6. Jaylin: Neugier

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„Brauchst du noch was?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, danke, Chad"

Er nickte verstehend und zog dann ab.

Er war mein Pfleger und eigentlich schon ziemlich nett und cool drauf, aber ich war einfach nicht der Typ, der sich ausheulte.

Nicht lange, nachdem Chad weg war, kam mein Dad ins Zimmer, ohne zu klopfen.
Aber klar, wobei sollte man mich schon stören?

Er brachte ein Frühstückstablett rein und stellte es auf meinen Schoß ab, der sich unter der Bettdecke versteckte.

„Ich hätte auch ins Esszimmer kommen können", meinte ich seufzend.

„Das weiß ich doch, mein Großer. Aber wenn ich meinen Lieblingssohn zurückhabe, dann darf ich ihn wohl doch verwöhnen oder?"

„Ich bin dein einziges Kind", erinnerte ich ihn kritisch.

Er lachte leicht. „Noch mehr Grund, dich zu verwöhnen oder?"

Ich zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck vom Kaffee.
„Ich hätte nichts gegen ein Geschwisterchen. Dafür müsstet du aber das richtige Loch erwischen" Dabei grinste ich und musste auch kurz an Stecher denken.

Mein Dad sah mich strafend an.
Ich hob entschuldigend die Arme, musste aber kichern. Manchmal konnte ich doch echt lustig sein, oder?

„Woher wusstest du eigentlich, dass du auch auf Männer stehst?", fragte ich Dad neugierig.

Für mich war es schon immer irgendwie selbstverständlich gewesen, etwas Alltägliches, dass meine Mutter sowohl bei Männern als auch Frauen eifersüchtig wurde, die sich meinem Dad näherten. Es war noch auch irgendwie normal. Deshalb hatte ich solche Fragen sein Outing betreffend noch sie gestellt.

„Sowas weiß man einfach, Jaylin. Man spürt es"

„Wenn man in der Mannschaftdusche einen Ständer bekommt?"

Dad lachte, schüttelte den Kopf. „Nein, Großer. Natürlich kannst du sich auch nur sexuell zu Männern hingezogen fühlen, aber bei mir war es eher... Keine Ahnung. Es gab da so einen Jungen auf meiner Schule. Ihr nennt die Art von Jungs heutzutage Badboys oder Fuckboys. Alle Mädchen wollten seine Freundin sein und alle Jungs wollten so sein wie er. Und als mir aufgefallen ist, dass ich ihn weder beneidet noch so krass verehrt habe, hab ich auch langsam angefangen zu kapieren, dass ich Jungs nicht nur freundschaftlich mögen kann. Aber sowas ist bei jedem unterschiedlich und wenn du da irgendwelche Neigungen hast, dann können wir gerne darüber reden, ich..."

„Okay, Stopp" Ich lachte leicht. „Ich frage nicht meinetwegen, Dad, ich war bloß neugierig."

„Darf man ja sein", grinste er.
Er dachte, es steckte mehr dahinter, doch das tat es wirklich nicht.

„Aber eins muss ich dir sagen. Egal, was du tust, pass auf dich auf, okay? Ich würde es nicht aushalten, wenn dir was passiert. Du und Mum seid mein Ein und Alles, das weißt du"

Ich nickte sofort. „Ich weiß, Dad ich hab dir doch versprochen, auf mich aufzupassen"

Er nickte. „Ich will dich nur daran erinnern, damit du es auch einhältst."
Er machte sich Sorgen um mich. Natürlich wusste ich das und ich fand es auch toll, dass ich ihm so wichtig war, aber... Es gab auch Grenzen. Das mit Lea war so eine. Dad verstand einfach nicht, warum sie nicht mehr die richtige für mich war. Sie sah noch immer denselben Typen in mir, in den sie sich verliebt hatte, aber der war ich nicht mehr. Offensichtlich.

Vor dem Unfall war alles besser gewesen, ich war besser gewesen, aber nun war ich so wie ich nun mal war und das ließ sich nicht ändern, so sehr ich es auch wollte.

Nach dem Frühstück ging ich meinen Online-Kursen nach, um etwas Produktives zu tun. Danach zog ich mir die Sportschau rein. Der Tag zog sich ewig lang, sowie eigentlich jeder in meinem Leben.

Ich war es gewohnt, sportlich aktiv zu sein und viel zu unternehmen und jetzt war ich an diesen scheiß Rollstuhl gebunden, der mein Leben bestimmte.
Er sagte mir, was ich tun konnte, wohin ich durfte und vor allem, dass ich ein scheiß Krüppel war.

Ich hasste mich selbst für meine Dummheit.

Ich wollte mein altes Leben zurück, aber nicht, weil es so viel besser gewesen war, sondern, damit ich es ändern konnte. Erst jetzt, wo ich so ziemlich alles verloren hatte, bemerkte ich, wie schrecklich ich gewesen war.

Klar hatten meine Eltern das meistens nicht mitbekommen, aber ich war ein richtiges Arschloch gewesen.

Wahrscheinlich hatte ich das hier verdient. Es war Karma.

Erst zum Abend rutschte ich von meinem Bett und in meinen Rollstuhl, um in die Küche zu fahren.

„Hallo, mein Schatz" Mum stand am Herd.

Ich wollte ja in die Töpfe schauen, was sie da kochte, aber naja... ich konnte nicht.

Ich hasste es, auf alle hochsehen zu müssen. Jeder einzelne Mensch sah auf mich herab.
Viele taten es ja nicht mal abwertend, aber ihr Mitleid wollte ich auch nicht. Es half nicht weiter. Ich wusste doch, was in ihren Köpfen vor sich ging. Früher war ich derjenige gewesen, der auf alle anderen runter gesehen hatte und das, obwohl ich mit ihnen auf Augenhöhe gewesen war.

„Ich mache dein Lieblingsessen", meinte Mum stolz grinsend und holte mich somit aus meinen Gedanken.

Ich lächelte sie dankbar an. Während es mit bei Dad so vorkam, als seines eine Ausnahmesituationen, dass ich wieder zuhause wohnte, war es für Mum selbstverständlich und dafür liebte ich sie.

„Du hättest was sagen können, dann hätte Dad dir bestimmt geholfen, in den Rollstuhl zu kommen.", redetd sie weiter.

Ich seufzte. „Ich kann das alleine, Mum. Ich brauche nicht Hilfe bei jeder Kleinigkeit und mal ganz abgesehen davon ist Chad mein Pfleger und nicht ihr. Ihr sollt euer Leben normal weiterleben. Ihr müsst euch nicht ändern, nur weil ich es getan habe"

Mum legte den Kochlöffel weg und sah zu mir runter. „Du bist unser Sohn, Jaylin. Wir lieben dich. Du bist das wichtigste in unserem Leben. Wann begreifet du das endlich?"

„Komm her" Ich breitete die Arme aus wie ein Kind, das hochgenommen werden wollte, und Mum setzte sich auf meinen Schoß, damit ich sie umarmen konnte.

„Ich liebe euch auch", murmelte ich in ihre Haarmähne und zog ihren vertrauten Duft ein.

Wir hatten nicht oft solche Momente, aber wenn, dann waren sie sehr intensiv.
Ich liebte meine Eltern, doch ich zeigte es ihnen viel zu selten. Deshalb rührten mich ihre Worte. Sie liebten mich, egal, was ich anstellte und wie ich mich verhielt. Ich konnte mich auf sie verlassen. Sie waren das einzige, was mir noch geblieben war.

Mum merkte, dass ich sie nicht mehr loslassen wollte und strich beruhigend durch meine Haare. Sie summte eine Melodie, die ich noch von früher kannte, damit ich mich ruhiger wurde. Es half.

Meine Mum kannte mich eben besser als es mir manchmal lieb war. Aber ich war froh, dass sie mir immer helfen konnte, nur durch ihre Nähe. Das war wohl sowas wie das besondere Talent von Müttern.

Was ich da noch nicht wusste, war, dass sie nicht die einzige Person bleiben würde, die so eine Wirkung auf mich hatte...

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now