⊶74⊷

1.4K 246 4
                                    

Jungkook Pov

Bereits bevor ich meine Augen öffne, ist es das Licht der Sonne, das mir zuerst auffällt. Für manch einen mag es nichts besonderes sein, aber für mich, der sich sein ganzes Leben davor gefürchtet und es verachtet hat, ist es immer noch komisch, ja sogar unwirklich das ich hier einfach im freien liegen und in den hellen Himmel starren kann ohne das Gefühl der Beklemmung zu verspüren. Es fühlt sich an als wäre ich jemand ganz anderes.

Neben dem heute besonders blauen Himmel ist da aber noch etwas anderes, was meine Aufmerksamkeit auf sich zieht, oder besser gesagt, jemand anderes. Es ist nicht so, dass ich ihn vergessen hätte, aber das ganze ist gerade wie ein Puzzle für mich, dessen Teile erst nach und nach auftauchen. Ich denke, dass ich mich erst an den Anblick des Himmels, des hellen Lichts der Sonne und an den Geruch von Gras gewöhnen musste, auf dem wir liegen. 

Nur langsam setzen alle meine Sinne wieder ein, deswegen dauert es auch so lange bis ich begreife wo wir uns befinden. Selbst wenn man wie ich nur nach oben in den Himmel blickt, sieht man das riesige Krankenhaus aus dem Augenwinkel heraus. Selbst wenn man das rauschen des Flusses deutlich im Ohr hat, sind da trotzdem noch all die anderen Menschen, die sich mit allen möglichen Geräuschen dazwischen schleichen. 

"Taehyung", sage ich und fasse mir sofort an die Stirn als mein Kopf augenblicklich anfängt zu schmerzen. Es fühlt sich an, als würde jemand an mehreren Stellen Schrauben in meinen Schädel bohren, aber das ist leider nicht alles. Ich bin nicht imstande mich wirklich zu bewegen und dennoch spüre ich den Schmerz, der meinen ganzen Körper durchzieht. Es ist wie ein Muskelkater, nur noch viel schlimmer. 

Etwas überrascht sieht er vom Fluss zu mir und sieht mir eine Weile nur in die Augen ohne etwas zu sagen. Ich weiß warum er das macht, er hat es mir bereits erklärt, dass es der einzige Weg für ihn ist mich von den anderen Persönlichkeiten zu unterscheiden. Wir stecken alle im selben Körper, da ist es nicht leicht, aber er sagt, dass bereits ein kurzer Blick in meine Augen reicht um ihn wissen zu lassen, um wen es sich handelt. 

Er legt seine Hand auf meine Wange, als würde er wirklich sicher gehen wollen das ich hier bin. "Jungkook." 

Spätestens jetzt, nachdem ich diese wunderschöne, tiefe und sanfte Stimme hören durfte, bin ich mir wieder der Realität bewusst, in die ich zurück gekehrt bin. Es ist komisch von der vollkommenen Dunkelheit, der Leere in der man sich befindet wenn man keine Kontrolle über den Verstand hat, zurück hierher zu finden und selbst nach all den Jahren gewöhnt man sich nicht daran, aber Taehyung hilft mir immer wieder. Eine Berührung, ein Wort, ja selbst ein Blick von seiner Seite aus reicht um mich an ihn und damit wieder an das Hier und jetzt zu binden. 

Trotz der Schmerzen hebe ich ebenfalls meinen Arm und lege meine Hand auf seine. "Was ist passiert während ich weg war? Warum sind wir im Krankenhaus und warum tut mir alles weh?" Obwohl ich nicht möchte, dass er das Gefühl bekommt er würde von Fragen überschüttet werden, fließen sie einfach so aus mir heraus. 

Im ersten Moment nach dem erwachen dachte ich, dass ihm etwas passiert wäre. Ich hatte Angst, dass er sich verletzt hat während ich nichts tun konnte, weil einer der anderen die Kontrolle über meinen Verstand übernommen hat, aber mir wird doch recht schnell klar, dass ich der verletzte von uns beiden bin. 

