Die Wahrheit

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Meine größte Angst ist es momentan, im Diner auf Mat zu stoßen. Die Blinders haben sich eine Weile nicht blicken lassen, doch er könnte absichtlich herkommen, um mir mein Leben schwer zu machen. Als ich an dem besagten Samstag endlich gehen konnte, fing Lenny mich auf dem Weg nach Hause ab. Ich erzählte ihm alles und er ertrank fast in Schuldgefühlen. Doch ich habe ihm versichert, dass alles in Ordnung ist. Leroy hielt sein Wort und es stand Lenny frei, zu gehen. Dieser wohnt nun für die nächsten Wochen bei Jasper, bis er eine eigene Wohnung gefunden hat. Ende gut, alles gut... oder so. 

"Tanja fragt, wann wir mal etwas zusammen unternehmen. So ein Pärchen-Abend oder so.", sagt Bruno. Ich lächle matt. "Das wird nicht passieren, denn Mat und ich sind nicht mehr zusammen.", sage ich und räume den Tresen ab. "Und wieso steht er dann da vorne und beobachtet dich.", fragt Bruno irritiert. Ruckartig drehe ich mich um und sehe ihn auf dem Parkplatz stehen. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, doch ich würde ihn immer erkennen. Als er bemerkt, dass wir ihn ansehen, setzt er sich in Bewegung und betritt das Diner. Mir ist mulmig zu mute, auch wenn ich weiß, dass er mir nichts tun wird. 

Ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu und sehe in seine kalten, grünen Augen. "Können wir reden?" Das war keine wirkliche Frage und keine Bitte, sondern ein Befehl. Ich nicke und wir gehen wieder einmal in den Aufenthaltsraum. Er schließt die Tür hinter sich und um sicher zu gehen, stellt er einen Stuhl so davor, dass man die Klinke nicht runterdrücken kann. Ok, jetzt bekomme ich doch Angst. "Ich tue dir nichts.", sagt er trocken, als hätte er meine Gedanken gelesen. Ertappt sehe ich weg. 

"Erklärs mir. Erklär mir das alles noch einmal und dieses mal will ich die ganze Wahrheit.", sagt er und ich kneife die Augen zusammen. "Was meinst du?", frage ich, doch ich kann es mir denken. "Hör auf mit diesem Spielchen. Du hast unseren Stoff vertickt. Also los...", sagt er und macht eine Handbewegung, dass ich anfangen soll zu reden. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so schnell darauf kommen würde - oder überhaupt darauf kommen. 

"Den Teil mit Leroy und Lenny kennst du ja schon. Ich wollte ihm helfen, unaufällig den Stoff in eurem Club zu verkaufen, damit er sich von seinem Bruder lösen kann und keiner ihn umbringt. Weder Leroy, noch ihr.", sage ich und schaue ihn dabei eindringlich an. "Als Lenny den Stoff abgeholt hat, habe ich mir das Zeug angesehen und ich war mir sicher, dass damit etwas nicht sitmmt.", gebe ich zu. "Achja?", fragt er ungläubig. "Ja, es war ziemlich grob und mit irgendwas gestreckt. Ich hatte das Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt. Lenny konnte mir nicht sagen, wer ihm die Drogen verkauft hat, doch allmählich dämmerte es mir. Das muss jemand gewesen sein, der die Leute vergiften und das alles auf euch zurückführen wollte." Mat leckt sich über die Lippen und beißt sich dann gedankenverloren auf die untere. 

"Ich habe den Abend davor bei euch Stoff geklaut.", gebe ich kleinlaut zu. "Ich wusste, dass ihr etwas im Keller lagert und bin runter, bevor ich nach Hause gegagen bin. Ich habe das am Samstag heimlich ausgetauscht, Lenny hatte keine Ahnung davon." Und mit diesen Worten stehe ich auf und gehe zu meiner Tasche. Mat beobachtet mich und als ich die Scheine heraushole, schaut er mich schief an. "Das war euer Stoff, also euer Geld. Leroy hat sich nicht für das Geld interessiert. Ich befürchte, er wusste von dem Plan und war eher verwirrt darüber, dass niemand zu schaden gekommen ist." Ich reiche ihm das Geld, dass er zaghaft in die Hand nimmt und den Betrag schätzt. 

"Es tut mir Leid.", sage ich und fahre mir mit einer Hand durch mein Haar. Er starrt mich an, ziemlich lange, bevor er seinen Blick wieder abwendet. "Dann war zumindest kein anderer Stoff im Umlauf.", fasst er zusammen. "Ja.", bestätige ich. Er kommt auf mich zu und auch wenn ich es nicht will, zucke ich leicht zusammen. "Ich habe doch gesagt, dass ich dir nichts tue.", sagt er fast so sanft, dass ich das Gefühl bekomme, er hasst mich nicht mehr ganz so sehr. "Ich weiß.", antworte ich. "Was macht dein Kopf?", fragt er, denn er weiß genau, wie unsanft er mich gegen die Wand gedrückt hat. Er wusste ja nicht, dass ich es war. "Es geht schon, ist nur eine kleine Beule.", lüge ich. In Wahrheit fühlt es sich an wie eine Gehirnerschütterung und ich musste mich noch am selben Abend mit höllischen Kopfschmerzen übergeben. 

Er nickt und dann drückt er mir das Geld in die Hand. "Nimm das für dich und deine Mum." Ich sehe das Geld an, dann ihn. "Danke.", sage ich und mache einen Schritt auf ihn zu. "Es ist noch nicht alles gut, Julie.", sagt er und geht einen Schritt zurück. Beschämt schaue ich zu Boden. Ich wollte nur noch einmal sein Aftershave riechen, bevor er wieder geht. Ich weiß, dass er mir nicht verzeihen wird. Niemand von ihnen wird das tun und damit muss ich leben. 

Als er sich umdreht, um zu gehen, rufe ich seinen Namen. Er bleibt stehen. "Weißt du, woher Lenny seine Narbe über der Augenbraue hat?", frage ich und atme tief ein. "Ich habe mal etwas aus dem Supermarkt geklaut, weil wir zu Hause nichts mehr zu essen hatten. Lenny war zufällig auch da und als ich erwischt wurde, ist er zu mir gestürmt, hat mich aus den Griffen des Verkäufers befreit und mir gesagt, ich solle wegrennen. Und ich bin gerannt, während er von dem Verkäufer und zwei weiteren Security-Männern verprügelt wurde."

Eine Weile hält er inne, doch dann geht er ohne etwas zu sagen und ich lasse mich auf einen Stuhl fallen. Ich lasse den Tränen freien Lauf. 

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now