Schlussstrich

6.9K 202 5
                                    

"Was...meinst du damit?", frage ich und klammere mich mit meinen Händen in die Decke. "Siehst du das alles hier denn nicht? Gestern wurdest du wegen mir verletzt. Ich führe verdammt nochmal eine beschissene Gang an." "Aber das war doch gar nicht deine Schuld. Die Worte dieses widerlichen Typens haben Panik in mir ausgelöst. Ich habe das vermasselt, das ist meine eigene Schuld.", rechtfertige ich den gestrigen Abend. "Aber du warst wegen mir dort. Das ist kein Einzelfall, Julie. Dieser eklige Bastard ist nun weg, aber dann kommt der nächste und der findet dann heraus, dass du mir etwas bedeutest. Was glaubst du, was er dann macht?" Seine Stimme ist lauter geworden, doch sein Blick ist kalt. "Keine Ahnung? Aber du kannst mich doch nicht einfach küssen und mir dann sagen, dass du nicht datest.", werfe ich ihm vor. Ein Schleier aus Tränen verwischt mir die Sicht, doch ich gebe alles, um nicht wirklich zu weinen. Ich will in diesem Moment keine Schwäche zeigen.

Ich bin so wütend und so enttäuscht, dass ich am liebsten sofort losrennen würde. "Du hast dir erhofft, dass ich mit dir ins Bett springe, ganz ohne Verpflichtungen. Habe ich recht?", frage ich und seinem Blick zu urteilen, habe ich genau ins Schwarze getroffen. "Julie...", fängt er an doch ich hebe meine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. "Du bist doch immer noch genau das gleiche Arschloch wie am Anfang." Dann steht er auf und kommt auf mich zu. Er fixiert mich so intensiv mit seinem Blick, dass ich mich nicht bewegen kann. „Natürlich bin ich noch der gleiche, wie am Anfang. Was hast du denn gedacht? Dass ich mich ändere, mich in dich verliebe und wir in den Sonnenuntergang reiten? Wieso denken Frauen immer, sie könnten einen Mann verändern?"

Leider hat er damit irgendwie Recht. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, aber ich hatte das Gefühl, er hätte sich geändert und wäre bereit, sich zu daten. "Ist schon in Ordnung, Mat. Ich werde jetzt gehen und dann vergessen wir beide dieses Thema einfach." Unsicher sieht er mir in die Augen, doch dann wechselt er zu abweisend und starr. „Wie du willst.", sagt er bloß. Ich drehe mich um und verlassen den Raum, um dann so schnell wie möglich auch dieses Haus zu verlassen. Als ich an dem Gebäude vorbeilaufe, ist Mats Fenster weit geöffnet. Ich kann hören, wie er auf den Boxsack einschlägt...


"Was für ein mieses Arschloch.", stellt Steph kopfschüttelnd fest. "Ist er das? Letztendlich hat er ja nur die Wahrheit gesagt. Er hätte sich mit mir treffen können und mich später fallen lassen...", Wieso verteidige ich ihn gerade?! "Wie auch immer. Ich bin so froh, dass du jetzt nicht mehr in seiner Schuld stehst. Du kannst dich komplett von diesen Typen distanzieren und neu anfangen." Ich weiß, dass sie versucht mich aufzuheitern, doch es funktioniert einfach nicht. Nicht nur, dass meine Rippen höllisch wehtun, dass ich gerade so dermaßen vor den Kopf gestoßen wurde, nein, ich habe immer noch keinen neuen Job, eine depressive Mutter und einen nichtsnutzigen Bruder, der verschwunden ist.

"Ich habe DIE Idee.", sagt Steph plötzlich grinsend. "Ohhh, nein.", sage ich und hebe abwehrend die Hände. Ich weiß genau, worauf sie hinaus will. "Ohhh, doch. Heute Abend... oder nein - sofort!", schreit sie. "Steph", beginne ich, doch sie unterbricht mich. "Julie! Schlussstrich-Trinken und danach ist alles wieder gut. Ich helfe dir am Montag, einen neuen Job zu finden, aber vorher tun wir so, als gäbe es keinen Morgen mehr. Du bist all' deine Probleme los geworden: Deinen dämlichen Bruder, einen gefährlichen Typen, in den du dich fast verliebt hättest, die Schulden. Dir sollte es verdammt gut gehen, doch das tut es nicht. Und deswegen machen wir Schlussstrich-Trinken." Ich atme tief ein und aus. Steph hat irgendwie recht. Immer wenn einem von uns etwas passiert ist, dass ihn traurig gemacht hat, machen wir Schlussstrich-Trinken. Wir lassen die Probleme hinter uns, feiern die ganze Nacht durch und betrinken uns so sehr, dass wir am nächsten Morgen einen schlimmen Kater haben. Nachdem man sich einen Tag mit den Kopfschmerzen rumgeschlagen hat, fühlt man sich dann viel besser und startet neu durch. "Schlussstrich-Trinken.", murmle ich und sie klatscht zufrieden in die Hände.

Frisch geduscht, geschminkt und mit den schönsten Klamotten, die ich in meinem Kleiderschrank finden konnte, machen wir uns auf den Weg zu Vito. Die anderen sind bei unserem Schlussstrich-Trinken natürlich dabei. "Das wird legendär.", prophezeit Steph und ich hoffe, dass sie recht hat. Immerhin habe ich für dieses Trinkgelage auf meine zweite Schmerztablette verzichtet.

"Eeeey.", ruft uns Jasper entgegen, der wohl schon ohne uns mit dem Schlussstrich angefangen hat. Wir begrüßen uns mit einer festen Umarmung. "Hereinspaziert, hereinspaziert.", singt Vito, der uns lächelnd entegegen kommt. Er drückt mir ein Bier in die Hand und ich nehme es dankend an. "Dann wollen wir mal starten.", sagt Steph, die sich einen roten Becher organisiert hat. "Es gibt keinen Morgen mehr.", ruft sie und die anderen wiederholen es. Ich trinke einen großen Schluck und anschließend einen Shot. "Es gibt keinen Morgen mehr.", flüstere ich und versuche Mats Gesicht aus meinem inneren Auge zu löschen.

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now