49. Austin: Unfall

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„Schh, ich hab dich. Ich bin ja da." Ich strich Jay beruhigend durch die Haare und hielt ihn fest, während er sich an mich klammerte, als habe er Angst, an seinen Tränen zu ersticken.

Nachdem der Streit mit seinem Dad ausgeartet war, hatte Charlie Jeremy freundlich gebeten zu gehen und ich hatte Jay wieder hochgebracht, wo wir nun schon den ganzen Tag in meinem Bett lagen.

Ich versuchte, ihn zu trösten, aber er weinte immer wieder leise los und, wenn ich ehrlich war, hatte ich auch schon ein paar Tränchen vergossen. Diese gesamte Situation war einfach viel. Wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten. Aber eines war sicher; Wir würden zusammenbleiben, egal, was passierte.

„Weißt du, irgendwie hat er ja Recht", schniefte Jay nach einer Weile und trocknete seine Tränen, indem er seine Wange an meiner Brust abwischte. „...Wenn dich niemand umgebracht hätte, wärst du jetzt mit ihm zusammen und sowas wie mein Stiefvater."

„Wenn du den Unfall nicht gehabt hättest, hättest du vermutlich niemals erkannt, dass du auch einen Mann lieben kannst. Wir können so viele Sätze mit hätte aussprechen, aber es ändert doch nichts an den jetzigen Tatsachen. Zum Beispiel der, dass ich dich über alles liebe. Nur dich." Ich küsste seine Schläfe.

Er hob den Kopf leicht und sah mich aus seinen verweinten Augen an. „Ist es gemein, dass ich irgendwie froh bin, dass dich einer umgebracht hat?"

Ich lachte leicht und strich ihm durch die Haare. „Nein, Jayjay, ist es nicht. Ich bin es nämlich auch, sonst könnte ich dich jetzt nicht küssen"

Ich küsste ihn zum Beenden meines Satzes und er seufzte leicht, als er sich dem hingab. Ich schmeckte die salzige Note seiner Tränen und wischte sie von seinen Wangen.

„Wie genau ist dein Unfall eigentlich passiert?", wollte ich wissen, aus Neugier, aber auch zur Ablenkung.

Jay legte den Kopf wieder auf meine Brust und malte mit der Fingerspitze kleine Kreise darauf, während er seufzte. „Durch reine Dummheit... Weißt du, ich hab in dem Jahr meinen Schulabschluss gemacht und mit der Band sehr viel zu tun gehabt. Ich hatte ziemlich viel Stress und deshalb regelmäßig ziemlich heftige Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. An dem Tag des Unfalls war das auch so. Es ging mir eigentlich ziemlich beschissen und der Streit mit meinen Eltern war auch unnötig. Es war der Abend vor einer Klausur und ich war zum Feiern verabredet, weil wir einen Auftritt hatten. Dad hat mir beim Abendessen verboten zu dem Gig zu gehen, aber ich konnte das ja nicht einfach so absagen und meine Band hängen lassen. Wir haben uns sehr heftig gestritten. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich sie hasse und sie mir gar nichts verbieten können, weil ich 18 bin."

Er lachte leicht. „Ich war so dumm. Ich war da grade mal drei Tage volljährig..."

Er schüttelte leicht den Kopf, blieb aber liegen und erzählte weiter. „Dann bin ich abgehauen, einfach aufs Motorrad und weg. Schon beim Fahren wollte ich eigentlich halten, weil es mir mies ging, aber ich musste zum Gig und das Motorradfahren hatte auch irgendwie was Beruhigendes an sich. An der Ampel hat ein Auto voll mit Leuten neben mir gehalten und mit dem Gas gespielt. Sie wollten ein Rennen fahren. Ich war dumm genug mitzumachen. Ich hätte auch gewonnen, wäre nicht plötzlich meine ganze Sicht verschwommen und mein Fuß vom Pedal gerutscht, sodass ich das Gleichgewicht verloren habe und vom Motorrad gefallen bin. Das Auto konnte auch nicht mehr rechtzeitig halten, der Fahrer hat versucht auszuweichen, aber das Auto hat sich überschlagen und ist dabei über mich geschleudert worden. Meine Maschine lag auf mir und ich... Ich war noch bei Bewusstsein und trotzdem war es so, als würde ich träumen. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, ich würde gleich aus einem Alptraum aufwachen, aber das bin ich nicht. Ich hab über so vieles nachgedacht, ich hatte solche Angst, aber ein Gedanke war die ganze Zeit da und er hat sich immer wieder wiederholt; Das war jetzt. Dein Leben ist vorbei...
Das nächste, woran ich mich erinnere, ist Monate später. Wie mir jemand Chad als meinen Pfleger vorstellt, wie er mir erklärt, was alles so wichtig für Rollstuhlfahrer ist und wie sich alle Mühe geben, mir das so einfach wie möglich zu machen, aber mich trotzdem immer so mitleidig angeschaut haben. Wie erniedrigt ich mich gefühlt habe, als ich nicht mal alleine duschen konnte. Ich... Aber irgendwie glaube ich auch, ich habe all das verdient, weißt du? Ich war nie ein guter Mensch und das war wohl meine Strafe. Dafür, dass ich gelogen, gestohlen und mit Drogen gedealt habe. Dafür, dass ich meine früheren Freunde verraten habe, meine Freundin betrogen und meine Eltern verletzt. Das alles beweist einfach, dass es ein Karma gibt und mich hat es voll erwischt"

„Es tut mir so leid, Jayjay", hauchte ich mit nassen Augen und drückte ihn enger an mich, um ihm zu zeigen, dass ich nicht zulassen würde, dass ihm je wieder etwas passierte.

Er seufzte schwer. „Mir auch. Aber ändern kann ich es nicht und irgendwie hat Dad auch Recht. Ohne von dem Unfall so sehr verändert zu werden, hätte ich dir niemals Beachtung geschenkt. Zumindest nicht auf diese Art"

„Trotzdem ist es scheiße", meinte ich.

Er brummte eine Zustimmung und drückte sich auf mir weiter hoch, um sein Gesicht neben meinem im Kissen abzulegen.

Wir sahen uns an, ich versank in seinen schönen blauen Augen.

Wir lagen einfach so da, sahen uns an und spürten unsere Verbindung. Man konnte, was uns alles passiert war und wie wir zusammen gefunden hatten, durchaus als zufällig bezeichnen. Andere nannten es auch Schicksal. Denn vielleicht waren uns all diese Dinge nur passiert, weil sie uns letztendlich zusammengeführt hatten. Weil wir füreinander bestimmt waren. Jay und ich.

Only mortal (Boyxboy)Where stories live. Discover now