Emre

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"Oh, hey...", sage ich verlegen. Vor mir steht Isaac, ein guter Freund meines Bruders. Er mustert Bryan, der ihm schlagartig die Hand vorhält und sich vorstellt. Widerwillig schlägt er ein. "Ich bin Isaac, ein Freund von Etienne." Bryan versucht sich einen Reim darauf zu machen, sagt aber nichts. "Wie gehts dir?", fragt Isaac. "Gut und dir?", antworte ich knapp. Ich mochte Isaac immer wirklich gerne und manchmal war er öfter bei uns zu Hause als bei sich, doch gerade ist mir seine Anwesenheit einfach nur unangenehm. "Auch.", sagt er und schaut zu Boden. "Gibt es etwas neues von Etienne?" Ich nehme einen großen Schluck meines Long Island Iceteas. Der Alkohohl brennt sich seinen Weg und verdrängt den Schmerz, den Isaac mit dieser Frage ausgelöst hat. "Nein, nichts.", gestehe ich. Isaac verzieht nachdenklich seine Lippen. "Tut mir Leid.", flüstert er. "Ich werde mal wieder zu den anderen gehen, war schön dich zu sehen.", sagt er und zeigt an einen Tisch weiter hinten. "Okay, bis dann.", antworte ich bloß.

"Das war überaus merkwürdig.", stellt Bryan das offensichtliche fest. "Jap.", sage ich und hoffe, dass das Thema damit gegessen ist. "Wer ist Etienne?" Er lässt wohl doch nicht locker. Ich antworte ihm nicht, sondern schaue raus auf die Stadt. Die Sicht ist nicht mehr so klar wie vor einer Stunde noch, wahrscheinlich wird es bald anfangen zu regnen und - "Julie?", fragt Bryan und winkt mir zu. "Was? Sorry.", murmle ich. "Ich weiß, dass du mir nicht antworten willst, aber vielleicht hilft es dir ja doch irgendwie." Ich seufze. "Er ist mein Bruder. Etienne ist vor ein paar Wochen spurlos verschwunden.", gestehe ich. Bryan stützt sich auf dem Tisch ab und sieht mir tief in die Augen. "Das tut mir sehr Leid.", sagt er und ich glaube ihm.

"Ich will nicht weiter darüber reden.", sage ich. Es macht mich wütend, dass ich so schnell so niedergeschlagen bin. Ich will einfach nur mein Leben leben und ihn vergessen. Er wird nicht wiederkommen, das weiß ich. Wie Bryan vorhin bereits sagte: Mein Leben ist vollkommen auf den Kopf gestellt. Ich muss akzeptieren, dass nichts mehr so wird, wie es mal war. "Du kannst das nicht einfach so vergessen...", sagt Bryan, der meine Gedanken gelesen haben muss. "Ich würde aber gerne.", sage ich. "Deswegen habe ich dir die Pille gegeben.", gesteht er. All die Emotionen, die in mir hochkochen, veranlassen mich dazu, ihm die nächste Frage zu stellen. "Hast du noch eine für mich?" Er verschluckt sich an seinem Getränk und wischt sich seinen Mund in seinem Hemd ab. "Nein.", sagt er knapp. "Bitte, Bryan. Du kannst mich entweder nach Hause bringen, wo ich mir wahrscheinlich die Augen ausheulen werde oder mir nur eine weitere Pille geben, damit ich einen schönen Abend habe. Ich arbeite jeden Tag daran, alles zu akzeptieren und zu vergessen. Ich arbeite sogar daran, ihm zu verzeihen uns im Stich gelassen zu haben, aber das ist so viel schwerer, als es sich anhört." Es stimmt, ich bettle gerade darum, eine Partydroge zu bekommen, um mich endlich wieder besser zu fühlen. Ich bin tief gesunken, aber das ist mir egal.

"Also schön. Ich werde keine nehmen, damit ich auf dich aufpassen kann.", willigt er ein. Dann stehen wir auf und gehen in den Loungebereich. "Hier gibt es jemanden, der das Zeug verkauft.", erklärt er mir und nimmt mich bei der Hand. Wir bleiben vor einem dunklen Flur stehen, aus dem eine große Gestalt vortritt. "Was willst du?", fragt eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt. "Moonlight.", sagt Bryan und der Typ tritt noch einen Schritt vor, während er in seiner Jackentasche wühlt. Als ich zu ihm hochblicke, fühlt es sich an, als würde mich ein Blitz durchzucken. "Emre.", entfährt es mir, woraufhin Bryan mich fragend ansieht. Emre starrt mich ebenfalls mit großen Augen an. "Julie. Was zum Teufel tust du hier?", fragt er vorwurfsvoll. Ich antworte nicht, sondern starre ihn weiter an. "Du verschwindest jetzt besser.", sagt er an Bryan gewandt. Dieser dreht sich ängstlich um und als ich ihm folgen will, hält Emre mich am Arm fest. "Du bleibst schön hier.", brummt er. "Aber... nein! Bryan.", rufe ich. "Tut mir Leid, Julie. Ich wusste nicht, dass du zu denen gehörst.", stammelt er. "Ich gehöre NICHT zu denen.", schimpfe ich, noch immer in Emres Griff. Doch Bryan dreht sich nicht mehr um und verlässt den Loungebereich.

Ich reiße mich von Emre los. "Was soll die scheiße?", zische ich. "Das sollte ich wohl besser dich fragen. Bist du ein Junkie?", brüllt er. "Nein, verdammt. Ich wollte nur einen schönen Abend haben.", kreische ich und verschränke die Arme. "Verarsch wen anders, Kleine. Ich sage Mat Bescheid, der kann dich hier abholen und nach Hause bringen." Entsetzt sehe ich ihn an. Ich greife nach seinen Händen und versuche, ihm das Handy aus der Hand zu nehmen. "Nein, Emre, bitte. Ich flehe dich an, du kannst jeden anrufen, aber nicht Mat." Er schaut mich nachdenklich an, dann steckt er das Telefon wieder ein. "Also schön, ich wollte eh bald abhauen. Du setzt dich jetzt genau da hin und wartest, bis ich dich hole.", befiehlt er mir und zeigt auf ein leeres Sofa gegenüber. Ich nicke stumm und setzte mich brav dorthin.

Als ich mein Handy hervorhole und in meine Chats gehe, sehe ich das Profilbild von Bryan nicht mehr. Wow, er hat mich schneller blockiert als ich gucken konnte. Ich lehne meinen Kopf gegen die Wand und starre an die Decke. "Was für ein beschissener Abend.", murmle ich. "Allerdings.", brummt Emre, der plötzlich vor mir steht. "Komm jetzt mit." Ich folge ihm zu seinem Wagen und steige auf der Beifahrerseite ein. "Warum hast du ihm nicht einfach die Pillen verkauft und uns in Ruhe gelassen?", frage ich, als wir losfahren. "Ist das dein scheiß ernst? Ich weiß, dass du kein Junkie bist und auch wenn du nicht zu uns gehörst, weißt du mehr über uns als alle anderen. Ich würde dir niemals etwas verkaufen." Auch wenn er damit meinen Abend zerstört hat und seine Wort vorwurfsvoll klingen, schmeichelt es mir.

"Egal, was für ein scheiß da zwischen dir und Mat abgelaufen ist: Er hätte mich umgebracht, hätte ich dir eine Pille verkauft."

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now