Kapitel 17.5

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~Cleo

Ich hörte Stimmen. Wirres, unklares Gemurmel, dass wie durch Watte in meinem Hirn ankam. Ich wollte die Augen öffnen, scheiterte aber kläglich daran, meine viel zu schweren Lieder zu heben. Die Dunkelheit griff erneut nach mir, aber die Stimmen, die ich vernahm, wurden klarer.

,,Wann, bei den Göttern, ist sie so stark geworden? Sie hat Seth bezwungen. Seth. Wir verdanken ihr den heutigen Sieg... "

,,Sie ist die ganze Zeit so stark gewesen", erwiderte eine ruhigere Stimme. ,,Aber sie musste sich entscheiden. Und das hat sie erst vorhin- in diesem Moment."

,,Sie hat sich gegen ihn und für uns entschieden."

,,Sie hat entschieden, welche Seite gewinnen wird."

Mühsam hob ich ein Augenlid. Das grelle Licht bohrte sich wie ein Laser in meine Pupille, was mich hektisch blinzeln ließ. Ein Schatten beugte sich über mich und schirmte das blendende Neonlicht etwas von mir ab. Ich blinzelte langsamer. Dann erkannte ich eine Kette, die über mir baumelte. Und dann ein gruseliges, gelbes Augenpaar.

Ich riss beide Augen auf und wich zurück. ,,Waaah!" Die gelbäugige Kreatur wich ebenfalls zurück, während ich nach etwas tastete, womit ich mich verteidigen konnte. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, während mein Puls von Null auf hundertachtzig anstieg und mein Herz gegen meinen Brustkorb trommeln ließ. Ich bekam etwas zu fassen und warf es. ,,Komm bloß nicht näher! Komm auf keinen Fall-"

Das Kissen klatschte gegen einen großen Körper und fiel auf den Boden. Ich wollte nach einem weiteren Gegenstand greifen, als ich erneut blinzelte und kurz inne hielt. Moment. Diese Kreatur kam mir irgendwie bekannt vor... Mein Arm arbeitete jedoch schneller als mein Hirn, griff erneut nach einem Kissen und warf es. Es prallte erneut gegen die Kreatur, die mich aus großen, bernsteinfarbenen Augen irritiert anstarrte. Eine Linie von schwarzen Runen verlief unter dem Auge über einen bleichen Wangenknochen.

,,Cleo!", kam es von der anderen Seite. ,,Könntest du vielleicht damit aufhören, Rune mit Kissen zu bewerfen? Das ist echt peinlich." Dawsons Stimme klang genervt.

Ich schüttelte meinen Kopf, als wollte ich meine Gehirnzellen wieder an den richtigen Ort rücken. ,,R-Rune", wiederholte ich.

,,Rune", bestätigte Dawson.

Mein Blick wanderte zu dem Wikinger weiter hinten im Raum, der mich ansah, als hätte ich einen Welpen an den Kopf getreten. Verlegen kratzte ich mich am Kopf. ,,Tschuldigung." Desorientiert starrte ich zuerst Rune an, dann schweifte mein Blick durch den Raum, in dem ich mich befand. Ich saß auf einem Bett, in einem Raum mit strahlend weißen Wänden. Neben mir standen diverse Gerätschaften, was mich darauf schließen ließ, dass ich mich in der Krankenstation befand. Ich runzelte die Stirn. Krankenstation... Plötzlich schwappten die Erinnerungen zurück in mein Hirn und ließen mich zusammenzucken. ,,Seth?", brachte ich heraus.

,,Sicher verwahrt, in den Gefängnissen." Dawsons Blick schien mich zu durchbohren. ,,Dank dir." Erleichtert atmete ich aus. Die Anspannung wich von mir und ich ließ meinen Kopf gegen die Wand sinken.

,,Wie geht es dir?", erkundigte sich Dawson. Als ich ihn genauer ansah, fiel mir auf, dass unzählige Kratzer und blaue Flecken seine Gesichtszüge verunstalteten. Sein Auge war ein wenig geschwollen, auch die Haut an seinen Armen war von blauen Flecken und vereinzelten Verbrennungen übersät. Seth hätte ihn getötet- er hätte ihn einfach getötet. Diesen Gedanken wiederholte ich wie ein Mantra. Ich wusste nicht so genau, weshalb. Hatte ich ein schlechtes Gewissen? Wegen Seth?

,,Ganz okay", erwiderte ich. ,,Ein bisschen müde vielleicht." Mein Blick wanderte wieder zu Rune, der noch immer nichts sagte. Oh Götter, hatte ich gerade wirklich panisch zwei Kissen nach ihm geworfen? Der arme Kerl. Ich widerstand dem Bedürfnis, mich ein weiteres Mal zu entschuldigen und wandte mich stattdessen an Dawson. ,,Was passiert jetzt mit Seth?"

Dieser zuckte nur mit den Schultern. ,,In zwei Tagen ist die Ratssitzung und dann wird der Rat entscheiden, was mit ihm passiert. Ich fürchte, es sieht nicht gut für ihn aus."

Mir fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. ,,Ich habe gesagt, dass ich nicht dabei helfe, ihn zu töten."

Ein Hauch von Bedauern lag in Dawsons Blick, als er mich ansah. ,,Das liegt nicht mehr in unseren Händen, Cleo."

Glühende Hitze erfasste mich, ich ballte die Hände zu Fäusten. Das war so nicht abgemacht gewesen. Ich hatte Seth nicht aus dem Verkehr gezogen, weil ich... weil ich ihm wehtun wollte? Ich riss die Augen auf. Ich hatte mich gegen Seth und für die Internate entschieden. Damit hatte ich sein Schicksal besiegelt. Ich wusste, was der Rat mit ihm tun würde und dennoch hatte ich mich für Dawson entschieden. Bei den Göttern, ich hätte Dawson nicht sterben lassen können. Seth hatte zig Menschen getötet und trotzdem hatte ich einen Freund verraten. So fühlte es sich jedenfalls an.

,,Man hat dich zur diesjährigen Ratssitzung eingeladen. Der Rat möchte dir damit danken... für das, was du getan hast", ergänzte Dawson.

,,Ich möchte auf keine beschissene Ratssitzung!", fauchte ich so energisch, dass ich selbst zusammenzuckte.

,,Es ist eine große Ehre, an einer Ratssitzung teilnehmen zu dürfen", antwortete Dawson monoton.

,,Ist mir egal!", schrie ich ihn verzweifelt an.

Dawson zuckte nur mit den Schultern und bewegte sich in Richtung der Tür. Natürlich verstand er nicht, weshalb ich ihn so hysterisch anschrie. Ich verstand es selbst nicht. Ich hatte die größte Gefahr unserer Welt ausgeschaltet und ich... ich fühlte mich beschissen.

Dawson war bei der Tür angekommen, drehte sich aber im Türrahmen nochmal um. ,,Danke, dass... du mir den Arsch gerettet hast." Dann trat er hinaus auf den Gang und ließ mich mit einem schweigenden Rune alleine. Einen Moment sahen wir beide einfach nur Dawson hinterher, dann löste sich Rune aus seiner Starre und kam zurück zu mir, ganz langsam, als befürchte er, ich könnte ihn wieder mit Kissen bewerfen. Er kam vor mir zum stehen, streckte den Arm aus und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ganz langsam und behutsam, ich hätte genug Zeit gehabt, zurückzuweichen, wenn ich das denn gewollt hätte. Aber ich wollte es nicht. Am liebsten hätte ich mich schniefend in irgendwelche Arme geworfen und fremde T-Shirts vollgeheult, aber im Augenblick genoss ich, dass Rune mir einfach symbolisierte, dass er mich verstand.

Ich holte tief Luft und sah verlegen zu ihm auf. ,,Die Sache mit den Kissen eben... Tut mir echt leid. Aber deine Augen sind echt gruselig, weißt du?" Ich biss mir auf die Lippe. Aber deine Augen sind echt gruselig, weißt du? Bei den Göttern, Cleo, wie unfähig konnte man sein? Mein Blick wanderte zu Rune, aber seine Gesichtszüge blieben ausdruckslos. Ich seufzte. ,,Entschuldigung. Deine Augen sind schön", berichtigte ich mich lahm. Es wurde nicht besser.

Rune blinzelte.

Verlegen kratzte ich mich am Kopf. ,,Ich glaube, ich bin gerade ein bisschen durch den Wind." Und plötzlich, ganz unvermittelt, begann mein Sichtfeld zu verschwimmen. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht, aber meine Augen füllten sich erneut mit Tränen und ich begann zu schniefen. Bei den Göttern, das war gerade alles zu viel für mich. Konnte ich nicht einfach wieder ohnmächtig werden? Das war wesentlich angenehmer gewesen. Falls Rune zuvor noch nicht überfordert ausgesehen haben sollte, tat er das nun ganz eindeutig. Er starrte auf den Boden, dann starrte er wieder mich an. Kurz zögerte er, dann setzte er sich neben mir auf das Bett und legte mechanisch wie ein Roboter einen Arm um mich. Dankbar für diese Geste rutschte ich noch etwas näher. ,,Entschuldigung", sagte ich wieder.

Seine Muskeln spannten sich an. ,,Schon gut." 

,,Ich will nicht, dass er stirbt", schniefte ich.

,,Ich weiß."

So saßen wir eine Weile da. Ich weinte und wusste nicht so genau, warum ich das überhaupt tat, während Rune schweigend neben mir saß und mich hielt.
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht. ,,Irgendwie dachte ich, dass sich die Rettung der Welt besser anfühlt."

Runes Arm war noch immer um mich geschlungen und ich konnte nicht in Worte fassen, wie viel mir bedeutete, dass er mich nicht allein ließ. Er hätte gehen können, wie Dawson. Er hätte sich nicht von mir vollheulen lassen müssen.
Nachdenklich sah er mich an. ,,Die Dinge waren leichter, als es noch Gut und Böse gegeben hat."

Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. ,,Was meinst du damit?"

Er ließ seinen Arm sinken. ,,Du weißt, was ich damit meine."

Nummer 13 - Todessohn IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt