Kapitel 9.3

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~Seth

Als ich Rune so vor mir stehen sah, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Er war mit wohl kaum wohlgesinnt, gleichzeitig wirkte er nicht, als wollte er angreifen. Sein Gesicht und seine Körperhaltung strahlten Gelassenheit aus. Das Feuer erwachte in mir, brannte heiß in meinen Adern und verlangte, freigelassen zu werden. Ich krampfte die Hände fester zusammen und hielt es vorerst zurück.

,,Die Götter haben mich nur aus einem Grund hierher geschickt." Der Wikinger fuhr mit der Hand über die Schneide seiner Axt. ,, ,Wenn er etwas tut, dass uns gefährdet- töte ihn. Wenn er komisch schaut, wenn er seltsam agiert, wenn er in die falsche Richtung atmet-' " Seine gelben Iriden fixierten mich. ,,Töte ihn." Ich öffnete die Hand. Schwarz-rote Flammen umhüllten meinen Arm, bereit, alles aufzufressen, was mir zu nahe kam. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht, als er das Feuer sah. ,,Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Die Leute vergessen, dass der Planet Erde aus mehr als nur einem Element besteht."

Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, dann allerdings begriff ich. Er war ein Nachfahre von Gaia- der Erde selbst. Sein Element war jedoch nicht die Erde. Das war das Besondere an ihm- er beherrschte sie alle vier. Ich konnte nicht einschätzen, womit ich es zu tun hatte, deshalb verzichtete ich darauf, ihn kopflos anzugreifen, obwohl das Feuer in mir rumorte und die Flamme in meiner Hand immer weiter in Runes Richtung wanderte. ,,Du beherrschst alle vier Elemente."

Er antwortete nicht.

,,Und", sagte ich. ,,Willst du mich jetzt töten?"

,,Heute muss niemand von uns sterben."

Während ich ihn ansah, kam mir in den Sinn, was Estelle von ihm erzählt hatte. Dass er ein Werkzeug der Götter war, immer dort, wo sie ihn gerade haben wollte. Vielleicht wollte er genau das nicht mehr sein. ,,Die Götter benutzen dich." Mein Blick glitt über die tätowierten Runen auf seinen Armen. ,,Du musst dir das nicht gefallen lassen."

,,Ich werde dich gehen lassen. Ich hoffe, du findest deinen Weg." Er ließ die Axt sinken.

,,Warum kommst du nicht mit?", fragte ich spontan.

,,Das kann ich nicht. Geh. Wenn wir uns noch einmal treffen, werde ich dich töten, Hadessohn." Ich würde ihn auf die Liste unter Lysanna setzen. Er nickte mir zu, dann drehte er sich um und ging davon. Ich nahm mir keine Zeit, um die Situation genauer zu verarbeiten, sondern drehte mich wieder zu Lysanna. ,,Du solltest einen Schritt zurücktreten." Entgegen meiner Erwartungen, hinterfragte sie es nicht, sondern wich tatsächlich zurück. Ich streckte die Hand aus und ließ jene Flammen los, die sich bis eben in mir angestaut hatten. Sie strömten aus meiner Hand und fraßen sich durch die Gitterstäbe. Es kostete mich kaum Kraft. Kein Vergleich mehr zu dem Zustand vor wenigen Wochen. Ich fühlte mich wie damals, vor meinem Kampf gegen Leandros. Besser als das. Ein verbrannter Geruch erfüllte die Luft, Metall schmolz in sich zusammen. Immerhin funktionierte das Ganze so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Als das Loch in den Gitterstäben groß genug war, um hindurch zu gehen, ließ ich das Feuer erlöschen. Lysanna trat augenblicklich in die Freiheit, aber ich spürte förmlich, wie ihr Blick mich durchbohrte. ,,Was zur Hölle bist du?"

Da war ich mir mittlerweile selbst nicht mehr sicher. Irgendetwas göttliches, gekreuzt mit einem Junkie. ,,Frag mich etwas leichteres."

Sie schob sich eine violette Haarsträhne hinters Ohr. ,,Gut. Wie wirst du uns hier rausbringen?"

,,Nichts leichter als das. Halt dich an mir fest."

Zögerlich trat sie näher. Ich merkte, dass ihr das widerstrebte, aber schließlich streckte sie die Hand aus und hielt sich an meinem Arm fest. Mehr, weil ich sie ärgern wollte, als dass es wirklich nötig gewesen wäre, legte ich meinen Arm um sie. Mein Blick wanderte ein letztes Mal durch das Gefängnis, ehe ich die Augen schloss und mir jenen Ort im Wald vorstellte, an dem ich gegen Damian gekämpft hatte. Er lag in der Nähe der alten Fabrikhalle, in der ich Leandros besiegt hatte. Ich ging davon aus, dass sich irgendwo dort auch die Rebellion versteckte. Ein Gefühl von starkem Schwindel erfasste mich, als die Luft uns verschluckte. Bruchteile einer Sekunde wurden wir durch Zeit und Raum geschleudert, dann spürte ich das weiche Laub des Waldes unter den Sohlen meiner Stiefel. Ich öffnete die Augen und ließ Lysanna los, die etwas verstört blinzelte.

,,Du kannst dich beamen?"

,,Das kann ich."

,,Das ist cool. Warum kann ich das nicht?"

,,Weil du nicht cool bist?"

Sie erwiderte nichts mehr. Stattdessen wanderte ihr Blick fasziniert durch den Wald. Obwohl die Bäume kahl waren und die Atmosphäre grau und trist wirkte, sah Lysanna aus, als hätte sie noch nie etwas schöneres gesehen. Sie hatte die letzten Monate in einer dunklen Zelle ohne jegliches Sonnenlicht verbracht, dementsprechend konnte ich ihr das nicht verübeln. Sie war wegen mir dort eingesperrt gewesen, ihr die Freiheit zurückzugeben, war das Geringste gewesen, was ich hatte tun können.

Sie atmete tief durch. ,,Danke, Seth."

Meinen richtigen Namen aus ihrem Mund zu hören war so seltsam, dass mir ein Schauer über den Rücken fuhr.

,,Dank mir nicht."

Sie schüttelte die Schultern aus und musterte mich prüfend. ,,Du musst mir einiges erklären. Woher der plötzliche Sinneswandel?"

Ich holte tief Luft. ,,Du hast mich gefragt, was ich bin. Ich bin eine Art Gott. Krasse Superkräfte und so. Aber um diese Kräfte zu nähren, brauche ich Seelen." Gedankenverloren fuhr ich die Linien meines Tattoos nach. In Frage gestellt hatte ich die Götter schon immer. Aber jetzt... jetzt hatte ich das Gefühl, eine Rechnung mit ihnen offen zu haben.  ,,Ich bin die ganze Zeit ein typisches Opfer des Systems gewesen und hab verdrängt, dass ich Seelen brauche. Ich hab gewusst, was der Rat tut und dass es falsch ist, aber ich habe es ignoriert." Ich senkte den Blick. ,,Ich... habe jemanden verloren und das hätte verhindert werden können, wenn ich mich nicht an die beschissenen Regeln gehalten hätte." Der Gedanke an Matt bohrte sich schmerzhaft, wie ein Dolch in mein Herz. Gänsehaut überzog meine Arme. Ich versuchte zu atmen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Matt. Ich berührte die Kette an meinem Hals und vermied es, Lysanna anzusehen.

,,Ich muss verrückt sein", sagte sie schließlich. ,,Aber ich glaube dir. Wenn du wirklich ein Gott bist, hättest du meine Leute wohl schon längst ausgelöscht, wenn du das gewollt hättest, also- werde ich dich zu ihnen bringen."

Ich erwiderte nichts, schenkte ihr aber ein kurzes Lächeln.

Sie räusperte sich. ,,Hadessohn?"

,,Hm?"

,,Dein Verlust tut mir leid."

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt