26. Jaylin: Wärme

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Boris hatte den Leuten mehr live Songs versprochen, aber Charlie tat es nicht gut, so nah an den Anlagen zu sein und Boris hatte heute schon mehr gesungen als sonst, deshalb gab er den Leuten aus dem Publikum die Chance, einen großen Auftritt zu haben, aber so richtig traute sich wohl keiner.

„Kommt schon, Leute, irgendwer, der ganz gut singen kann, wird wohl hier sein", lachte Boris.

Als Chad dann meinen Namen aussprach, wollte ich ihn umbringen.
Er schrie ihn so laut, dass Charlie und Boris ihn hören und mich überrascht ansahen.

„Na dann komm mal runter" Boris schien überrascht zu sein, aber er lächelte mich freundlich und aufmunternd an.

Ich schüttelte energisch den Kopf.

„Komm schon, Jay, du kannst es doch", meinte Chad auffordernd.
Ich warf ihm einen schneidenden Blick zu.

Ich wusste, dass ich singen konnte, immerhin hatte ich mal in einer Band gespielt, aber ich wollte das nicht mehr. Früher hatte ich die Aufmerksamkeit genossen, doch nun hasste ich es im Mittelpunkt zu stehen. An mir war nichts mehr, dem man applaudieren oder das man bewundern konnte.

Erst, als Austin mein Gesicht mit seinen Fingerspitzen an meinem Kinn zu sich drehte und mich eindringlich ansah, stoppten meine Gedanken um meinen Selbsthass.
„Du musst nicht, wenn du nicht willst."

Ich nickte, aber jetzt fühlte ich mich irgendwie wie ein Schisser. Ich war eigentlich niemand, der kniff. Und Austins nächster Satz stimmte mich komplett um.

„Aber ich würde mich freuen, dich bejubeln zu dürfen." Er lächelte mich an und brachte meine Mauern dadurch zum Einstürzen.

Ich seufzte ein nicht sehr überzeugtes „Na gut"

Als Austin das hörte, lächelte er, stand auf und stellte sich an das Geländer. „Werft ein Mirko hoch"

Sobald er das forderte, applaudierte die Menge mir jetzt schon und ich wollte mich einfach nur verkriechen. Aber ich wollte auch Austin einen Grund geben, mich zu bejubeln, also blieb ich sitzen, als Austin mir das Mikro gab.

„Ich brauche noch eine Gitarre..."

„Gitarre!", brüllte er runter.

Charlie warf eine hoch, Austin fing sie auf, als sei es nichts und gab sie mir. Aber im Rollstuhl war das etwas schwer.

Austin bemerkte das auch, ohne, dass ich etwas sagte. Er räumte einen Tisch komplett leer, schob ihn neben mich, hob mich aus dem Rollstuhl, setzte sich selbst auf den Tisch und zog mich dabei zwischen seine Beine, um mich festzuhalten.

„Geht das so?", wollte er fürsorglich wissen, sah mich überprüfend an.

Alle starrten uns an. Aber irgendwie war es nicht wichtig.

Ich nickte Austin zu und lächelte, als ich wieder seinen Geruch einatmete. Irgendwie beruhigte mich das. Zudem breitete sich von den Stellen, an denen er mich festhielt, eine wohlige, schützende Wärme in meinem gesamten Körper aus. Ich glaubte, in diesem Moment fühlte ich mich so gut wie noch nie zuvor in meinem Leben.

Raphael fing noch einen Ständer für das Mikro auf, den Charlie hoch warf, und Austin brachte beides vor uns an.

Ich konnte gar nicht glauben, dass ich gerade zwischen seinen Beinen saß und er mich am Bauch festhielt, damit ich nicht umkippte. Nein, was ich nicht glauben konnte, war, dass es sich so gut anfühlte, so als sei es genau das richtige, obwohl mich alle anstarrten.

Ich legte die Gitarre richtig hin und sah etwas unsicher zu Chad. Er blickte mich aufmunternd an. Ich hatte schon seit einem Jahr nicht mehr gespielt. Weder vor Publikum noch zuhause. Aber Musik war wie Fahrradfahren. Man verlernte es nicht.

Als Austin den Griff um meinen Bauch verstärkte und mich näher an sich heranzog, fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr unwohl. Kein Stück.

Diese Wärme, die ich immer spürte, wenn Austin mich berührte, manchmal auch, wenn er mich nur ansah, verstärkte sich enorm, mein Herz schlug schneller und pumpte dieses Gefühl, das mich durchflutete nur noch intensiver in jede meiner Zellen. Austin und ich schienen in eine Kugel aus Licht zu tauchen, in der es nur uns gab, in der nur wir wichtig waren und das, was wir fühlten.

Dann begann ich zu spielen und zu singen und es fühlte sich nicht im Geringsten so an wie früher.

Damals mit meiner Band hatte ich für den Fame gespielt, für Aufmerksamkeit, dafür, dass die Mädels ihre Beine einfacher breit machten... Ich hatte immer eine riesen Show abgezogen, doch war dabei niemals ich selbst gewesen.

Nun spielte ich für mich und mit allen Emotionen, die mich mein Leben lang begleitet hatten, sodass ich Töne sang, von denen ich nicht mal gewusst hatte, dass meine Stimme dazu in der Lage war. Ich war einfach nur ich selbst, aber es war das erste Mal in meinem gesamten Leben, dass ich davon überzeugt war, das war genug.

Der Applaus und die Schreie, gingen komplett an mir vorbei. Es gab nur mich, diese Gitarre und Austin, der mir den nötigen Halt gab, damit ich nicht einfach umkippte.

Ich fühlte mich so verdammt wohl, selbst, als das Lied endete und ich langsam aus meinem Vakuum hervor tauchte.

Ich hörte den Applaus, die Jubelrufe, spürte die unglaubliche Energie in mir, doch all das war plötzlich total unwichtig, als ich Austins Atem über meine Wange fegen spürte, weil er in mein Ohr flüsterte.

„Ein weiterer Grund, dich zu bewundern. Alles, was du tust, löst ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus. Das gerade hat mich unglaublich berührt, Jaylin. Deine Stimme ist der Wahnsinn. Du bist der Wahnsinn. Es ist, als wäre alles, was du anfasst oder tust plötzlich Gold wert. Du musst das nur auch selbst begreifen und dich trauen, es dir selbst zu beweisen. Aber für den Moment bin ich unglaublich stolz auf dich"

Nachdem er das geflüstert hatte, doch so, dass ich es genau gehört hatte, küsste er die Stelle unter meinem Ohr und mein Herz machte einen aufgeregten Sprung.

Ich wollte heulen vor Freude. Ich fühlte mich gerade so erleichtert.

Das war der beste Abend meines Lebens und das hatte ich nur Austin zu verdanken.

Er legte den Kopf auf meiner Schulter ab und sah lächelnd runter zu den Leuten, die noch immer jubelten und ich ließ mich leicht gegen ihn sinken.

Ich bemerkte nicht, wie das alles aussah oder auf welcher Ebene mich das so glücklich machte.

Das Einzige, was ich wusste, war, dass mein Leben irgendwie plötzlich einen Sinn bekommen hatte.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now