drowning deep

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Serlina

Es gibt Momente, da zeigt sich Anspannung in unruhigem Verhalten. Ein wippendes Bein, eine ruhelose Hand. Heute ist es anders. Mein Körper sitzt ganz starr auf dem Zeugenstuhl. Meine verschwitzten Handflächen krallen sich in den durchnässten Stoff meiner Anzughose. Unzählige Augenpaare ruhen auf mir und versuchen aus jeder meiner Bewegung etwas herauszulesen. Ich fühle mich wie bei einer Obduktion, nur dass ich lebendig bin. Das Licht der Oberlichter des Gerichtssaals blendet mich, als ich versuche, endlich meine Stimme wiederzufinden.

Die letzten Tage und Nächte vor der Gerichtsverhandlung waren ein purer Albtraum. Doch wegen des Koffeins, der durch mein Blut pumpt, bin ich hell wach. Und durch die Sorge, die Furcht, die Aufregung. Tagelang habe ich nachts kein Auge zubekommen. Lag stundenlang wach neben Frederik und Eric im Bett, wenn ich nicht dankend die Nachtschicht übernommen habe. Jede Ablenkung war mir willkommen. Wenn ich genügend Arbeit hatte, kamen nicht diese düsteren Vorstellungen auf. Je näher der Tag kam, desto schlimmer wurden sie. Sobald in meinen Gedanken Eric nicht weiter bei Frederik aufwachsen kann, wird unsere Zukunft von Schatten und Dunkelheit beherrscht.

„Dr. Horton haben Sie die Frage verstanden? Oder soll sie wiederholt werden?"

Ihre Fragen sind noch grausamer als in meinen furchtbarsten Befürchtungen. Sie haben alles hervorgeholt. Jedes noch so kleine Detail wird präsentiert. Auch über mich. Und obwohl mich Frederiks Anwältin, darüber informiert hatte, bin ich geschockt. Sprachlos.

Langsam nicke ich, als mich Harriet Reed mit ihren hellen Augen mustert. So hatte ich sie mir nicht vorgestellt. Die Frau, die einem liebenden und beschützenden Dad sein Jungen nehmen will. Ich dachte in ihren Augen spiegelt sich das pure Böse. Denn nur so jemand könnte so etwas Grausames einem Vater und seinem Vater antun. Äußerlich gleicht sie einem Engel. Ihre strahlend hellen Haare kringeln sich bis hin zu ihren Schultern und auch der Rest ihres Gesichts sieht nicht annähernd so teuflisch aus, wie ich es mir ausgemalt hatte. Sie sieht fast schon zu unschludig aus mit ihrer kleinen Stupsnase und den großen Augen. Eine neutrale Miene liegt auf ihren feinen Lippen.

Mein verlorener Blick sucht seine klaren Augen. Findet halt in seinem kühlen Blau. Erst durch seinen Anblick tauche ich wieder aus meiner Starre auf. Das Gefühl wie nach einer viel zu langen Zeit unter Wasser endlich wieder nach Luft schnappen zu können. Nur um anschließend wieder von der Flut mitgerissen zu werden, durch einen Strom aus Wellen in die Tiefe geschmettert zu werden.

Sie verdrehen die Realität schon von der ersten Minute an, versuchen Frederik wie ein Monster aussehen zu lassen. Wie einen Vater, der sein Kind vernachlässigt. Als wäre ihm sein Wohlergehen und seine Sicherheit bedeutungslos.

„Ich frage Sie noch einmal Dr. Horton, wo war Mr. Jensen als das Feuer bei Ms. Melissa Chapman ausgebrochen ist", will Harriet Reeds Anwalt, Markus, von mir wissen.

Mir wurden andauernd Fragen gestellt, auf die schon fast jeder von ihnen die Antwort kannte. Nach Frederiks Aussage war ich an der Reihe. Ich habe den Eindruck, sie würden mich auspressen wie eine Zitrone, weil er nicht so nachgiebig aussieht. Sie sehen den starken Footballer und denken sich, er knickt nicht ein. Nur ist das seine harte Schale. Sein Kern ist schon zerbrochen. Er könnte sein Kind verlieren, wenn die hier anwesenden Leute es so wollen. Wenn sie weiter die Tatsachen so verdrehen, wie es ihnen gefällt.

„Er war im Stadion der Otters für sein Training. Da wir beide unserem Beruf nachgekommen sind, war Eric bei Melissa. Von dort wollte ich ihn nach meiner Schicht im Krankenhaus abholen." Allein aufgrund des Mikrofones konnte man meine brüchige Stimme verstehen.

„Geben Sie Mr. Jensen die Schuld, dass sie an diesem Tag wortwörtlich durchs Feuer gehe mussten?", fragte mich Markus eiskalt.

„Einspruch, Euer Ehren, das ist keine Frage nach relevanten Fakten, sondern die nach einer persönlichen Meinung als zu einem tragische Ereignis", wendet sich Frederiks Rechtsanwältin Riley Saunders an den grauhaarigen Richter.

Dass ausgerechnet mein Ex-Freund Markus Harriet Reeds Anwalt ist, hat mich kalt erwischt. Zuerst dachte ich, er wäre nur Einbildung. Dass mir mein Verstand durch die Müdigkeit Streiche spielt, leider war dem nicht so. Mein Ex und Erics Tante stehen unserer neugeknüpften Familie im Weg. Harriet hätte sich jeden Anwalt suchen können, es ist bestimmt kein Zufall, dass es genau mein ehemaliger fester Freund aus Boston wurde.

So einfach werden wir es ihnen nicht machen. Es geht um Eric. Ich würde alles für ihn tun. Er steht an erster Stelle, sowohl an meiner als auch an Frederiks.

„Stattgegeben", erhebt der ältere Mann hinter dem Richterstuhl das Wort.

„Darf ich dennoch darauf antworten, Euer Ehren?", will ich von ihm wissen.

Ich hätte die Frage beantwortet, wenn ich es sollte. War Riley der Meinung, ich könnte etwas Falsches darauf antworten?

Braun sucht blau, bevor ich nach einem Einverständnis des Richters mich wieder dem Mikrofon nähere.

„Nein, ich gebe ihm nicht die Schuld. Es war meine Entscheidung oder besser gesagt mein Instinkt genau so zu handeln. Ich würde es jederzeit wieder machen, ebenso würde es Frederik. Er hätte auch keine Sekunde gezögert, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre."

Leicht nickt er mit seinem bleichen Gesicht. Fremde würden den kleinen Unterschied seiner Haut nicht erkennen, denn sein normaler Teint ist bereits sehr hell. Seit er von den tragischen Neuigkeiten erfahren hatte, funkeln seine Augen nicht mehr sowie noch zuvor. Augenringe, blasse Haut. Er ist oft völlig in Gedanken versunken, wenn Eric nicht in der Nähe ist. Eines Nachts wurde ich durch sein Weinen geweckt, welches mich innerlich zerrissen hat. Er leidet so sehr.

„Wie weit würden sie gehen, um ein Kind zu haben? Alva konnten sie nicht behalten, deswegen haben Sie sich an einen Mann mit Kind geschmissen. Nur blöd, dass genau dieser Mann ein so schlechter Vater ist, dass man ihm sein Jungen wegnehmen muss."

Der erste Schock verwandelt sich in Trauer, heiße Tränen fließen über mein Gesicht. Die Trauer explodiert in Wut. Ich beiße die Zähne zusammen und schmecke den metallischen Geschmack meines Blutes. Was danach passiert, bekomme ich nicht mehr mit. Ich muss mich zu sehr darauf fokussieren, nicht die Fassung zu verlieren. Für Eric, für Frederik, für uns. Unsere kleine wundervolle Familie.

 Unsere kleine wundervolle Familie

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Cupid Eric - COUPLED BY A CHILDWhere stories live. Discover now