4. Charlie: Visionen

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Ich hielt Boris einfach fest, während er unruhige Laute von sich gab und immer wieder leicht zusammenzuckte.

Er hatte gerade Visionen und allem Anschein nach keine schönen.

Elijah“, presste er hervor.

Natürlich spannte ich mich an und wurde noch aufmerksamer. Er hatte immerhin gerade den Namen eines anderen Mannes im Schlaf gemurmelt, aber ich wusste, es war nicht diese Art von Traum.

Ich bemerkte, dass Boris schon wieder an seiner Grenze war, deshalb drückte ich ihn noch fester und bewegte die Lippen zu seinem Ohr. „Ganz ruhig Boris. Ich bins, Charlie. Du hast eine Vision, du träumst. Alles ist okay. Du bist in Sicherheit. Ich halte dich fest. Ich beschütze dich.“

Ich bemerkte, wie er immer ruhiger wurde, je mehr ich sprach.
Es hatte zwei Jahre gedauert, bis ich ihn hatte erreichen können, wenn er in einer Vision festgesteckt hatte, doch ich hatte es mal durch Zufall geschafft und seitdem nahmen wir es als Notlösung. Eigentlich vermieden wir das, weil wir beide wussten, dass er die Visionen aus einem bestimmen Grund hatte und wir diesen kennen mussten, aber ich wollte Boris' Gesundheit dafür nicht aufs Spiel setzen. Er war zwar mental und auch körperlich stärker, weil er Jäger war und zudem wegen unserer Gefährtenverbindung, aber er war nach wie vor menschlich und somit auch verwundbar. Aber dafür hatte er mich. Ich war hier, um für ihn da zu sein. Das war meine Bestimmung und ich erfüllte sie gerne.

Ich sprach Boris weiterhin beruhigende Dinge zu, bis aus seiner Vision ein ruhiger, traumloser Schlaf wurde.

Als ich merkte, wie er sich deutlich entspannte, strich ich über seinen Arm, der um mich geschlungen lag und seufzte schwer, doch Boris schlief weiter.
Wer weiß, vielleicht erinnerte er sich morgen gar nicht mehr an die Vision. Irgendwie hoffte ich es für ihn. Meist erinnerte er sich erst kurz bevor sie eintraten wieder an seine Visionen. Ich erklärte mir das so, dass seine Träume nur Varianten der Zukunft waren und er sich erst an sie erinnern konnte, wenn sie dann unmittelbar bevor und vor allem feststand.

Das war zwar nicht wirklich hilfreich und es quälte ihn nachts unnötig, aber es war wenigstens etwas.

Manche einfachen Sachen konnte er auch ohne Träume vorhersehen, seit wir das Ritual des Bluttausches durchgeführt hatten.
Außerdem konnte er nun bewusst in die Zukunft eines Menschen sehen. Zwar konnte er den Zeitpunkt nicht bestimmen, aber wenn er jemanden berührte und ihm in die Augen sah, dann sah er einen Moment in dessen Zukunft, der feststand.

Ich war stolz auf Boris. Er war verdammt mächtig und er ging gut mit seiner Macht um. Oft verhielt er sich kindisch und auch noch unreif, aber er wusste, was das Richtige war. So hatte er sich die Idee, den Lottojackpot knacken zu wollen aus dem Kopf geschlagen. Er wollte das nicht des Geldes wegen, sondern wegen des Fames. Geld hatte er jedoch ohnehin genug und ich war die einzige Person, deren Aufmerksamkeit er wirklich nur auf sich wollte.

Ich schlief diese Nacht nicht, weil ich lieber auf Boris aufpasste. Wenn er wieder in einen Visionen abrutschte, dann müsste ich ihn rausholen, falls es zu schlimm wurde.
Sein Schlaf blieb aber ruhig, sein Herzschlag stark und gleichmäßig, sein Gesicht erhellte sich wieder etwas.
Ich sah ihm bei Schlafen auf meiner Brust zu und deutete eine Berührung auf seiner Wange an, um darüber zu streichen, doch fasste seine Haut nicht an, damit er nicht wach wurde.

Boris war so wunderschön. Er war ein Engel. Seine blonden Haare waren zwar gefärbt, aber wen interessiert es? Es sah natürlich aus und es stand ihm perfekt...
Außerdem könnte ich ihm keine Sekunde ins Gesicht sehen, wenn er braune Haare hätte. Er würde Henry gleichsehen und ich würde ständig in die Gedanken an meine Vergangenheit abrutschen.
Aber so konnte ich hier in der Gegenwart bleiben und den Mann meines Lebens betrachten. Sein Gesicht hatte vor 5 Jahren ziemlich viel abbekommen, genau wie andere seiner Körperteile. Seine Hand zum Beispiel. Die Wunden waren zwar verheilt, die Lähmung genauso, aber die Narben waren geblieben und sie erinnerten mich immer wieder daran, dass ich Boris schrecklich behandelt hatte.

Ich bereute es, das stand gar nicht zur Debatte. Ich war einfach nur erleichtert, dass ich sein Gefährte war und mein Blut ihn so stark machte, dass sein Körper schneller heilen konnte.
Es war verwunderlich, doch wunderschön zugleich, dass er als Jäger kein Vampirblut vertrug, doch meines schon. Normalerweise löste sich Blut im Kreislauf nach ein paar Tagen auf, doch das des Gefährten wurde ein Teil von seinem selbst und blieb erhalten. Nur bei uns Vampiren war das da etwas anders. Wenn wir unsere Kräfte anwandten, verbrauchten wir Blut und deshalb mussten wir es uns dann wieder holen. Ich hasste es, Boris' Blut zu trinken, doch gleichzeitig liebte ich es über alles. Es schmeckte so verdammt gut, als sei es nur für mich gemacht. Das  einzige, was ich dabei nicht mochte, war ihm wehzutun, aber ich wusste, dass er es gerne tat und er glücklich war, wenn ich von ihm trank. Er liebte es, wie sehr ich das genoss. Und ich liebte es, dass mein Blut für immer zu ihm gehören würde, dass wir somit für immer verbunden waren.

Als ich ein Brummen hörte und spürte wie mein Kleiner sein Gesicht an meiner Brust rieb, sah ich lächelnd auf ihn herab. Er war am Aufwachen und echt kein Morgenmensch.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, schmunzelte ich und strich ihm die chaotischen Haare nach hinten.
Er brummte nur und rutschte so hoch, dass er  sein Gesicht in meine Halsbeuge drücken konnte.
Grinsend küsste ich seine Stirn. „Ich hab heute einen freien Tag", teilte ich ihm mit.

„Dann können wir ja liegen bleiben“ Er sprach schwer verständlich, aber ich verstand den Sinn des Satzes.

„Ich dachte eigentlich, wir könnten etwas unternehmen. In der Stadt hat ein neuer Laden aufgemacht, der Gitarren verkauft und angeblich hat er original Notenblätter von Mozart. Ich würde da ganz gerne mal reinschauen und du kannst dir einen neue Gitarre aussuchen“

Ich lockte ihn. Musik war ihm sehr wichtig, er liebte es sie zu machen und ich liebe es, ihm dabei zuzuhören.
Außerdem war ich selbst begeisterter Musiker, da mich die Musik schon mein Leben lang begleitete. Seit 831 Jahren gehörte sie zu mir. Sowas hatte Bedeutung.

„Ich will keine neue Gitarre, ich Spiele auf meiner, bis sie auseinanderfällt“, brummte Boris.
Seine Hand kraulte meine Haare leicht. „Aber wenn du dahin willst, dann komme ich mit. Unter der Bedingung, dass wir dann zusammen was spielen“ .

Ich lächelte. „Gut, aber nur, wenn ich das Lied aussuchen darf“

„Meinetwegen“, murrte er, ehe er seine Lippen auf meinen Hals legte und ihn sanft küsste.
„Du könntest dich mal wieder rasieren“, meinte er dann,  als er von mir runter rutschte und sich in das Kissen kuschelte.

„Und du könntest dich mal früher ins Bett legen, statt auf mich zu warten. Ich bin dir nicht böse, wenn du schon schläfst, wenn ich nachhause komme, das weißt du doch“, meinte ich.

Er hatte die Augen noch immer geschlossen. „Schon. Aber ich will das halt so. Ich kann nur gut schlafen, wenn jemand bei mir ist, das weißt du. Und dass ich jede Nacht bei Austin schlafe, kannst du nicht wollen“

Ich seufzte, drehte mich auf die Seite, um durch seine Haare zu streichen. „Ich hab nichts dagegen, wenn ihr sowie gestern mal zusammen auf dem Sofa einschlaft, aber... Ich sehe dich sehr ungern in seinem Bett. Er ist bestimmt noch nicht über dich hinweg, so nahe wie ihr euch steht“

Boris gab einen belustigten Laut von sich und lachte leicht, obwohl seine Augen noch zu waren. „Austin ist lange über mich hinweg, Baby. Aber ich steh drauf, dass du so eifersüchtig bist“

„Bin ich nicht. Ich bin Realist und fakt ist, dass man dich einfach nicht vergessen kann“

Boris' Lächeln wurde breiter, er rutschte wieder näher an mich heran. „Willst du sagen, dass du selbst nach 5 Jahren noch hoffnungslos in mich verliebt bist?“

Er schmiegte sich an meine Seite und machte einen genießenden Ton.

„Ich will sagen, dass ich dich immer lieben werde, Boris. Immer und ewig“ Ich drückte sein Gesicht am Kinn hoch, damit es zu mir gerichtet war. „Und jetzt zeig mir deine schönen Augen.“

Seine Lider schoben sich nach oben, ich erkannte den glücklichen Blick, als er mit der Hand über meine Wange fuhr.

„Ich liebe dich“, lächtelte er, streckte sich und küsste mich.
Es war alles so schön. Aber das würde es nicht bleiben.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now