportieren würde ich vermutlich nicht schaffen und zwei Mal nach North Carolina und zurück teleportieren würde an meinen Kräften zehren. Ich schüttelte langsam den Kopf. ,,Das schaffe ich wahrscheinlich nicht ohne... Zwischenmahlzeit." Ich runzelte die Stirn. ,,Ihr habt einen riesigen Palast, super aufwändige Rüstungen, drei Flipper-Automaten und keine Autos?"

,,Autos sind schlecht für unseren CO2 - Fußabdruck", warf Kain ein.

Ray seufzte. ,,Kain, sei leise und iss deine Bio-Äpfel."

Mein Blick wanderte zwischen den beiden her. ,,Was ich mich schon die ganze Zeit frage- woher nehmt ihr überhaupt das Geld, um das alles zu finanzieren? Die Internate kriegen Geld von den Göttern gesteckt, aber ihr offensichtlich nicht."

Kain biss in einen Bio-Apfel und nickte mit dem Kinn in Rays Richtung. ,,Sein Verdienst. Er... Nun, sagen wir, er überredet Leute dazu, uns eine Spende zukommen zu lassen."

Ungläubig sah ich zu Ray, der zufrieden wie eine Katze grinste, die soeben einen Goldfisch verspeist hatte. Er hatte auch diese überaus praktischen Überzeugungsfähigkeiten gegenüber Menschen?

,,Ihr beklaut Leute?", wiederholte ich entgeistert.

,,Ja, aber nur die, die's verdient haben und sowieso viel zu viel haben", erwiderte Ray schulterzuckend. ,,Amerika hat da ja genug Kandidaten zu bieten."

Allerdings. Ich musterte den bunthaarigen Punk kopfschüttelnd, er grinste breit zurück. ,,Ihr wart also der Meinung, dass Flipper wichtiger sind als Autos", fasste ich die Situation zusammen.

Ray schüttelte den Kopf. ,,Wir haben tatsächlich Autos- aber nur kleine E-Autos, um Dinge zu besorgen. Wir werfen Geld nur für Flipper aus dem Fenster." Er lächelte unschuldig.

Ich seufzte. ,,Fakt ist jedenfalls, dass ich ziemlich sicher Energie nachladen muss, wenn ich euch hunderte Kilometer durch die Gegend beamen und danach noch irgendwie ein Internat einnehmen soll."

Nun kam ein Seufzen von Lysanna. ,,Ach Hadessohn, manchmal habe ich das Gefühl, dass du eine wirklich schlechte Investition warst."

Ich ignorierte sie. ,,Wenn wir wirklich ein Internat einnehmen wollen, sollten wir vorher fragen, ob sich noch jemand anschließen möchte. Wir können jede Hilfe gebrauchen.".

,,Sehe ich auch so", kam es von Ace. ,,Das ist keine kleine Sache und wir sollten jedem die Chance geben, dort mitzuwirken."

Ich nickte langsam. ,,Ich spreche das später an. Dann machen wir davon abhängig, wie wir dorthin kommen."

Als wir den Raum verließen, fing Lysanna mich draußen ab. ,,Du bist nicht vollkommen überzeugt, oder?" Ihre eisblauen Augen sahen mich so durchdringend an, als könnte sie meine Gedanken lesen. Sie hatte Recht. Es kam mir vor, als wäre es noch zu früh dafür - gleichzeitig hatte ich keine Ahnung, wann ansonsten der richtige Zeitpunkt sein sollte. Es würden sich niemals alle Leute der Rebellion anschließen. Ich hatte bereits für die Rebellion getötet, dennoch hatte ich ein Problem damit, Schüler zu töten. Sie glaubten und kämpften für das alte System, weil sie nie etwas anderes gekannt hatten.
Ich schüttelte den Kopf. ,,Das wird 'nen Haufen Tote geben. Bei ihnen und bei uns. Ich weiß nicht, ob wir auf so etwas wirklich vorbereitet sind."

Es fühlte sich eigenartig an, ein ernstes Gespräch mit Lysanna zu führen, vor allem nach dem gestrigen Abend.

,,Ganz ehrlich?" Sie fuhr mit den Fingern über das Rebellionszeichen auf ihrem Oberarm. ,,Du hast Hephaistos getötet. Das weiß jeder. Wenn wir Glück haben, werden sie schnell kapitulieren."

,,Man setzt darauf, dass sie Schiss vor mir haben", übersetzte ich.

Lysanna nickte langsam. ,,Die Internatsleitung sollte ebenfalls kein Interesse an unzähligen Toten haben. Und falls doch..." Ihre eisblauen Augen suchten meinen Blick. ,,Werden wir kämpfen."

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt