43. Jaylin: Warten

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Ich saß vor Austins Bett. Immer noch.
Er war bewusstlos. Immer noch.

Wenigstens waren die Wunden auf seinem Bauch mit der Zeit geheilt und auch die am Kopf schien wieder verschlossen zu sein.

Seufzend zog ich die dünne Decke etwas weiter über Austins Oberkörper, damit ihm nicht kalt wurde und nahm wieder die Position ein, die ich schon seit Tagen hatte. Leicht auf das Bett gestützt, seine Hand an meinen Lippen, festgehalten von meinen Händen.

Er war immer wärmer geworden und ich spürte auch einen Puls, wenn ich mir viel Mühe gab, ihn zu finden. Er war schwach, aber vorhanden.

Die Zettel, von denen er gewollt hatte, dass Boris sie mir gab, hatte ich mittlerweile auch schon alle durchgelesen und ja, dabei sogar geheult.
Warum? Weil aus jedem ich finde dich bewundernswert, weil... ein ich liebe dich, weil... geworden war.
Und verdammt, ich liebte ihn auch.

Ich drückte meine Lippen auf seinen Handrücken und sah ihn einfach an.
Die Zeit verging so langsam, seit ich hier war.
Ich verließ das Zimmer nur, wenn es sein musste, und das auch nur, wenn Boris dann bei Austin blieb.

Er und Charlie hatten sich wohl wieder versöhnt und Charlie hatte sich sogar bei mir für seine Ansage entschuldigt. Das erleichterte mich zwar, aber es half Austin auch nicht, wieder aufzuwachen und das war das Einzige, das mir gerade etwas bedeutete.

„Hei, Kleiner" Als ich das hörte, legte ich Austins Hand vorsichtig wieder auf dem Bett ab und drehte mich zur Tür, von der aus Boris leicht lächelnd ins Zimmer kam.

Er stellte ein Tablett mit etwas zu essen auf dem Schreibtisch ab und ich fuhr mit dem Rollstuhl, den Charlie mir nachträglich hochgebracht hatte, hin.

„Danke, Boris", seufzte ich.

Er setzte sich neben mich und nahm sich den zweiten Teller.

Er aß eigentlich immer mit mir. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er das nur tat, um zu überwachen, dass ich auch wirklich etwas aß, doch irgendwie war es ja nett, dass er sich so um mich kümmerte. Er tat das ja auch nur für Austin.

„Und, was erzählt er so?", wollte Boris neugierig wissen.

Ich musste schmunzeln. „Gott, er hört kaum auf zu reden. Ich bin froh, dass er grade mal die Klappe hält und mir meine Ruhe lässt"

Boris verstand die Ironie und lachte leicht, ehe er aufstand und ein Fenster öffnete.
„Hier ist richtig stickig, Kumpel, kein Wunder, wenn er da nicht wieder aufwacht" Er setzte sich wieder zu mir.

Ich seufzte, aß weiter. „Können wir das irgendwie beschleunigen? Ich meine, seine Wunden sind verheilt, er müsste eigentlich längst wach sein" Traurig sah ich Boris an.

Er seufzte. „Ich kenne mich da nicht aus, Jay. Charlie meinte, er müsste nur wach werden und ein paar richtige Schlucke trinken, dann würde es ihm besser gehen"

Ich nickte verstehend, aber auch enttäuscht. „Das heißt, weiter warten"

Boris stimme durch ein Nicken zu.

Wir aßen zusammen und unterhielten uns.
Er hatte mir auch schon erklärt, warum er wieder mit Charlie zusammen war und dass er aber trotzdem weiter nach der Quelle suchte.

„Was wirst du eigentlich tun, wenn Austin wach ist? Wie geht es dann weiter?", wollte Boris unvermittelt wissen.

Ich verschluckte mich fast an meiner Nudel und nahm mir ein Glas Wasser, um sie runterzuspülen.
Ich hustete länger als nötig, um mir Zeit zum Überlegen zu verschaffen, aber es nützte nichts. Ich steckte in der Scheiße, daran konnte alle Zeit der Welt zum Denken nichts ändern.

„Ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung. Ich hab ihn ziemlich in die Scheiße geritten, als ich meinen Eltern verkündet habe, dass wir Sex hatten. Ich hab auf den Zetteln gelesen, dass er mich liebt, aber das heißt ja nicht, dass er mich nicht auch hassen kann, für das, was ich getan habe. Ich baue so viel scheiße." Ich musste seufzen. „Selbst, wenn er mich liebt, heißt das nicht, dass er mit mir zusammen sein will. Und wenn doch, weiß ich nicht, ob ich das will. Ich dachte auch letztens, wir seien so ziemlich zusammen und dann hat er mit meinem Dad rumgemacht. Sobald ich daran denke, könnte ich ausrasten. Es macht mich so wütend. Und außerdem..."
Ich sah traurig auf den Teller und schob eine Nudel hin und her. „...Das mit dem Sex..."

Boris stöhnte genervt. „Das ist doch nicht das Wichtigste in einer Beziehung. Außerdem könnt ihr so viel Sex haben wie ihr wollt, wenn ich die Quelle erstmal gefunden habe und du wieder laufen kannst. Du wirst es ihm so hart besorgen, dass er zwar nicht mehr laufen können wird, doch dich immer um mehr anbetteln wird. Glaub mir, das wird toll" Zum Abschluss grinste er mich zweideutig an und wackelte wild mit den Augenbrauen.

Ich musste lachen. „Austin hat mir erzählt, dass Charlie dir mal das Becken gebrochen hat"

„Nicht nur einmal, mein Süßer", lachte Boris und wackelte mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum. „Aber das war es auf jeden Fall wert. Außerdem kann Charlie nichts dafür. Selbst, wenn er seine Stärke unterdrückt, ist er noch viel stärker als normale Menschen. Je älter ein Vampir wird, desto mächtiger ist er, und Charlie fickt mich mit der Kraft eines 800 Jährigen eben ziemlich heftig. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich würde da nicht total drauf abfahren"

Wir mussten beide lachen.
Er konnte so offen darüber sprechen und das gab mir die Sicherheit, es zu auch tun.

Ich verstand, wieso Austin und Boris sich so nahe standen. Mit beiden konnte man super reden. Man konnte ihnen irgendwie vertrauen, mit der Gewissheit, dass sie sich nicht über einen lustig machten.

„Jetzt mal ernsthaft, wer hat eigentlich bei euch wen..." Boris formte ein Loch mit Zeigefinger und Daumen und schob den Zeigefinger der anderen Hand rein, um den Akt beim Sex anzudeuten.

Ich musste lachen. „Du bist ziemlich neugierig, kann das sein?"

„Hei, ich sorge mich nur um meinen besten Freund"

Ich musste leicht lachen. „Wir haben beide ausgeteilt und eingesteckt, Boris, und wenn du das jemandem verrätst, dann mache ich Hackfleisch aus dir, sobald ich wieder laufen kann"

„Da freue ich mich jetzt schon drauf", grinste Boris, wuschelte mir durch die Haare.

„Und was deine Sorgen mit dem Sex angeht...", kam er wieder auf das vorherige Thema zurück. „...Ihr müsst ja nicht unbedingt miteinander schlafen, damit er auf seine Kosten kommt. Also mach dir da mal keine Gedanken."

Ich nickte seufzend.

Recht hatte er ja. Ich konnte Austin einen runterholen oder es ihm mit dem Mund machen, dazu müsste ich mich aber auch erstmal trauen. Er war immerhin nach wie vor ein Typ, für mich war das Neuland und so sehr ich ihn auch liebte, ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich ihn mit dem Mund verwöhnte...

Nach weiteren Unterhaltungen ging Boris wieder und ich rollte an meinen ursprünglichen Platz neben Austin zurück, nahm seine Hand und beobachtete ihn, während ich darüber nachdachte, wie es nur jemand hatte wagen können, einen so wunderbaren Menschen wie ihn zu verletzen. Eines stand jedenfalls fest. Ich wollte herausfinden, wer das getan hatte.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now