⊶2⊷

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Taehyung Pov

Wenn man nach einer langen und anstrengenden Nacht über eine Brücke geht um zu Hause endlich Ruhe zu finden damit man seinem besten Freund am nächsten Tag schön lange vorhalten kann was er alles falsch gemacht hat, dann ist das letzte was man möchte von diesem Vorhaben aufgehalten zu werden. Obwohl meine Laune mit dem verschwinden von Mark ihren Tiefpunkt erreicht hat, ist von all dem nichts mehr zu spüren, als ich diesen Mann da am Brückengeländer stehen sehe.

Wie versteinert starre ich ihn einfach nur an, wie er langsam los lässt und die Arme schlaff neben seinem Körper hängen. Nur noch sein Gleichgewicht und die Füße auf dem schmalen Beton bewahren ihn vom Sturz. Es ist dunkel, lediglich die bunten Lichter der Düsen erhellen sein Gesicht von unten und ihnen verdanke ich es, dass ich mich aus dieser Schockstarre befreien kann, als ich den Ausdruck darin erkenne.

Er lächelt auf das dunkle Wasser hinab, als wäre es der Ort, der für ihn Befreieung bedeutet. Er sieht es mit so viel begehren an, dass es mir Angst macht. So sieht also ein Mensch aus, der nicht länger leben will, dem der Tod einfacher erscheint, als das Leben und das, obwohl es kein Zurück gibt.

"H-Hey!", rufe ich und mache zögernd einen Schritt auf ihn zu. Meine Beine zittern, genau so meine Hand als ich sie nach ihm ausstrecke, trotz den mindestens fünf Metern Entfernung zwischen uns.

Anders als erwartet reagiert er weder hektisch noch irgendwie aufgebracht über mein plötzliches auftauchen, er erscheint mir viel mehr wie die Ruhe in Person als er seinen Kopf hebt und den Himmel mit einem Lächeln ansieht, allerdings mit einem anderen als das, mit dem er das Meer bedacht hat. Das hier ist voller Reue, voller Trauer.

"Wollen Sie nicht zu mir auf die andere Seite kommen, damit wir beide reden können?", frage ich und trete möglichst Vorsichtig weitere zwei Schritte an ihn heran um ihn nicht zu verschrecken und damit er mich versteht, denn es ist Dank der Autos und dem Wasser, das aus den Düsen geschossen kommt recht laut.

Ohne sich irgendwo zum stützen fest zu halten dreht er sich, trotz der Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren und zu fallen, um, sodass er nun mit dem Gesicht zu mir steht und ich ihn genauer betrachten kann. Ein wenig Überrascht bringe ich nichts zustande, denn tatsächlich bin ich für einen Moment viel zu gefesselt von dem Anblick.

Wenn ich nicht wüsste, dass dieser Mann gerade im Begriff gewesen ist seinem Leben ein Ende zu setzen, dann würde ich sogar länger hier stehen und ihn einfach nur anstarren, weil dieser Anblick viel zu faszinierend ist um einfach das Gesicht abzuwenden. Er sieht aus wie ein Engel, wie das bunte Wasser ihn, trotz der Trauer in seinen Gesicht und vor allem in seinen Augen, so wunderschön aussehen lässt, aber das untermalt es nur. Er an sich ist wunderschön, das muss sogar ich als Mann zugeben.

"Möchtest du nicht mehr reden?", fragt er mit einer solch ruhigen Stimme, dass es mich wieder vollkommen aus der Realität reißt. Ich weiß nicht, womit ich gerechnet hatte, vielleicht etwas mehr Panik, Unsicherheit oder sogar Angst, aber dieser Mann scheint völlig entspannt zu sein, als wäre Selbstmord etwas, was er jeden Tag tut und als wäre er gerade nicht dabei gestört worden.

Vorsichtig mache ich noch einen Schritt nach vorne und als er keine Anstalten macht mich davon abzuhalten, riskiere ich noch einen, sodass ich jetzt direkt vor ihm stehe und die Hand nach ihm ausstrecke. Ich habe Angst es könnte ihn panisch machen, aber anscheinend scheint auch das ihn nicht aus der Fassung zu bringen, denn er sieht sie vollkommen ruhig an bevor er wieder den Blick hebt und mir in die Augen sieht.

"Erwartest du von mir, dass ich deine Hand nehme?" Erneut trifft mich der Ton in seiner Stimme überraschend. Ich bin schlecht, was das einschätzen vom Alter anderer angeht, aber er ist noch ziemlich Jung, höchstens anfangs zwanzig und trotzdem steckt so viel Erfahrung nicht nur in seiner Stimme, sondern auch in jedem Wort, das er sagt.

"Um ehrlich zu sein war ich noch nie in einer solchen Situation, aber ich denke Ja. Ich biete dir meine Hilfe an, alles was du dafür tun musst, ist meine Hand zu nehmen."

Obwohl der Abstand zwischen uns bereits nicht mehr so groß ist, trete ich noch näher heran und versuche mich mit einem Lächeln während ich darauf warte das er mein, zugegeben etwas unüberlegtes, Angebot annimmt. Was ich danach mache weiß ich nicht. Ich sollte wohl die Polizei rufen, immerhin brauchen Menschen wie er dringend Hilfe, sonst wird er es nur irgendwann wieder versuchen und das nächste Mal hält ihn vielleicht niemand davon ab.

"Wie ist dein Name?" Er hat interessiert eine Augenbraue hochgezogen, die erste Emtotion, die er mit seinem Gesicht zeigt und sie weckt Hoffnung in mir. Ich hatte wirklich noch nie mit einer Person wie ihm zu tun gehabt, aber vielleicht konnte ich irgendwie zu ihm durchdringen, vielleicht ist er einer dieser Menschen, die eigentlich gar nicht sterben wollen, sondern nur jemandem brauchen, der bemerkt das sie Hilfe benötigen. Vielleicht ist das eben dieser Schrei nach Hilfe.

"Kim Taehyung", antworte ich.

"Glaubst du, dass man einer Person lediglich die Hand hin zu strecken braucht, damit sie vergisst was vorher geschehen ist? Glaubst du, deine Hand könnte mich alles vergessen lassen, was ich bereit bin mit dem Tod zu beenden?"

Seine Worte treffen mich unerwartet. Vielleicht ist es ein wenig naiv zu erwarten, dass es tatsächlich so leicht ist jemandem zu helfen, aber als ich ihn da stehen gesehen habe, war das nun mal das erste was mir in den Sinn gekommen ist, ich hatte immerhin keine Wochen Zeit um mich darauf vorzubereiten. Woher soll ich auch wissen wie man mit jemandem umgeht, der sich von der Brücke in die Tiefe stürzen will?

"N-nein, das ist es nicht...", stottere ich etwas eingeschüchtert von seiner ganzen Art.

"Wenn das nicht so ist, dann nimm deine Hand zurück, denn sie kann mich nicht retten. Manchmal kann das nur der Tod." Kaum hat er seinen Satz beendet, kneift er die Augen zusammen und verzerrt schmerzerfüllt sein ganzes Gesicht. Er führt seine Hände an seine Schläfe und macht einen Schritt nach hinten, wobei er anscheinend vergisst, wo er sich befindet.

Er reißt erschrocken die Augen auf als er das Gleichgewicht verliert, greift panisch nach etwas woran er Halt finden kann um nicht zu fallen, aber als seine Hände das Geländer zu greifen bekommen, rutscht er Dank des Regens, der es Nass gemacht hat, ab und verliert damit die letzte Möglichkeit sich oben zu halten. Ich sehe die Angst in seinem ganzen Gesicht, die Panik und die Ruhe, die mich vorhin noch so verwundert haben, sind plötzlich wie nie dagewesen.

Ich bemerke kaum wie ich nach vorne gesprungen bin, genau in dem Moment als er seine Hände an seine Schläfe führt und noch bevor er einen Schritt nach hinten geht. Alles passiert so unglaublich schnell und langsam zugleich, ich bekomme kaum mit wie ich seinen Unterarm umfasse, gerade als er nach hinten fällt und ihn wieder zurück ziehe.

Er stößt mit dem Bauch gegen das Geländer, nicht gerade sanft, aber der Schmerz ist ihm wohl herzlich egal, als er sich mit der freien Hand an meinem Oberarm fest klammert, als wäre es das Leben selbst. Sein Atem geht nur in stößen, man könnte meinen er wäre gerade einen Marathon gelaufen.

Seine Beine zittern und auch sein Griff lockert sich nicht als er zu mir hoch schaut. Die Ausdruckslosigkeit, sogar die Resignation sind vollkommen verschwunden. Stattdessen hat er das glänzen in seinen Augen wieder und trotz all der Angst und der Panik darin ist dieses für mich faszinierender als das matte braun darin zuvor.

Trotz der Angst jagen seine Worte mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper, als er zu mir, einem völlig Fremden, spricht als wäre ich seine einzige Hoffnung.

"Rette mich."

Faces |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt