44 | Bombe

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Schweigend standen wir noch eine Weile vor dem Eingang des Clubs und während Nunzio gefühlt eine Stress Zigarette nach der nächsten rauchte, lehnte ich an der Wand und sah hoch zum Himmel, der langsam aber sicher immer dunkler wurde.

"Das ist alles meine Schuld", durchdrang meine Stimme irgendwann die unangenehme Stille und sofort sah Nunzio mich skeptisch an, sodass ich mir verzweifelt an meine Stirn fasste. "Dieser Mann hat mich nur bedrängt, weil ich diesem Mädchen helfen wollte. Wenn sein Tod überhaupt der Grund für das alles ist. Vielleicht liegt es auch wirklich an Giovanna, die mich aus irgendwelchen Gründen hasst."

"Wahrscheinlich weil du mit Dario fickst", kam es plötzlich aus Nunzios Mund und vor lauter Schock, riss ich mit roten Wangen meine Augen auf und erstarrte von der Wucht dieses Satzes.

"Wieso sagst du sowas?", hauchte ich beschämt und war mit der Erkenntnis, dass er es wusste, mehr als nur überfordert.

"Ludovica, ich bin sehr aufmerksam und ich kenne Dario seid wir Kinder waren. Halte mich nicht für einen Idioten."

Er zog an seiner Zigarette, während ich nur noch Angst empfand.

Angst davor, alles würde doch noch rauskommen und ich hätte das Loch im Hals dann endgültig verdient.

"Nunzio", bat ich flehend und überwand die wenigen Schritte, die uns trennten, um mich mit großen Augen vor ihn zu stellen. "Bitte sag es nicht Gino. Das mit Dario war eine einmalige Sache", erklärte ich und verdrehte dabei frustriert meine Augen. "Na gut, nicht nur einmalig, aber es ist entgültig vorbei. Wirklich!"

"Beruhige dich", erwiderte Nunzio mir lässig und verstärkte mit seinem lockeren Verhalten meine Nervosität noch weiter. "Ich würde Gino das nie erzählen. Nicht wegen dir, oder wegen Dario, sondern wegen Gino selbst. Er macht auf hart, aber das ist er nicht."

Er schnippste seine Zigarette weg, hauchte den Rest des Qualms über seine Lippen und sah mich nochmals eindringlich an.

"Gino ist mehr Bruder für mich, als jeder andere. Ich verspreche dir, dass Giovanna und dieser irre Polizist deine kleinsten Sorgen sein werden, wenn du ihn kaputt machst."

Meine Kehle fühlte sich so trocken an, dass ich leicht nach Luft rang, während er sich so nah vor mich stellte, dass ich zu ihm aufschauen musste.

"Ich hoffe wir verstehen uns?", erkundigte er sich mit strengem Blick und nachdem ich wie benommen nickte, hauchte er mir einen Kuss auf meine Wange, um sich anschließend zum Parkplatz zu wenden.

Er wurde immer kleiner und verschwand an der Straße, sodass ich jetzt erst wieder du Sauerstoff kam. Das Gefühl, an allem zu ersticken, machte mich wahnsinnig und ich glaubte langsam, dass wirklich jeder, außer Giovanna und Gino, von mir und Dario wussten. Waren wir wirklich so leichtsinnig?

Verzweifelt lief ich einige Schritte vor und auch wieder zurück. Immer wieder hin und her, während mein Verstand versuchte eine Lösung für das alles zu finden, doch das war unmöglich.

Den Sex mit Dario konnte ich nicht rückgängig machen ... wobei ich das auch gar nicht wollte und das anscheinend ein irrer Bulle mich ausnutzte, um Gino herauszufordern, konnte ich auch nicht verhindern.

Im Grunde konnte ich Mal wieder nichts machen, außer mich dem Schicksal, Enzo und Nunzio zu fügen...

Mit dem Blick auf den mittlerweile dunklen Parkplatz gerichtet, ließ ich irgendwie von mir selbst los. Funktionieren statt leben, einfach machen statt nachzudenken... Das war jetzt meine einzige Möglichkeit weiterzubestehen.

"Mancini?", sprach mich plötzlich aus dem Nichts ein Mann an und obwohl ich nie Angst vor fremden hatte, raubte mir dieser mit seiner dunklen Stimme nach all dem Erlebten meine Sinne. Ich hörte ihn, als wäre ich unter Wasser. Sah ihn nur durch einen Schleier von Tränen an und bemerkte gar nicht, wie heftig ich zu zittern begann.

"Mancini?", wiederholte er sich und hielt mir eine schwarze Box hin, die ich mit riesigen Augen und hohem Puls betrachtete.

"Bombe", flüsterte ich panisch und sah ihn dabei erschrocken an, um ganz vorsichtig rückwärts zum Eingang zu laufen. Sein Blick schien voller Verwirrung, doch ich riss mich von ihm los, drehte mich unter angehaltenem Atem um und rannte so schnell in den Club, dass ich beinahe noch über den nassen Boden gerutscht wäre.

"Gino!!", schrie ich hysterisch, doch als ich im großen Raum ankam, war von ihm keine Spur zu sehen. Natürlich starrten mich diese Mädchen allesamt wieder feindselig an, doch ich hatte größere Sorgen.

Ruckartig drehte ich mich wieder zum Flur herum und dachte, mein Herz würde mir jeden Moment aus der Brust springen, da stand plötzlich der Mann von draußen mit seiner beschissenen Box wieder vor mir, sodass ich laut aufschrie.

"Ganz ruhig", wollte er mich beruhigen und öffnete dabei die Box, wodurch ich meine Ohren zuhielt und meine Augen zusammenkniff... doch der Knall blieb aus.

"Mancini hat bestellt", hörte ich ihn durch meine Hände hindruch und sah mit Todesangst zu ihm herüber, wie er eine große Pizza aus der Box herausholte. "Bezahlen?"

"Ich mach das schon", meinte eine der Frauen hinter dem Tresen und während sie mit einem Portemonnaie neben mich trat, warf sie mir einen flüchtigen Blick zu, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

War wohl wirklich so.

"Danke!", sagte der Pizzalieferant und auch er schenkte mir einen letzten herablassenden Blickwechsel, bevor er durch den Gang zurück nach draußen verschwand.

"Kann es sein, dass du geistig nicht auf der Höhe bist?"

Ich sah herüber zu der Frau, die gerade das Essen auf den Tresen stellte und anschließend wieder in den Flur, wo diese Kelly gemeinsam mit Gino angelaufen kam.

Immer noch von der vorherigen Situation aufgewirbelt, beobachtete ich wie betäubt, dass Gino beim Laufen seinen Gürtel schloss und auch, dass diese Kelly sich neuen Lippenstift auflegte. Sie lachte auf und es kam mir vor, als würde ich sie in Zeitlupe auf mich zukommen sehen, bis Gino vor mir zum Stehen kam und mein Kinn umfassen wollte.

Sofort drehte ich mich herum zur Theke, nahm ein Glas Wasser, dass wohl einem der Mädchen gehörte und schüttete ihm den gesamten Inhalt mitten ins Gesicht, wodurch diese ganzen Schlampen um mich herum tief Luft holten.

"Fass mich nicht an du-"

Ich war so wütend über alles, dass mir nichtmal eine Beleidigung einfiel. Vielleicht auch, weil ich selbst nicht besser war als er und ich mir eigentlich gar nicht das Recht herausnehmen durfte, enttäuscht oder gar sauer auf seinen Betrug zu sein...

Ich war es aber und stürmte an ihm vorbei, um weinend die Treppe nach oben zu nehmen, wo ich vor der Tür innerhielt, hinter der schon so viel Gutes, wie auch Schlechtes passiert war...

Ich konnte nicht mehr, weder seelisch, noch körperlich. Es war zu viel für ein Leben, was ich an einem Tag durchmachen musste und ich öffnete die Tür, um sie weinend wieder zu schließen, wünschte mir dabei, die Kugel hätte mich nicht nur gestreift und tapste schluchzend die wenigen Schritte zum Bett, um mich kraftlos einfach fallenzulassen...

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Those blue eyes Where stories live. Discover now