Taehyung sieht mich weiterhin an, die Trauer in seinem Blick ist nicht zu übersehen und seine Augen sind angeschwollen, wohl ein Zeichen dafür das er ziemlich viele Tränen vergossen haben muss, aber er versucht es sich dennoch nicht anmerken zu lassen. "Du warst alleine mit dem Auto unterwegs als es zu einem Switch kam. Du verlorst die Kontrolle über das Fahrzeug und wurdest Bewusstlos kurz bevor der Wechsel einsetzte."

Alleine mit dem Auto unterwegs, jetzt erinnere ich mich wieder. Ich habe Jackson an dem Tag frei gegeben, weil ich in Ruhe den Ring für Taehyung kaufen wollte und ich erinnere mich auch wieder an das Lenkrad, das mir praktisch aus der Hand gerutscht ist. 

"Ich würde dich am liebsten anschreien und prügeln dafür, dass du Jackson nicht gebeten hast dich zu fahren. Du bist ein Idiot, Jungkook, aber ich kann dir nicht böse sein, weil ich gerade viel zu glücklich darüber bin das es dir gut geht."

Er senkt den Kopf damit ihm die Haare ins Gesicht fallen und ich nicht sehen kann wie er anfängt zu weinen. So ist Taehyung immer, wenn die Trauer ihn übermannt. Er hasst es, in der Gegenwart von anderen zu weinen, nicht nur weil er sein Gesicht dann hässlich findet, sondern auch weil er sich davor fürchtet damit schwäche zu zeigen. Dabei ist weinen alles andere als Schwach. 

"Das ist nicht alles, oder?", frage ich, drehe mich auf die Seite und vergrabe mein Gesicht in seinem Schoß, damit er sich nicht länger verstecken muss sondern weinen kann so viel er will. Am liebsten würde ich sein Gesicht in meine Hände nehmen und Küsse darauf verteilen. Ich würde ihm so gerne in die Augen sehen und ihm sagen, dass er der stärkste Mensch ist den ich kenne, aber ich weiß, dass ihn das gerade nur verunsichern würde. Manchmal ist es besser nichts zu sagen und auf einen Moment zu warten, in dem man wirklich helfen kann. 

Er drückt mich fester an sich, vergräbt seine Hand in meinen Haaren und fährt mit seinen Fingern meinen Hals entlang, als wäre ich derjenige der getröstet werden müsste. "Sooyoung war da, während du weg warst." Seine Stimme bricht gegen Ende und auch ohne ihn anzusehen, weiß ich, dass die Trauer darin noch größer geworden ist.

Er braucht mir nicht viel zu sagen um mich wissen zu lassen, was der Grund für diesen Switch war und was passiert ist während ich weg war. Taehyung wäre wohl kaum so traurig über den Besuch eines kleinen Mädchens, ganz im Gegenteil. Er hat mir gesagt wie sehr er Sooyoung nach wenigen Minuten ins Herz geschlossen hat und wie sehr er das Bedürfniss verspürt ihr zu helfen. Hilfe wird jetzt wohl wahrscheinlich nicht mehr nötig sein und vielleicht macht gerade das ihn so fertig.

"Es ist nicht deine Schuld. Bitte sei nicht länger traurig, Taehyung."

Langsam drehe ich mich wieder auf den Rücken um ihm ins Gesicht sehen zu können und werde mehr als nur überrascht. Ich weiß, dass es ihn traurig macht sie gehen zu lassen, vor allem weil er es erst vor kurzem mit Namjoon durchmachen musst, aber da ist nichts Vorwufsvoller oder irgendein schuldgefühl in seinem Blick, es ist Erleichterung.

Die Tränen laufen ihm nach wie vor die Wange hinunter und Tropfen mir sogar teilweise aufs Gesicht, aber neben der Trauer, die ihm der Abschied bereitet haben muss, ist da auch ein Lächeln, dass diese wunderschönen Lippen schmückt. "Ich verspüre keine Schuld, ich bin glücklich, weil sie es war als sie im Licht der Sonne gehen durfte. Ich glaube daran, dass sie glücklich ist, wo auch immer sie sein wird, weil sie nicht länger Angst verspüren muss." Er verschränkt seine Hand mit meiner und beugt sich weiter zu mir rüber. "Sie hat es verdient endlich glücklich zu sein. Das haben sie alle."

Faces |Vkook|Where stories live. Discover now