⊶58⊷

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Taehyung Pov

Zum ersten Mal seit wir uns zusammen hier auf dem Spielplatz befinden hebt sie den Kopf und sieht mir direkt in die Augen. Ich weiß, dass ich richtig liege mit meiner Vermutung und spätestens ihr kindliches Lächeln bestätigt mir das, aber das alles überrascht mich trotzdem. Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht mit ihrem auftauchen nach all der Zeit. Nicht in einer Situation wie dieser hier.

"Du bist Taehyung, nicht wahr?", fragt sie und mustert mich eine Weile bevor die mir wieder in die Augen sieht. "Du kennst Jungkook wohl ziemlich gut wenn du so schnell und überhaupt erkannt hast das ich nicht er bin."

Sie spricht mit Jungkooks Stimme, es ist sogar Jungkooks Gesicht und doch habe ich das Bild von dem Mädchen mit den Blonden Haaren vor mir. Die Art wie sie spricht, so weich, macht es mir leichter mir vorzustellen dass das hier eine junge Frau ist, selbst wenn der Körper einem Mann gehört.

In Hoseoks Tagebüchern stand, dass Sooyoung zwanzig Jahre alt ist und damit nur ein Jahr jünger als ihr Bruder Jimin, aber wenn sie redet, habe ich nicht das Gefühl mit jemandem zu reden der sogar älter ist als ich, sondern mit einem Kind. Vielleicht liegt das an der Unschuld und der Naivität in ihrer Stimme, aber so genau kann ich es auch nicht bestimmen.

Ich habe unglaublich viele Fragen an sie, Fragen auf die wahrscheinlich nur sie die Antworten kennt, aber ich möchte sie nicht verschrecken. Wenn ich möchte das sie mir hilft, muss ich ihr erst einmal zeigen das ich ihr nichts böses will, selbst wenn sie vielleicht durch die anderen eben diesen Eindruck bekommen hat.

"Das da", sage ich und zeige auf die Zeichnung der Sonne im Sand. "Es hat dich verraten." Sie dreht sich kurz verwirrt danach um, als könnte sie sich gar nicht mehr daran erinnern es gezeichnet zu haben, aber als sie sich wieder zu mir wendet, ziert ein Lächeln ihre Lippen.

"Die Sonne, selbst jetzt ist sie für mich unerreichbar." Die Trauer übernimmt den Ausdruck in ihrem Gesicht, das sie von mir abwendet. Mit ihren Füßen fängt sie an Löcher in den Sand zu buddeln und ich merke wie sie sich fester an die Schaukel klammert, als habe sie angst von irgendetwas verschlungen zu werden.

"Möchtest du die Sonne so dringend sehen?", frage ich und lege den Kopf schief.

Für mich war sie immer selbstverständlich. Wenn ich sie sehen wollte, habe ich die Gardinen geöffnet und wenn ich ihre Wärme spüren wollte, habe ich das Haus verlassen. Sie war im Winter ein Segen für mich und im Sommer, wenn es zu heiß wurde, ein Fluch. Ich habe nie darüber nachgedacht das es jemanden geben könnte, der sich wünscht sie wenigstens ein einziges mal in seinem Leben zu sehen, aber so ist es mit Dingen die wir umsonst kriegen, wir nehmen sie zu selbstverständlich.

Sie lächelt schwach, ein trauriges Lächeln das mehr über sie verrät als es hundert Seiten in Hoseoks Tagebuch hätten tun können. "Alles was ich kenne ist die Dunkelheit. Seit es mich gibt, kenne ich nur diesen dunklen Ort, mit der kleinen Lampe, die jeden Tag nur zwei Stunden für uns angemacht wurde. Ich dachte, ich könnte sie sehen wenn wir da endlich weg sind, aber es hat sich nichts geändert." Sie senkt erneut den Kopf, das Lächeln verschwindet und es scheint als hätte sie nicht einmal mehr dafür Kraft. "Physisch bin ich zwar hier, wir sind entkommen, aber irgendwie bin ich trotzdem noch dort, mit der Dunkelheit als einzigen Gefährten."

Jungkooks Erinnerungslücke beinhaltet sein neuntes bis zwölftes Lebensjahr, in diesem Zeitraum war Sooyoung acht bis elf Jahre alt, also sogar noch jünger als es Jungkook damals war. Kein Wunder, das mich ihr Verhalten an das eines Kindes erinnert, sie hat es gar nicht geschafft das, was damals geschehen ist zu verarbeiten. Wenn man mit der Vergangenheit nicht abschließen kann, bleibt man in ihr gefangen und genau das ist mit ihr passiert.

Sie alle sagen, dass es Jungkook ist bei dem sie Angst haben er könnte die Vergangenheit nicht verkraften, dass das wiedererlangen seiner Erinnerungen ihn nur kaputt macht, aber die Wahrheit ist, dass sie alle noch nicht damit abgeschlossen haben. Sie alle befindet sich noch an dem dunklen Ort, von dem Sooyoung die ganze Zeit spricht und genau da muss ich nachhaken.

"Dieser Ort, von dem du sprichst, was ist das für einer?" Ich möchte nicht zu fordernd klingen, denn wenn man versucht von jemandem Informationen zu erlangen, läuft man schnell Gefahr in eine Falle zu laufen. Sie soll nicht denken ich interessiere mich nicht für sie oder die Angst, die sie ganz offensichtlich alleine bei dem Gedanken daran empfindet, denn so ist es nicht. Mit jedem Tag, den ich mit den anderen Persönlichkeiten verbringe, wächst in mir das Bedürfnis auch sie zu schützen. Vor allem bei Sooyoung ist dieser Beschützerinstikt vorhanden.

Aber ich weiß nicht wann ich das nächste mal die Chance bekommen werde an Informationen zu gelangen, vielleicht ist sie sogar die einzige die mit mir sprechen mag, die anderen meiden dieses Thema fast schon panisch. Es ist die einzige Möglichkeit Jungkook zu helfen, also muss ich es zumindest versuchen.

"Man hat uns dort zurück gelassen." Sie hört auf ihre Füße zu bewegen und starrt nur noch den Sand an, als würde sie darin jenen Ort sehen. "Sie haben uns im Stich gelassen, sie sind Schuld daran dass wir diese Schmerzen ertragen mussten."

Verwirrt runzle ich die Stirn. "Wer? Wer hat euch im Stich gelassen?"

Langsam hebt sie den Kopf, in ihren Augen haben sich Tränen gebildet die in mir das schlechte Gewissen wecken. Vielleicht war das zu viel für sie, vielleicht habe ich sie damit zu vielen schlechten Erinnerungen ausgesetzt und gerade als ich ihr sagen will das sie es vergessen soll, dreht sie den Kopf zur Seite und sieht das riesige Haus an, aus dem wir beide eben gekommen sind.

Sie sagt nichts, alles was sie tut ist es vollkommen Emotionslos anzustarren und obwohl es alles bedeuten könnte, weiß ich sofort worauf sie hinaus möchte.

Die Leute, von denen sie spricht, die die sie im Stich gelassen haben, es sind Jungkooks Eltern.

Faces |Vkook|Where stories live. Discover now