42. Boris: Wut

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Jay wich Austin nicht mehr von der Seite, seit er hier war.

Ich wollte zwar selbst bei ihm sein, aber ich gab den beiden ihre Ruhe. Obwohl Austin noch immer ohne Bewusstsein war, war ich mir sicher, er konnte Jaylins Anwesenheit spüren und sie würde ihm bei der Genesung helfen.

Solange Jay bei Austin war, konnte ich mich meinen Unterlagen widmen.
Ich stand kurz vor dem Durchbruch, das wusste ich, aber ich war mir sicher, mit Charlies Hilfe, würde ich ihn einfacher erreichen. Der aber wollte mir ja nicht helfen, also war ich am Verzweifeln.

Ich vermisste Charlie sehr.
Mein Herz explodierte jedes Mal fast, wenn wir nur im selben Raum waren.

Es war die Hölle und der Himmel zugleich, seine Blicke auf mir zu spüren und die Gewissheit zu haben, dass er nur darauf wartete, dass ich klein beigab und ihm wieder in die Arme rannte.

Aber ich würde genauso wenig nachgeben wie er. Wir waren einfach zu stur dafür und zu willensstark.

Ich hatte ein Ziel und das war die gemeinsame Unendlichkeit mit Charlie. Ich würde alles tun, um das zu erreichen. Deshalb frustrierte es mich so sehr, dass ich nicht weiterkam.

Mit einem Schlag beförderte ich alle Blätter zu Boden und trat gegen den Schreibtisch, sodass er nach hinten umfiel.

Ich raufte mir die Haare. Ich war so knapp davor.
Ich wusste, dass ich es zwischen dem Vampirreich und dem der Menschen suchen musste, da wo Jäger ihr Leben aus Liebe aufgaben. Aber ich wusste nicht, was das genau zu bedeuten hatte.

Der Ort zwischen Menschen und Vampirreich war wohl die Grenze, aber wo gaben bitteschön Jäger ihr Leben aus Liebe auf?

Das klang in meinen Ohren ziemlich nach Opferung, aber in keinem der Aufzeichnungen fand ich etwas darüber. Aber das war nicht das einzige Problem. Für jeden Wunsch musste man auch etwas bezahlen und nur, wer ein reines Herz hatte, konnte einen äußern. Ein reines Herz hatte ich, da meine Kräfte noch funktionierten, nur womit ich bezahlen sollte, wusste ich nicht. Es gab auch noch etwas, das ich noch gar nicht entschlüsseln konnte und das wurmte mich.

„Wir sollten reden", als ich das hörte, huschte mein Blick in die Richtung aus der die Stimme gekommen war.

Silas kniete auf dem Boden und sammelte die Blätter ein, die ich zuvor nicht sehr gefühlvoll auf den Boden befördert hatte, ehe er den Schreibtisch wieder aufstellte und die Blätter darauf legte.

Ich seufzte, wusste selbst nicht so recht, ob es erschöpft oder angespannt war. „Ich will nicht reden"

„Wir müssen aber, Boris. Es geht um Charlie. Er wird wieder aggressiver. Er braucht Blut, bevor er die Kontrolle verliert. Ich weiß, du bist gerade sauer auf ihn, aber..."

„Er kann sich auch von irgendwo anders Blut holen", meinte ich trotzig, verschränkte die Arme.

„Das kann er", bestätigte Silas. „Aber das würde nichts bringen. Benedikt hat mir erklärt, dass Charlie sich bei der Zeremonie von deinem Blut abhängig gemacht hat. Du bist der Einzige, der ihn am Leben hält. Das andere Blut gibt ihm nur zusätzliche Kraft. Aber wenn er deines nicht hat, dann ist das sein Ende."

Nein.
Das konnte nicht sein.

„Lüg mich nicht an", hauchte ich.

Silas schüttelte den Kopf, kam zu mir und legte mir die Hand an die Wange. Er zeigte mir das Gespräch mit Benedikt, in dem es um Charlie ging. Eine seiner Kräfte, seit er sich mit Raphael verbunden hatte, war, dass er auch Gedanken senden und zeigen konnte. So auch Erinnerungen.

Geschockt sah ich Silas an, als er wieder von mir zurücktrat.

„Ich hatte keine Ahnung", versicherte ich Silas perplex.

Charlie hatte gewusst, was er da tat, als er sich auf die Zeremonie eingelassen hatte. Er... Er hatte ein unendliches Leben vor sich gehabt, doch dadurch, dass er sich an mich gebunden hatte, hatte er dem ein Ende bereitet. Er hatte sich von mir abhängig gemacht, mir und meinem Blut. Aus der Ewigkeit waren für ihn nur noch gute 70 Jahre geworden und in keiner Sekunde hatte ich ein Fünkchen Reue bemerkt. Er hatte mir nicht gesagt, was er für mich aufgegeben hatte. Nicht mal, als ich ihn verlassen hatte. Er starb in jeder Sekunde, in der ich ihm mein Blut verweigerte, immer mehr.

„Wo ist er?", hauchte ich noch immer schockiert davon, dass ich meinen Mann durch meine Sturheit beinahe umbrachte.

„Unten mit Raphael. Ich glaube, sie trainieren, um Charlie ein bisschen abzureagieren"

Ich ließ ihn gar nicht zu Ende sprechen, ehe ich aus meinem Zimmer stürmte, durch das Haus und rannte schließlich in den Garten, als ich sie dort sah. Sie trainierten wirklich.

Charlie und Raphael kämpften miteinander, aber mir war alles egal. Ich rannte zu ihnen.
Charlie bemerkte mich schon ziemlich früh.

Er war gerade dabei, mit den Krallen auszuholen, genau wie Raphael, doch als Charlie mich sah, schuckte er Raphael weg, kassierte dafür vier Kratzer an der Wange, aber so konnte ich nicht verletzt werden, als ich mich ihm an den Hals warf.

„Wie konntest du das vor mir verheimlichen?", hauchte ich den Tränen nahe.

Ich spürte Charlies Krallen, als er zaghaft die Arme um mich legte und über meinen Rücken strich. Natürlich wusste er, wovon ich sprach.

„Es ist doch nicht wichtig", flüsterte er.

Gerade hatte er noch so richtig aggressiv gewirkt, doch nun war er gezähmt und zog an meinen Haaren tief die Luft ein.

„Natürlich ist es das!" Ich drückte mich von ihm weg, um ihm auf die Brust zu schlagen. „Du hast dein Leben für mich aufgegeben. Es war mein Recht, das zu wissen. Ich hätte das doch niemals zugelassen!"

Charlie lächelte leicht, als er mir vorsichtig mit dem Zeigefinger, an dem er noch immer die Kralle hatte, über die Wange fuhr. „Deshalb hab ich es dir nicht gesagt. Hätten wir das nicht gemacht, wäre deine Hand immer noch kaputt. Und mal ganz abgesehen davon, reicht mir ein menschliches Leben mit dir vollkommen aus. Es ist besser als jedes Leben in Unendlichkeit ohne dich, ohne dieses Band zu spüren."

Ich konnte nur ungläubig den Kopf schütteln. „Du bist unglaublich dumm, weißt du das?"

Er aber lächelte nur. „Nein, Kleiner, ich bin verliebt. Ohne dich ist mir ein Leben doch eh nichts mehr wert."

Ich kam gar nicht mehr aus dem Kopfschütteln raus, krallte mich an seiner Brust in seinem Shirt fest. „Wie kannst du mir das antun, Charlie? Ich kann ja schon kaum auf mich selbst aufpassen, jetzt hab ich auch noch die Verantwortung für dich"

„Dann weißt du mal, wie es mir immer geht" Seine Krallen verschwanden langsam aber sicher.

Ich glaube, er verstand den Ernst der Lage nicht wirklich.

Für mich war, was er getan hatte, der größte Liebesbeweis überhaupt, doch zeitgleich der Grund, noch intensiver nach der Quelle zu suchen. Ich wollte, dass Charlie und ich ewig zusammen sein konnten. Für mich war nichts Romantisches daran, dass er in ca. 70 Jahren mit mir sterben würde. Deshalb wolle ich es verhindern. Charlie hatte solange gelitten, so viele Jahrhunderte im Unglück verbracht. Es war meine Aufgabe, diese Zeit wett zu machen.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now