⊶85⊷

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Taehyung Pov

Ich öffne die Augen und starre auf die Digitaluhr auf der Kommode. Es ist bereits vier Stunden her seit ich ins Bett gegangen bin, weil ich nach dem, was heute passiert ist, unglaublich Müde war. Zuerst die Suche nach Jin im Krankenhaus, dann die Diskussion mit ihm über den Jungen, die ja eigentlich gut ausgegangen ist und dann der Friseurtermin mit anschließender Shoppingtour weil Jin neben meiner Frisur anscheinend auch noch was an meinen Klamotten auszusetzen hatte. 

Es war nicht leicht mit ihm, vor allem weil er die ersten zwei Stunden nicht begreifen wollte, dass ich lediglich ein Student und damit nicht Reich bin, sondern gerade so um die Runden komme. Wirklich aufhalten lassen hat er sich davon nicht und ich muss zugeben, dass die Sachen, die er für mich ausgesucht hat, wirklich nicht schlecht sind. Was mir aber am besten gefällt, ist meine Frisur. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich in den Spiegel oder in das Glas der Balkontür sehe, weil ich nicht fassen kann das ich mich tatsächlich getraut habe meine Haare rot zu färben. Es ist was komplett neues für mich, aber irgendwie liebe ich es. 

Trotz allem was heute passiert ist und trotz dem ganzen Spaß, den ich zusammen mit Jin hatte, ist da dennoch dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust, das ich nicht wirklich erklären kann und genau das ist auch der Grund warum ich nicht schlafen kann. Es fühlt sich trotz allem irgendetwas komisch an, als wäre der Tag noch nicht zu ende und als würde noch etwas passieren. 

Langsam drehe ich mich im Bett um, lege die Hände flach unter meine Wange und starre den Rücken von Jin an, der neben mir im Bett liegt. Im Gegensatz zu Jungkook kuschelt er sich nicht an mich heran, kein Wunder, immerhin bin ich nur mit einem von ihnen in einer Beziehung, aber ich vermisse es und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil neben mir Jin in Jungkooks Körper liegt, ich mir aber Jungkook wünsche. Jin ist mein Freund, aber mit ihm Zeit zu verbringen bedeutet, dass Jungkook irgendwo in den dunkelsten Ecken seines Körpers vielleicht leidet. Ich weiß nicht, wie es für ihn aussieht, wenn gerad eine andere Persönlichkeit in seinem Körper ist, aber er hat bereits gesagt, dass es Einsam ist. Er muss so alleine sein. 

"Du schläfst wahrscheinlich schon, aber falls auch du genau so wenig wie ich einschlafen kannst, wäre ich froh, wenn du mir ein Ohr leihen würdest." Ich schließe die Augen und denke an das erste Treffen auf der Brücke zurück, als ich Yoongi begegnet bin und ich kann nicht anders als trotz dem traurigen Anlass für seine Anwesenheit dort zu lächeln. "Ich war so wütend auf Mark, weil er mich alleine in diesem verdammten Club gelassen und stattdessen jemanden abgeschleppt hat. Um ehrlich zu sein, hatte ich von Anfang an keine Lust auf eine Feier, Clubs sind ohnehin nicht mein Ding, dort sind viel zu viele Menschen auf viel zu engem Raum versammelt, aber ich bin dennoch hin gegangen und es war die beste Entscheidung, die ich jemals getroffen habe. 

Wenn ich damals nicht in den Club gegangen wäre, wenn Mark mich nicht alleine gelassen und sich anderweitig vergnügt hätte, dann wäre ich niemals zu dieser Zeit über diese Brücke gegangen und ich hätte nicht diesen Jungen gesehen, der mich anflehte ihn vor dem springen zu bewahren. Ist das die Sache, die von vielen Schicksal genannt wird? Wenn ja, dann war es mein Schicksal Jungkook zu treffen, es war mein Schicksal euch zu treffen und ich war noch nie so dankbar für irgendetwas in meinem Leben."

Manchmal frage ich mich, ob es eine andere Gelegenheit gegeben hätte einander zu treffen, wenn es nicht damals auf der Brücke dazu gekommen wäre. Was, wenn irgendetwas nicht gepasst hätte, irgendeine Gegebenheit, was wenn das Schicksal seine Meinung geändert hätte, wären wir uns niemals begegnet oder wäre es zu einem späteren Zeitpunkt dazu gekommen? Ich kann nicht anders als zu glauben das es so ist, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass ein anderes Leben als das, das ich gerade führe, überhaupt für mich infrage kommt. Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der Jungkook und ich uns Fremd sind. Ich hatte das Glück die Person zu treffen, die mir so viel Liebe schenkt, wie ich es niemals für Möglich gehalten hätte und ich werde dieses Glück mit allem beschützen, was ich habe.

"Du hast mir gedankt, für so viele Dinge, Jin, aber eigentlich muss ich dir danken. Du hast den Mann, den ich liebe beschützt als ich es nicht konnte und ich kann dir niemals genug dafür danken."

Langsam öffne ich die Augen und wische mir mit dem Ärmel meines Pullovers die Träne weg, die meine Schläfe entlang auf das Kissen gefallen ist. Obwohl ich mir eigentlich sicher war, das er eingeschlafen ist, warte ich auf irgendeine Regung seinerseits, denn es kann nicht sein, dass er während meines ganzen Monologs noch weiter geschlafen hat. Ich weiß, was für einen leichten Schlaf Jin hat, das hat er mir oft genug gesagt, oder mich viel eher gewarnt hat er mich, weil er meint, das jedes noch so kleine Geräusch ihn aus seinem Schönheitsschlaf reißen würde. Wieso also liegt er noch da und schläft tief und fest wie ein Stein?

"Jin?", flüstere ich leise seinen Namen in den Raum und stütze mich auf meinen Ellbogen ab um sein Gesicht ansehen zu können. Er hat die Augen tatsächlich geschlossen und eigentlich hätte ich mich zurück auf meine Seite des Bettes gelegt und ihn in Ruhe schlafen lassen, aber gerade als ich das tun möchte, fällt mir etwas anderes auf. Seine Lippen sind leicht geöffnet und die Wangen feucht, was nur eines bedeuten kann. Er hat geweint und das nicht irgendwann, sondern gerade, denn die Tränen sind noch nicht getrocknet. Aber warum regt er sich dann nicht?

"Jin", sage ich seinen Namen erneut, aber er reagiert nach wie vor nicht. Ich packe ihn an den Schulter und drehe ihn auf seinen Rücken, aber da ist keinerlei Gegenwehr, keinerlei Regung von ihm. Mein Herz bleibt für einen Moment stehen, ich gehe sofort von dem schlimmsten aus und nehme sein Gesicht in meine Hände. Vorsichtig klopfe ich dagegen, öffne seine Lider um seine Augen ansehen zu können und kann die Tränen, die sich bei all den Befürchtungen in meinen Augen bilden, nicht zurückhalten. 

Mein Blick ist verschwommen vor lauter Tränen und ich sehe kaum was als ich meine Hand nach dem Handy auf der Kommode ausstrecke. Mein ganzer Körper zittert und ich habe kaum die erste Ziffer des Notrufs gewählt, als ich ein raunen vernehme. Erschrocken über das plötzliche Geräusch vom eben noch so reglosen Körper lasse ich das Handy fallen und starre in ein Paar offene Augen, allerdings nicht das Paar, das ich erwartet habe. 

Er ist ganz offensichtlich Müde, aber er reißt dennoch die Augen auf und runzelt verwirrt die Stirn als er mich sieht. Sofort setzt er sich auf und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Mit dem Daumen fährt er meine Wange entlang und begutachtet meinen ganzen Körper auf der Suche nach etwas. "Taehyung, was ist los?", fragt er erschrocken und sieht kurz zu dem Handy auf dem Bett bevor er wieder mich ansieht. "Was ist passiert, bist du verletzt?", fragt er und nimmt meine Hand in seine. Vorsichtig haucht er mir einen Kuss auf die Knöchel und sieht mir dabei in die Augen. Ich schüttle den Kopf, nicht in der Lage dazu zu verstehen was gerade passiert ist und das, obwohl es nach nur wenigen Sekunden so offensichtlich erscheint. 

Jins Besuch heute im Krankenhaus war nicht wie seine anderen Besuche. Seine Ehrlichkeit, das Danke und sogar unser Ausflug in die Stadt haben alle auf eine Sache hingedeutet, die mir bisher gar nicht in den Sinn gekommen ist und die jetzt auch die Schwere in meiner Brust erklärt. Die Tränen in seinem Gesicht wurden nicht etwa durch Schmerzen ausgelöst, zumindest keine körperlichen. Es war Jin, der geweint hat, nämlich als er meine Worte gehört hat, weil er wusste, er würde heute gehen. Er wusste es bereits den ganzen Tag und alles was er getan hat, war sein Abschied an mich. 

"Taehyung", sagt Jungkook sanft meinen Namen und hebt meinen Kopf an um mir in die Augen sehen zu können. Ich schüttle Fassungslos über all das meinen Kopf und obwohl ich nicht aufhören kann zu weinen, mischt sich ein Lachen unter mein schluchzen. Er hat mir gesagt, wie sehr ihn dieser Junge an Namjoon erinnert hat, weil er sich wünschte es wäre Namjoon, der an seiner Seite ist. Er hat ihn vermisst und jetzt kann er zu ihm, er kann seine Hand halten und ihm sagen wie sehr er sich das all die Zeit gewünscht hat. 

Er kann endlich glücklich werden. 

Faces |Vkook|Where stories live. Discover now