65. Austin: Erfahrung

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„Okay, ich lasse euch kurz alleine" Ich gab klein bei, drückte Jay meine Lippen sanft auf die Stirn und strich ihm kurz über die Wange, ehe ich ihn mit seinen Eltern alleine ließ und schweren Herzens das Zimmer verließ.

Ich wollte mich nicht aus dem Krankenhaus entfernen, deshalb rief ich Charlie an, damit er herkam.

Seit Tagen versuchte Jay mich zu überzeugen, ihn umzubringen, aber ich brachte es nichts übers Herz zuzustimmen. Doch so langsam realisierte auch ich, dass uns die Möglichkeiten ausgingen. Deshalb wollte ich mit Charlie reden.

Er kam auch sofort angerannt, ich musste nur wenige Minuten warten, ehe er zu Fuß hier war.

„Geht's Jay gut?", fragte er sofort alarmiert.

„Er ist am Leben", antwortete ich. Alles andere wäre gelogen.

Charlie nickte erleichtert. „Was brauchst du?"

Ich seufzte schwer, er kam zu mir und drückte aufmunternd meine Schulter.

Ich blickte verzweifelt zu ihm hoch. „Jay hatte eine Idee. Und es ist die letzte, die uns irgendwie helfen könnte"

„Okay, und wie kann ich euch helfen?"

Charlie war ein guter Kerl. Er konnte echt fies und böse sein, sehr streng und er war manchmal auch viel zu konservativ und strickt, aber wenn es drauf ankam, dann konnte man sich immer auf ihn verlassen. Er hatte ein gutes Herz. Eines, das für seine Freunde alles tun würde.
Deshalb hätte mir klar sein müssen, dass er mit dem Folgenden nicht einverstanden war.

„Du kannst mir sagen, ob ich einen Menschen in einen Vampir verwandeln kann ohne ihn zu töten"

Er schüttelte den Kopf. „Der Tod ist erst das, was uns zu Vampiren macht..." Er redete schneller, als er denken konnte und stoppte, als er den Sinn meiner Frage begriff.

„Das kannst du nicht ernst meinen", hauchte er ungläubig.

„Es war Jays Idee", verteidigte ich mich. „...und er hat recht. Er wird sterben. Ich kann das nicht ändern. Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sicher zu stellen, dass er zurückkommt. Als einer von uns."

Charlie schüttelte den Kopf. „Die gibt es nicht. Und selbst wenn, dann würde er sein Gedächtnis verlieren und vergessen, dich jemals geliebt zu haben. Er kommt mit einer neuen Persönlichkeit zurück, vielleicht liebst du ihn dann gar nicht mehr. Er wird gezwungen, sein Leben lang Blut zu trinken... Wer weiß, was für welches. Ein Leben als Vampir ist keines, das man herbeiführen sollte. Du hast doch bei Henry gesehen, was das für Folgen hatte. Er war nie dazu bestimmt, einer von uns zu sein... Jay ist es auch nicht. Dafür ist er schon als Mensch viel zu schwach."
Er seufzte schwer, sah mich mitfühlend an, stoppte aber nicht bei seiner Rede. „Ich weiß, dass du ihn liebst, Austin. Aber manchmal reicht das nicht aus. Egal, wie mächtig wir sind... Gegen den Tod sind wir machtlos. Das musst du akzeptieren, sonst tut es nur noch mehr weh"

„Du hast es bei Henry auch nicht akzeptiert. Wie kannst du verlangen, dass ich es tue?" Ich ging zurück, schrie ihn unkontrolliert an.
Ich wollte das nicht, Charlie versuchte immerhin nur, sein Bestes zu geben, aber es reichte mir nicht. ich war so verzweifelt. Alles tat mir weh. Und ich wollte, dass es aufhörte. Ich wollte die Gewissheit, dass Jay und mir eine glückliche Zukunft bevorstand.

„Du hast gesehen, was ich tun musste, um das wieder gerade zu biegen. Willst du, dass Jay durchdreht und Menschen umbringt? Willst du ihm das Herz rausreißen müssen?" Charlie war ebenfalls aufgebracht.

Das Thema war für uns beide sensibel. So sehr, dass ich mich kontrollieren musste, mich nicht zu verwandeln und über den nächstbesten Menschen herzufallen. Nicht, weil ich Hunger hatte und auch nicht, weil ich so wütend war, sondern schlichtweg, weil ich nicht einsah, dass ich grundlos leiden musste und andere, welche, die solch ein Leid verdient hatten, einfach so davon kamen. Es war so ungerecht. Jay hatte Besseres verdient und vielleicht klang das ja eingebildet, aber ich auch.

Only mortal (Boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt