Kapitel 14.5

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~Seth

Den Moment, in dem ich mit Lysanna auf dem Arm ins Krankenhaus rannte, nahm ich wahr, als hätte jemand mein Gehirn in Watte gepackt. Das grelle, weiße Licht blendete mich und die hektischen Schritte der Sanitäter, die auf mich zurannten, als ich nach Hilfe rief, klangen dumpf in meinen Ohren. Dafür hörte ich mein eigenes Herz. Es pochte hektisch, schien meinen gesamten Körper mit jedem Schlag zu erschüttern. Ich klammerte mich an Lysannas eiskalten Körper, während sich die Sekunden, bis die Sanitäter vor uns zum Stehen kamen, ewig zu ziehen schienen. Lysanna rührte sich nicht, als ich sie wie betäubt auf die Krankenliege legte. Ich ging im Laufschritt neben der Liege, während ich Lysannas kalte Hand umfasste. ,,Dolch, zwanzig Zentimeter, steckt unterhalb der Rippen", hörte ich mich faseln. ,,Wahrscheinlich hat er keine Organe erwischt, aber sie hat Blut verloren. Viel."

,,Sie haben alles richtig gemacht", durchdrang die Stimme eines Sanitäters den Nebel in meinem Hirn. ,,Ab hier übernehmen wir." Was sollte ich richtig gemacht haben? Sie an der Seite des Schlachtfelds zu platzieren, um dutzende Leute abzuschlachten? Den Dolch nicht herauszuziehen? Sie hierher gebracht haben?

Die Liege wurde in einen Raum geschoben, woraufhin mir der Sanitäter mit einer Handbewegung bedeutete, dass es hier für mich nicht weiter ging. Sie würden sie in den OP bringen und an ihr herumschneiden und ich... ich musste warten. Konnte nichts tun, außer zu warten. Ich starrte abwesend auf die geschlossene Tür, bis mich irgendwann eine vorbeilaufende Pflegerin auf einem Stuhl parkte. Und dort saß ich. Hörte das Ticken der Uhr, die an der gegenüberliegenden Wand hing. Die Sekunden zogen sich quälend lange. Während das Adrenalin langsam nachließ, wich die Kraft aus mir. Mein Puls beruhigte sich, nur das enge, beklemmte Gefühl im Brustkorb ließ nicht nach. Lysanna durfte nicht sterben. Ich konnte sie nicht verlieren. Ich blickte auf, als ich in den Augenwinkeln sah, wie jemand auf mich zukam, doch es war nur eine vorbeilaufende Pflegerin, die mir einen befremdlichen Blick zuwarf. Verständlicherweise. Ich saß hier in Rebellenrüstung, vermutlich über und über mit Blut besudelt, das mir nicht gehörte. Irgendwann würde jemand Fragen stellen, da war ich mir sicher. Meine Hand zitterte, als ich mir damit durch die Haare fuhr. Meine Finger verhakten sich in den blutverklebten Strähnen, Blutpartikel rieselten auf den weißen Boden, als ich meine Hand mit einem Ruck löste. Das Schwarz der Rüstung kaschierte das Meiste, aber sie schimmerte rot ungefähr... überall.

Erneut näherten sich Schritte. Schwere, schwarze Boots, die mit hoher Wahrscheinlichkeit niemandem vom Pflegepersonal gehörten. Irritiert hob ich den Kopf und starrte zwei Männer mittleren Alters in Uniform an. Cops. Beinahe hätte ich gelacht. Ich lebte in einer Welt, in der das Töten alltäglich war, in der niemand zwei Mal nachfragte, weshalb oder warum. Und nun war ich hier - in der Welt der Menschen, wo die Polizei kam, wenn man jemanden mit einem Dolch im Bauch ins Krankenhaus brachte. Ich zuckte zusammen. Schien, als würde das menschliche System doch ein wenig funktionieren. Zumindest war es kein kompletter Scherbenhaufen wie unseres. Die Cops musterten mich prüfend, einer hob spöttisch die Augenbraue. ,,Und Sie sind also derjenige, der vorhin das Mädchen hierher gebracht hat? Da von einem Gewaltdelikt auszugehen ist, müssen wir ihnen ein paar Fragen stellen."

Sein Kollege musterte mich stirnrunzelnd. ,,Vielleicht sollten sie vorher noch Ihren Kopf ansehen lassen."

Ich schob mir eine blutgetränkte Haarsträhne aus dem Gesicht. ,,Ach das? Keine Sorge, das ist nicht von mir."

Der Cop blinzelte. Ich zwang mich zu einem Lächeln.

,,Nun gut. Wie ist Ihr Name?"

,,Seth."

,,Ihr Familienname?"

,,Geht Sie nichts an." Ich könnte sie einfach wegschicken, aber so schräg es auch war, im Augenblick war es mir lieber, Konversation mit Cops zu betreiben, als weiterhin die Flecken an der Wand zu zählen.

Verärgert trat der größere von beiden einen Schritt nach vorn. ,,Das tut es sehr wohl-"

Ich blickte auf das Namensschild eines vorbeilaufenden Pflegers. ,,Evans", log ich.

,,Wie ist das passiert?", fragte der, der mir näher stand. ,,Ist das dieser Anime-Cosplay-Rollenspiel-Scheiß?"

Wenn Ray das gehört hätte, wären das wohl seine letzten Worte gewesen. Ich drappierte den Umhang meiner Rüstung über meine Schulter und nickte nachdrücklich. ,,Genau, dieser Anime-Cosplay-Rollenspiel-Scheiß."

Während der, der die Frage gestellt hatte, nachdenklich nickte, schien der andere genug Hirnzellen zu besitzen, um zu merken, dass ich sie auf den Arm nahm. ,,Wir müssen Sie aufs Revier mitnehmen", sagte er nur knapp und wollte mich am Arm packen. Reflexartig wich ich seiner Bewegung aus. ,,Werden sie nicht."

Die Hände des einen Polizisten tasteten nach seiner Waffe. ,,Was ist mit dem Mädchen passiert?", schrie er mich an. Ich hob den Kopf und sah ihm ins Gesicht. Mein Blick bohrte sich durch ihn, in seinen Verstand, der wie ein rohes Ei zerplatzte. ,,Hör zu", sagte ich mit weicher, bestimmter Stimme, woraufhin er sofort verstummte und seine Augen einen glasigen Ausdruck annahmen. ,,Hier ist nichts passiert. Alles cool. Geht wieder. Hier ist nichts." Der Cop blinzelte und nickte langsam. Dann wandte er sich an seinen Kollegen. ,,Gut, lass uns gehen."

Dieser riss ungläubig die Augen auf. ,,Ist das dein Ernst? Wir sollen diesen Anime-Fetischisten einfach so gehen lassen?" Meine Hände ballten sich zu Fäusten, währenddessen suchte ich seinen Blick. ,,Genau genommen werdet ihr beide gehen. Ihr konntet ja nichts beunruhigendes feststellen." Ich setzte ein Lächeln auf und als ich diesen arroganten Kerl in dieser Uniform sah, konnte ich einfach nicht widerstehen. ,,Und tu mir den Gefallen, geb dir 'ne Ohrfeige."

Ein sattes Klatschen ertönte, als der Cop sich die flache Hand gegen die Wange schlug. Danach blinzelte er irritiert, ebenso wie sein Kollege. Sie nickten mir zu, murmelte eine Verabschiedung und verließen dann wie ferngesteuert das Krankenhaus. ,,Vollpfosten", murmelte ich. Manchmal war es wirklich praktisch, ein Gott zu sein.
Nachdem die Cops abgezischt waren, wurde es wieder still. Viel zu still. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Was würde ich tun, wenn Lysanna es nicht schaffte? Zur Hölle, das konnte sie mir nicht antun. Nicht jetzt, wo wir ein Internat eingenommen hatten. Sie sollte das erleben. Sie durfte nicht sterben.
Um der Stille zu entgehen, stand ich auf und suchte das WC, um mir am Waschbecken das Blut von den Händen zu waschen. Und das aus dem Gesicht. Schlussendlich quetschte ich einfach meinen Schädel unter den Wasserhahn und ließ mir das kalte Wasser über den Kopf laufen. Das Wasser im Waschbecken war leuchtend rot, als ich mich wieder aufrichtete. Ich drückte mechanisch das Wasser aus meinen Haaren und warf einen kurzen Blick in den Spiegel. Sie schimmerten immer noch rötlich, aber es war nicht mehr so schlimm wie vorher. Ich holte tief Luft und ging anschließend wieder nach draußen. Immer noch still. Unruhig tigerte ich den Gang entlang, warf dem Snack-Automaten sehnsüchtige Blicke zu und bereute, dass ich kein Geld dabei hatte. Totmüde ließ ich mich schließlich wieder auf den Stuhl sinken und schloss die Augen. Wie lange konnte so eine OP dauern? War das ein schlechtes Zeichen? Hatte dem Personalmangel sei Dank nur noch niemand Zeit gehabt mir zu sagen, dass Lysanna schon längst tot war? Mir fuhr ein Schauer über den Rücken, der nichts mit dem eiskalten Wasser zu tun hatte, das mir in den Nacken tropfte.
Als sich erneut Schritte näherten, schlug ich die Augen auf und bog die Wirbelsäule durch. Eine Krankenpflegerin kam in schnellen Schritten auf mich zu. Mein Herz setze einen Schlag aus und verdoppelte dann seinen Rhythmus. Ich sprang auf, so schnell, dass schwarze Punkte vor meinen Augen tanzten.
Als sie vor mir zum Stehen kam und mir wachsam in die Augen blickte, hatte ich das Gefühl, gleich zusammenzubrechen.

,,Sie sind derjenige, der das Mädchen vorhin hierher gebracht hat?"

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt