68. Austin: Mord

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„Bitte bringen sie ihn vor Ende der Besuchszeit wieder zurück" Die Krankenschwester sah mich ernst an.

Ich nickte brav. „Natürlich"

Sie konnte nicht ahnen, dass es gelogen war.

Jaylin und ich gingen aus dem Krankenhaus.
Offiziell machten wir nur einen Spaziergang.
Inoffiziell, flüchteten wir. Wir flüchteten, um Jay umzubringen.

Er fand das Ganze auch noch aufregend und lustig, denn er grinste mich begeistert an, als er meine Hand nahm.

Wir verließen das Krankenhausgelände. Wir hatten keine Eile, da niemand wusste, wo wir waren und keiner uns suchen würde bis heute Abend.

Ich genoss es, seine Hand zu halten, während wir entspannt zu unserem Zielort liefen, als täten wir einen gemütlichen Spaziergang.

„Stell dir vor, wir, auch du, wir sind alt und grau. Wir haben unser gesamtes Leben zusammen verbracht, lieben uns noch genauso wie am Anfang und verlieben uns jeden Tag neu ineinander. Wir haben unsere gemeinsame Zeit genutzt, uns unsere Liebe und Treue bewiesen. Wir sind bereit für das Ende." Jay lächelte mich an.

Er war bildschön. Trotz der blassen Haut, trotz der tiefen Augenringe, trotz der kraftlosen Haare. Jaylin war bildschön.

Seine Augen hatten diesen Glanz zurück, den sie zwischenzeitlich verloren hatten. Er hatte ihn nicht von Anfang an gehabt. Er hatte sich langsam aber stetig aufgebaut und war förmlich explodiert, jedes mal, wenn ihm gesagt hatte, dass ich ihn liebte, wenn wir uns nach jedem Kuss in die Augen gesehen hatten.

Jetzt war er wieder da, stärker als je zuvor, während er mich ansah, musterte. „Weißt du, wenn ich als Vampir wieder zurückkomme, werde ich mich sicherlich daran erinnern, wie schön du schon immer warst"

Als er das sagte, zogen sich meine Mundwinkel hoch. „Du Charmeur"

Er grinste stolz. „Du solltest mich dann einfach zum Sex zwingen, dann werde ich mir schon eingestehen, wie heiß du bist"

Ich musste leicht lachen. „Aber ich will doch nicht, dass du mich heiß findest, sondern, dass du mich liebst. Nicht nur meinen Körper"

„Das eine schließt das andere doch nicht aus, Mister Sexy", zwinkerte er grinsend.

Er hatte nicht mal Panik. Er war bereit für unser Vorhaben.

Als wir ankamen, zogen wir uns die Schuhe aus, nahmen uns an den Händen und wateten durch das kalte Wasser.

„Gott, ich erfriere", scherzte er.

„Du bist unglaublich, Jaylin", murmelte ich.

Er drückte meine Hand fester.

Wir beide zittern, weil es so verdammt kalt war. Ich mit Sicherheit auch vor Angst.

Als wir bis zur Brust im Wasser standen, hielt ich ihn auf. „Bist du dir sicher, dass du das so willst?"

Er nickte entschlossen. „So und nicht anders. Es fühlt sich richtig an. Alles ist so, wie es sein muss"

Lächelnd spritzte er mich leicht mit Wasser ab. Ich tat es ihm gleich.

Dann blickten wir uns für einen langen Moment einfach nur in die Augen.

„Vergiss den Brief nicht", erinnerte mich Jay.

Ich nickte. „Du vergiss mich nicht"

„Ich werde mich an dich erinnern", versprach er.

Wieder verging eine Zeit, in der wir nichts taten, als uns anzusehen und an der Hand zu halten. Es schien, als würden wir uns in Gedanken all das sagen, was wir schon so oft ausgesprochen hatten. Es schien, als würden wir Abschied nehmen.

Dann nickte er leicht, obwohl keiner eine Frage gestellt hatte und sagte entschlossen; „Okay, ich bin bereit"

Ich schloss kurz leidend die Augen. Das Ende kam immer näher. Ich wollte es nicht. Aber ich erinnerte mich an Charlies Worte und wusste, ich musste stark sein, denn auch, wenn Jay versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, spürte ich doch seine Angst.

Wir gingen weiter in den See hinein, bis wir nicht mehr stehen konnten, untertauchten und etwas in die Mitte des Gewässers schwammen.

Das Wasser hier war ungewöhnlich klar, deshalb konnten wir uns perfekt erkennen. Wir tauchten voreinander, sahen uns an. Dann schwamm er näher zu mir, legte die Arme und Beine um mich und küsste mich.

Ich schloss die Augen.
Ich fühlte mich so wohl in diesem Element. Jay hatte recht. Irgendwie fühlte es sich richtig an.

Als er seine Lippen wieder von meinen entfernte, lächelte er, strich mit den Daumen über meine Wangen.

Er sagte „Ich liebe dich" und ließ dabei den angehaltenen Atem aus seinen Lungen.

Er sah mich einfach nur an.

Ich konnte unter Wasser sprechen, ich konnte es, aber ihn brachte es um.

„Ich liebe dich auch", gab ich zurück, hielt ihn fest, damit er nicht nach oben trieb.

Er lächelte mich an, ließ seine Stirn an meine sinken, ehe er das Wasser bewusst einatmete.

Es war ein kleiner Trost für mich, dass ich ihm davor jegliche Möglichkeit genommen hatte, Schmerzen zu verspüren, obwohl es schrecklich war, dass das gerade passierte.

Ich hielt ihn fest. Selbst, als er nach oben strampelte.

Er hatte mir das Versprechen abgenommen, ihn unter Wasser zu halten, egal, was er tat und dieses Versprechen hielt ich.

Ich brachte ihn um. Den Mann, den ich liebte.

Sein letzter Überlebensinstinkt wich aus ihm, als sein Leben ihn verließ, seine Umarmung lockerte sich und er hing nur noch an mir, weil ich ihn festhielt. Seine Augen waren geschlossen und obwohl er zuletzt noch gekämpft hatte, lag ein friedliches Lächeln auf seinen Lippen.

Ich wusste, dass er tot war. Trotzdem gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn, einfach, weil ich das brauchte.

Meine Tränen vermischten sich mit dem Wasser um mich herum. Ich hielt Jay fest. Obwohl er tot war. Ich brauchte diesen Moment einfach.

Die Dauer, wann ein Vampir zum Leben erwachte, war immer unterschiedlich. Meistens geschah es beim nächsten Vollmond. Ich musste nur bis heute Nacht warten.

Und solange würde ich ihn einfach festhalten, wie ich es ihm versprochen hatte.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now