39 | Trauzeugin

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Nachdem auch Enzo wieder mein Zimmer verließ, machte ich mich über die wirklich leckeren Pfannkuchen her und trank noch den wohltuenden Tee, bis ich mich dann erneut vorsichtig vom Bett erhob.

Ein Streifschuss hieß für mich, es wurde sicher nur genäht und das hieß wiederum, dass ich sicher keine Bettruhe einhalten musste. Natürlich wäre es sicher allen lieber, auch meiner angeknacksten Psyche, wenn ich hier liegen bleiben würde, doch ich hielt es kaum aus, auch weil ich mir zunehmend immer mehr Gedanken darum machte, dass Gino auf der Suche nach dem Schützen war. Was, wenn ihm etwas passieren würde?

Diese Vorstellung machte mich trotz meiner fehlenden Gefühle ihm gegenüber beinahe wahnsinnig, sodass ich eilig zum Schrank tapste und zu meiner hellen Schlafhose noch einen dünnen, roten Pullover überzog, um mich anschließend im Spiegel betrachten zu gehen.

Dunkle Ringe traten unter meinen Augen hervor und meine Haare fielen durcheinander in alle Richtungen, was mir aber ziemlich egal war, da ich sowieso nicht rausdurfte.

Ich suchte die Zimmertür auf, drückte die Klinke herunter und lief besorgt den Flur entlang, um anschließend noch die Treppen herunterzulaufen und die Küche aufzusuchen, bis ich erschrocken im Türbogen innehielt.

Mit weit aufgerissenen Augen sah ich dabei zu, wie Giovanna in einem Brautkleid auf einem Podest stand und sich lächelnd in einem Standspiegel musterte, während mehrere mir unbekannte Frauen um sie herumstanden. Sie bewunderten sie, sprachen ihre Freude aus und tranken anscheinend Champagner.

Mein Herz setzte schmerzhaft einige Takte aus, während ich meine Augen von ihr wandte und herüber zur offenen Küche starrte, doch von Enzo und Nicolo war keine Spur zu sehen.

"Oh, komm her", sprach mich plötzlich eine Blondine an und winkte mich zu sich. Ich verstand nicht, was sie wollte, bis sie mir plötzlich ihr leeres Glas entgegenhielt. "Ein Champagner, Zack Zack!"

Mit offenem Mund ließ ich meine Augen zwischen ihren und dem Glas hin und herschweifen, bis ich Giovannas bissige Stimme neben mir wahrnahm.

"Es tut mir leid, Sara. Sie ist etwas... Naja, zurückgeblieben trifft es am Besten", meinte Giovanna und nahm das Glas aus Saras Hand, um es mir in meine Hand zu drücken. "Und jetzt mach das, was meine Schwester dir aufgetragen hat!"

Mein Blick fiel auf ihr Kleid, welches viel zu hübsch für ihren hässlichen Charakter war, doch ich setzte ein gespieltes Lächeln auf und wandte mich erneut Sara zu.

"Natürlich, kommt sofort", sprach ich höflich und nachdem sie mich mit hochgezogener Augenbraue musterte, kehrte ich ihr den Rücken zu und lief zur Kücheninsel, wo allerlei Köstlichkeiten und einige Flaschen Champagner standen. Bevor ich allerdings zum Einschenken kam, trat Giovanna erneut neben mich und atmete dabei tief durch.

"Du solltest dich wirklich glücklich schätzen, dass dieser elende Köter Gino sich schützend vor dich wirft! Sobald Dario mich geheiratet hat, ist er der Boss hier und dann könnt ihr euch eine schöne Hundehütte suchen", giftete sie in meine Richtung und nahm mir mit einem heftigen Ruck das Glas aus der Hand, um es selbst zu füllen, was meine Wut auf sie zum Überkochen brachte.

"Der elende Köter fickt mich wenigstens", platzte es plötzlich aus mir heraus und völlig entsetzt über mich selbst, riss ich meine Augen auf und sah sie sofort entschuldigend an, doch sie schien auch vor Wut schon überzukochen. Wieso war sie überhaupt so sauer? Es wussten doch alle, dass er sie nicht wollte. Sollte eigentlich keine Überraschung sein.

Anstatt das sie ausrastete oder laut herumschreihen würde, wie ich es vermutet hatte, trat sie plötzlich einen Schritt näher an mich heran, um mir mit ihrem von Gift überzogenen Blick direkt in meine Augen zu sehen.

"Es trifft immer die Richtigen", flüsterte sie beinahe boshaft und drückte ohne Vorwarnung ihren Finger gegen den Verband an meinem Hals, wodurch mir ein ziehender Schmerz bis in den Verstand zog. "Nächstes Mal aber hoffentlich präziser!"

Sie wandte ihren Blick von mir ab, schnappte sich die zwei Gläser und wollte gerade zu ihren Freundinnen zurück, da drehte sie sich nochmals zu mir herum.

"Und jetzt verschwinde nach oben! Ein Wort zu deinem Köter und du wirst dir wünschen, dich nie mit mir angelegt zu haben!"

Nachdem sie mich wieder ignorierte, fasste ich mir an die Stelle, an der sie zugedrückt hatte, um leicht panisch nachzusehen, ob Blut aus der Wunde kam. Zu meiner Erleichterung nicht!

Obwohl ich Hunger hatte, entschied ich mich schnell dazu, wieder mein Zimmer aufzusuchen, doch es war Enzo, der plötzlich das Wohnzimmer betrat und voller Vorfreude in seine Hände klatschte, als er Giovanna in ihrem Kleid begutachten konnte.

"Wow!", sprach er begeistert und nahm ihre Schultern, um ihr auf jede Wange einen flüchtigen Kuss zu geben. "Du siehst fantastisch aus und wirst meinen Sohn sprachlos machen!"

Wer's glaubt, dachte ich noch und verdrehte meine Augen, um anschließend zu versuchen, hinter ihm aus dem Wohnzimmer zu schleichen, doch er drehte sich sofort zu mir herum und ergriff meinen Arm, um mich an seine Seite zu ziehen.

"Sieht sie nicht wunderschön aus?", fragte er mich voller Begeisterung und als ich meine Augen auf Giovannas richtete, sah sie mir siegessicher entgegen und legte ein so falsches Lächeln auf, dass es schon gruselig wirkte.

"Si, wunderschön."

Diese Worte aus meinem Mund fühlten sich wie Blei an und hatten einen bitteren Nachgeschmack, doch lange konnte ich über sie nicht nachdenken, denn die nächste Überraschung wartete bereits auf mich.

"So", meinte er und ließ mich los, um zu Sara zu laufen, während ich, wie auch Giovanna, ihm fragend hinterherschauten.

"Nein", meinte die angehende Braut neben mir plötzlich leise und ich sah verwirrt zu ihr herüber, bis ich wieder Enzos Hand an meiner Schulter spürte und ihn anstarrte.

"Die Trauzeugin bewahrt die Ringe. Die Tradition sieht vor, dass die nächste Braut der Familie dieses Amt übernimmt, sofern es eine gibt."

Meine Hände fingen leicht an zu zittern und als mein Blick erneut zu Giovanna fiel, schien diese außer sich vor Wut, doch die unterdrückte ihre Emotionen schnell wieder, während ich fast an meinen zu ersticken drohte.

"Ich kann das nicht", meinte ich atemlos zu Enzo und stellte mir vor, wie ich auch noch ein Teil davon werden würde, Dario mit dieser Hexe auf ewig zu verbinden. Es kam mir absolut unvorstellbar vor.

"Wieso? Gibt es ein Problem?", wollte er neugierig wissen und nachdem ich stillschweigend zu Boden sah und mein Herz vor Aufregung wild schlug, wandte er seinen Blick zu Giovanna. "Gibt es eins?", forderte er sie zu einer Antwort auf, was mich tief Luft holen ließ.

Ich hoffte sie würde einfach ja sagen. Sagen, dass sie mich hasst und mich auch am liebsten gar nicht dabei haben wollte, doch ich hörte verzweifelt ihr gefasstes »Nein« und bekam daraufhin die Ringe in die Hand gedrückt.

"Fein, dann probier doch schon Mal eins der Kleider an."

Unter Giovannas boshaftem Blick, folgte ich Enzo zu einer Kleiderstange am ende des Raumes, wo er mir ein Kleid reichte, dass einfach nur absolut elegant aussah. Unter normalen Umständen wäre ich ausgeflippt, es überhaupt anprobieren zu dürfen, doch so kam es mir wie eine Bürde vor, die sich sicher schwer auf meine Schultern legen würde.

"Geh dich in meinem Büro umziehen, dort ist es wesentlich ruhiger", wies Enzo mich an und schob mich an den gackernden Hühnern vorbei in den Flur, wo ich dann alleine weiter in sein Büro lief.

Sofort schloss ich die Tür hinter mir und rang vor lauter Aufregung mehrmals nach Luft, während mir klar wurde, dass alles um mich herum immer schlimmer zu werden schien. Es gab keinen Ausweg mehr aus diesem Teufelskreis und ich fing frustriert an, mich auszuziehen, bis ich nur noch in Unterwäsche am Schreibtisch lehnte und jemand ohne anzuklopfen hereinkam.

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Those blue eyes Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt