Kapitel 10.3

242 23 52
                                    

~Seth

Ich hob den Blick und starrte direkt in ein türkisfarbenes Augenpaar. Ein Gesicht, umrahmt von pechschwarzem Haar, geschmückt mit drei schwarzen Piercings. Ich kannte dieses Gesicht- oh Götter, ich kannte ihn. Aber wie konnte er hier sein? Ich hatte ihn in den Armen gehalten, als er gestorben war, ich hatte gesehen, wie langsam das Leben aus ihm gewichen war- ich erschauderte. Das ganze Blut. Sein kalter, toter Körper. Mein Brustkorb krampfte sich schmerzhaft zusammen. Matt. Er stand vor mir, er lebte, er atmete- aber wie war das möglich?
Oh Götter, ich vermisste ihn so sehr. Ich brauchte ihn.  ,,Matt", flüsterte ich.

,,Hey Kumpel." Er hob die Hand und wackelte mit den Fingern.

,,Ich hab dich lieb", platzte ich heraus, bevor er verpuffte, verschwand oder sonst irgendwas.  ,,Du fehlst mir."

,,Ach ja?" Matt neigte den Kopf zur Seite.

Seine Worte ließen mich zusammenzucken. Was zum...

,,Warum bist du hier, Seth? Denkst du wirklich, dass das die richtige Entscheidung war?"

Ein eiskalter Schauer fuhr mir über den Rücken. ,,Matt, ich-"

,,Seth." Matt sprach meinen Namen mit so viel Kälte aus, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Warum tat er mir das an? Warum... war er so?  ,,Muss ich dich daran erinnern, wer mich getötet hat? Weshalb Esme eine Vasanistin wurde?"

Mir schlug das Herz bis zum Hals. Er hatte Recht. Die Rebellion, die Leute, denen ich meine Treue geschworen hatte, deren Zeichen ich unter der Haut trug, waren Schuld daran, dass Cat eine Vasanistin geworden war. Es war ein Rebell gewesen, der Matt getötet hatte. Schmerz schnürrte mir die Kehle zu und raubte mir den Atem. Ich war hier. Ich hatte mich entschieden. Aber war es die richtige Entscheidung gewesen? Matt kam näher, seine türkisfarbenen Augen suchten meinen Blick.   ,,Du gehörst nicht hierher."

,,Ich... Ich kann nicht zurück."

,,Doch, das kannst du", widersprach Matt. ,,Oder willst du, dass Esme oder Cleo eines Tages darüber nachdenken müssen, wie sie dich am besten töten können?"

Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Ich wollte das nicht. Zur Hölle, ich konnte nicht mehr. Matt trat näher. ,,Denk darüber nach", raunte er. Dann explodierte plötzlich ein unfassbarer Schmerz in meinem Brustkorb. In meinem Bauch. Zwischen den Rippen. Fassungslos starrte ich auf den blutigen Dolch, den Matt in diesem Moment auf den Boden fallen ließ. Glühend heißer Schmerz erfasste meinen Körper. ,,Matt", stieß ich hervor.

Das Bild verschwamm vor meinen Augen. Vergiss niemals, von wem Matt diese drei Dolchhiebe erhalten hat, Seth. Vergiss nicht, wer diese Leute sind.

Nach Luft ringend schreckte ich auf. Schwarze Leere umgab mich, mein Puls hämmerte und mein Brustkorb glühte nach wie vor. Wo war ich? Wo war Matt? Und warum... warum hatte er das getan? Ich blinzelte. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und ich erkannte langsam die Umrisse von Kains Appartement. Ein Traum. Aber so realistisch? So eindringlich? Ich tastete mit der Hand nach Matts Freundschaftskette und merkte, wie mein Sichtfeld verschwamm. Ich sprang aus dem Bett, so schnell, dass mir schwindlig wurde. Dennoch blieb ich nicht stehen. Ich ging durchs Zimmer, stieß die Balkontür auf und sog die eiskalte Nachtluft ein, die mir entgegen schlug. Meine Hände zitterten. Mein gesamter Körper zitterte. Oh Götter, was hatte ich getan? Warum war ich hier? War das wirklich das Richtige gewesen? Und warum... warum Matt? Ich lehnte mich über die Brüstung und starrte in die Tiefe. ,,Fuck!"

Ich hörte, wie sich Schritte näherten. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Kain auf mich zukam und neben mir stehen blieb. Er stand einfach nur da, die Arme auf die Brüstung gestützt und blickte herab. Langsam beruhigte ich mich. Ein Traum. Nur ein verdammter Traum.

,,Willst du reden?" Kains Stimme klang ruhig, es schien ihm nichts auszumachen, dass er mitten in der Nacht geweckt worden war. Ich drehte den Kopf zur Seite. Seine Haare waren zu einem dicken Zopf geflochten, der ihm vorne über die Schulter fiel, seine türkisen Augen schienen das schwache Licht zu reflektieren. Türkis. Mir fuhr ein Schauer über den Rücken.

,,Ich... glaube nicht."

Kain warf seinen Zopf über die Schulter. ,,Neu anzufangen ist nie leicht." Nachdenklich blickte er in den sternenüberzogenen Himmel. ,,Als ich ein Vasanist wurde, bin ich ewig nicht mit dem Gedanken klargekommen, dass ich mich jetzt nähren muss. Das braucht alles seine Zeit."

Kains ruhige Art brachte mich langsam herunter. Ich atmete tief ein und wieder aus, dann räusperte ich mich. ,,Mein bester Freund wurde von deinen... von meinen Leuten getötet." Unterbewusst berührte ich die wunde Haut an meinem Hals. ,,Er ist mir im Traum erschienen und hat mir Vorwürfe gemacht. Weil ich hier bin."
Warum erzählte ich ihm das alles? Ich kannte ihn kaum zwei Tage, aber irgendwie hatte Kain eine Art an sich, die mir das Gefühl vermittelte, ihm das anvertrauen zu können.

,,Hätte dein Freund so etwas getan?" Der Braunhaarige drehte den Kopf zu mir und sah mich an.

Matt hatte immer zu mir aufgesehen. Er war eine der wenigen Personen gewesen, denen ich blind vertraut hätte. Er war mir wichtig gewesen und er... er hatte mich geliebt.

,,Nein", antwortete ich schließlich. ,,Hätte er nicht."

,,Träume sind manipulierbar. Vor allem dann, wenn du gegen dich selbst kämpfst." Er nickte mir zu. ,,Ich lass dich dann mal wieder alleine. Schönheitsschlaf und so." Im Vorbeigehen klopfte er mir auf die Schulter, ehe er wieder sein Appartment betrat.
Träume sind manipulierbar. Das hatte ich bereits erlebt- von Leandros. Leandros war allerdings tot und- in diesem Moment dämmerte mir etwas. Vergiss niemals, von wem Matt diese drei Dolchhiebe erhalten hat, Seth. Vergiss nicht, wer diese Leute sind. Diese Worte hatte nicht Matt gesprochen. Die Stimme war mir bekannt vorgekommen. Mein Vater. Hades.

,,Dieser miese Bastard", fauchte ich die Schwärze der Nacht an. Ich ballte die Hände zu Fäusten, Feuer flammte auf und fraß sich meine Arme hinauf.  ,,Ich schwöre, wenn ich dich das nächste Mal sehe, werde ich dich bezahlen lassen", knurrte ich. ,,Und wenn es das letzte ist, was ich tun werde."

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt