41 | Verräter

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Mein Herz pochte wie verrückt...

Warum? ....

Weil ich ganz genau wusste, dass ich etwas Falsches getan hatte und nun wahrscheinlich die Konsequenzen dafür tragen würde.

Ich malte mir alle möglichen Horror und Folterszenarien aus, während Enzo die Pistole auf den Schreibtisch knallte und sich in aller Ruhe eine Zigarre anzündete.
Unter Panik dachte ich darüber nach, was gewesen wäre, wenn ich an dem Abend nicht zu Hause gewesen wäre, an den Nunzio meinen Onkel aufgesucht hatte. Was gewesen wäre, hätte ich nie mit Dario geschlafen. Was gewesen wäre, wenn ich einfach Mal nur das getan hätte, was die Leute von mir verlangten.

Bereute ich meine Handlungen? Nein... und doch waren die allesamt ein Spiel mit dem Feuer.

"Es ist wirklich sehr anstrengend, sich in seinem eigenen Haus verraten zu fühlen", fing Enzo an die unangenehme Stille zu brechen und nahm anschließend einen tiefen Zug seiner Zigarre. "Noch schlimmer ist es, nichts dagegen tun zu können."

Unsere Blicke kreuzten sich, flüchtig, doch auch intensiv und während er zum Fenster schritt und hinaus in die Sonne starrte, hielt ich mich an dem Stuhl neben mir fest, um irgendwie Halt in dieser Situation zu finden.

Er meinte sicher mich...

Meinen Verrat an Gino und damit an der gesamten Familie... Er hatte es gemerkt und irgendwie blieb ich komischerweise ziemlich gefasst, obwohl ich mit dem Schlimmsten rechnete, doch meine Mutter sagte schon immer, bereue nichts, wenn du im Augenblick des Geschehens glücklich warst.

War ich in den Momenten mit Dario glücklich?

"Ludovica?", sprach Enzo mich plötzlich ernst an, riss mich damit auf dem Chaos meiner wirren Gedanken und trat nah an mich heran. So nah, dass mir der üble Geruch der Zigarre bissig in der Nase brannte und alles um mich herum einhüllte. "Giovanna ist nicht wie du. Kein guter Mensch und trotzdem sehr intelligent. Ihre Familie ist so viel mächtiger als alle anderen hier in Italien und der einzige Grund, für ihre Hochzeit mit Dario, ist, weil sie ihn unbedingt haben wollte. Wenn er sich verweigert, stehen die Chancen Recht gut, dass wir kurz darauf alle zu Fischfutter werden."

Ich starrte ihn vollkommen irritiert an und verstand überhaupt nicht, was das alles mit mir zu tun hatte, bis er sich wieder zum Fenster wandte und tief Luft holte.

"Dario muss diese Bürde tragen und er tut es auch. Ich bitte dich, als Vater dreier Söhne, die schon keine Mutter mehr haben, hör auf etwas zu provozieren, dass alles zum Einstürzen bringen könnte."

Er drehte sich erneut zu mir herum, beobachtete ganz genau, wie ich auf seine Worte regierte und nachdem ich einfach nur dankbar darüber war, dass er mir noch nicht in den Kopf geschossen hatte, nickte ich zustimmend. Natürlich brauchte er gar nicht auszusprechen, worum es ihm ging und ich war sogar der Meinung, dass es mir wirklich helfen würde, mich von Dario fernzuhalten, wenn ich dazu gezwungen wäre.

Nicht aus Angst, dass mir etwas passieren würde, sondern auf Angst, dass meiner neuen Familie etwas passieren würde.

Wie ironisch, wenn man bedenkt, dass ich mit der Hälfte meiner Familie geschlafen hatte.

"Ich hatte nicht vor, Probleme zu machen und es wird wegen mir auch keinen Ärger geben", gab ich ihm zurück und sofort kam er auf mich zu, um mir auf jede meiner Wangen einen Kuss zu hauchen.

"Ich wusste, du wirst es verstehen."

Er löste sich von mir, lief um seinen Schreibtisch und steckte die Pistole in die Innenseite seines Jackets, was ich neugierig beobachtete. Ihm entging mein Starren wohl nicht, denn seine Augen suchten wieder die meinen auf.

"Verrat... Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass du aus Zufall angeschossen wurdest. Wenn Giovanna nur halb so gut darin ist, Dario zu deuten, so wie ich, dann bist du im Moment eine lebende Zielscheibe. Ich werde dich zum Club fahren. Zu Gino, damit du dich sicher fühlst."

"Ich fühle mich auch hier sicher", erklärte ich ihm ehrlich, denn ich wollte nicht in diesen Club. Nie mehr.

Dort schwebten düstere Erinnerungen, die es mir unmöglich machten, mich auch nur eine Sekunde wohlzufühlen. Immerhin wurde ich dort fast vergewaltigt und hatte jemanden sterben sehen. Das alles wollte ich vergessen und verdrängen...

"Ich möchte, dass du so wenig Zeit wie möglich mit Dario verbringst. Versteh das und zieh dich um, damit wir los können."

Er sah herunter zu seinem Schreibtisch, fing an Papiere zu sortieren und irgendwie stand ich wie erstarrt da. Enzo wusste es, spürte es und hatte es gesehen, dass da etwas zwischen mir und Dario war und trotzdem wollte er mir dafür nichts antun...

"Warum?", sprach ich ihn an und sofort hob er seinen Kopf wieder in meine Richtung, während ich mich innerlich verfluchte, es nicht gut sein lassen zu können. "Warum lässt du mich weiterhin hier leben, wenn du doch ganz genau weißt, dass ich so viele Fehler gemacht habe? Du könntest es einfacher haben und mich gehen lassen."

"Und was ist der Preis dafür?", meinte er und zog erneut an seiner Zigarre.

"Welcher Preis?"

Er schmunzelte flüchtig und trat um den Tisch herum, um sich vor das Familienbild an der Wand zu stellen. Es verging eine kurze Zeit der absoluten Stille, ehe er sich wieder zu mir wandte.

"Dario sieht dich auf eine Weise an, die mir völlig unbekannt von ihm ist. Und Gino gibt sich zum ersten Mal im Leben wenigstens ein bisschen Mühe, ein besserer Mensch zu werden. Wieso sollte ich ihnen das nehmen, nur um wieder zwei eiskalten Hüllen dabei zuzusehen, wie die ohne Motivation vor sich hinleben?"

"Aber-", wollte ich ansetzen, zu erwähnen, dass ich sicher keinen von beiden glücklich machen könnte, doch ich verkniff es mir. Ich wusste auf das alles auch nicht wirklich noch etwas zu erwidern. Dieses ganze Chaos war zu viel und jetzt wusste auch noch Enzo bescheid und würde mich sicher ständig unter Beobachtung halten.

"Augen zu und durch, Ludovica. Wir alle müssen Opfer bringen, um zu überleben."

Ich nickte wieder, nahm meine Kleidung von dem Stuhl und verließ schnellen Schrittes das Büro. Keine Sekunde länger wollte ich mir etwas von Opfern oder Bürden anhören. Niemand musste sowas ertragen. Bei normalen Menschen gab es keinen Zwang, keine ungewollten Hochzeiten und sonstiges.

Das war nur bei Mafia Familien so.

Und für was?

Für Geld und Macht... Sie suchten Glück in Dingen, die kein Glück beinhalteten...

Oder wollten sie gar nicht glücklich sein? Zumindest kam mir niemand in diesem Haus glücklich vor, außer Giovanna, die gerade mit einem vor Zorn glühenden Ausdruck aus dem Wohnzimmer auf mich zukam.

Jetzt sah auch sie nicht mehr glücklich aus...

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Those blue eyes Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt