Sie (Mats POV)

6.9K 207 1
                                    

(Mat POV)

Ich stehe schon seit einer Ewigkeit unter der Dusche. Das warme Wasser prasselt auf mich hinunter, während ich über den kommenden Tag nachdenke. Anfangs brannte die Wärme auf meinen frischen Wunden, doch nun spüre ich nichts mehr. "Ey man, wie lange brauchst du noch?", holt Parker mich aus meinen Gedanken. "Schnauze.", brumme ich bloß. Wieso haben wir auch nur ein richtiges Badezimmer in diesem Haus? Ich stelle das Wasser ab und lege mir ein Handtuch um. Der Spiegel ist beschlagen, weshalb ich einmal mit der Außenseite meiner Faust drüber wische. Ich sehe scheiße aus, ohne Zweifel. Die letzten Nächte habe ich kaum geschlafen. Nicht nur, dass es zu viel zu tun gab, nein, ich musste andauernd an diese kleine Nervensäge denken. Immer wenn ich die Augen geschlossen hatte, stand sie vor meinem geistigen Auge und hielt mir vor, was für ein Arschloch ich doch wäre. 

Ja verdammt, ich bin ein Arschloch!

Ich öffne die Tür. Parker lehnt am Rahmen mit verschränkten Armen und beäugt mich kritisch. Genervt laufe ich an ihm vorbei, wobei ich seine Schulter streife. "Lass deine scheiß Laune nicht an mir aus.", brummt er. Ich bleibe stehen und drehe mich ruckartig um. "Was hast du gesagt?", knurre ich. Dieser Wichser sollte sich besser nicht mit mir anlegen - nicht heute. "Du hast mich genau verstanden, Bruder.", antwortet er kopfschüttelnd und schließt schnell die Tür hinter sich. Was für ein Feigling. 

Nachdem ich mir einen Hoodie und eine Jogginghose angezogen habe, gehe ich in die Küche. Ein Bier wird mir guttun und mir hoffentlich beim Einschlafen helfen. Ich setze mich gerade an den Esstisch, als Emre den Raum betritt. "Hey.", sage ich und trinke einen großen Schluck. "Hey, man.", antwortet er und schmeißt seine Jacke über einen leeren Stuhl. "Wie wars heute?", frage ich. Emre war heute mit dem Verkauf dran. Wir wechseln uns Wochenende für Wochenende ab. "Nicht gut. Es war nicht viel los.", antwortet er knapp und nimmt sich ebenfalls ein Bier. "Nicht viel los in der Rooftop Bar? Kann ich mir nicht vorstellen, man.", antworte ich ungläubig. Emre wirkt angespannt, er kann mich nicht einmal richtig ansehen. "Was soll ich sagen? Es ist so wie es ist." Ich knalle meine Flasche auf den Tisch. "Was ist los?", knurre ich und sehe ihn warnend an. Wollen mir denn heute wirklich alle auf die Nerven gehen? 

Emre setzt sich mir gegenüber. "Julie.", murmelt er und trinkt einen Schluck. Als er ihren Namen erwähnt, zucke ich zusammen. "Was ist mir ihr?" Er spielt mit der Flasche und ich würde sie ihm am liebsten aus der Hand reißen. "Ich habe sie heute gesehen. Sie war in der Bar." Muss ich dem Jungen denn alles aus der Nase ziehen? "Sie ist minderjährig.", stelle ich fest. "Keine Ahnung, wie sie es reingeschafft hat, aber sie war da." In mir steigt eine Hitze auf, die mich fast durchdrehen lässt. "War sie allein?", frage ich. Er schüttelt den Kopf. "Sie war dort mit einem Typen, der bei mir Moonlight kaufen wollte... für sie.", gesteht Emre und schaut mich besorgt an. Kurz entgleisen mir alle Gesichtszüge, doch ich fange mich schnell wieder. Vor meinem geistigen Auge schlage ich diesen Typen zu Brei, wer auch immer er ist. "Mat.", holt Emre mich aus meinen Gedanken. Ich habe meine Hände so fest zu Fäusten geballt, dass sich tiefe Abdrücke meiner Nägel in meiner Handfläche abzeichnen. "Die beiden haben natürlich nichts von mir bekommen. Der Typ hat sich schnell verpisst und ich habe sie nach Hause gebracht." Ich nicke geistesabwesend. "Wieso hast du mir nicht Bescheid gesagt?", knurre ich. 

"Sie hat mich angefleht es nicht zu tun. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich weiß ja nicht mal, was da zwischen euch -" "Gar nichts.", unterbreche ich ihn. Sie hat Emre also angefleht, mich nicht anzurufen. "Wer war der Typ?", frage ich nach kurzem Schweigen. "Kein Plan, man. Hab ihn noch nie zuvor gesehen." Ich schaue ihm tief in die Augen, um abzuschätzen, ob er mich anlügt. Er wendet seinen Blick nicht ab. "Mat, ich hab ihr geschworen, dir nichts zu sagen. Sie hatte Angst vor deiner Reaktion. Natürlich hatte ich nicht vor, es dir zu verschweigen, aber vielleicht kannst du es einfach dabei belassen." Angst vor meiner Reaktion. 

Na schön, wie sie möchte. Während sie sich wahrscheinlich in der Gegend rumgevögelt hat, habe ich mir tatsächlich Gedanken darüber gemacht, ob ich zu hart zu ihr war. Und dann tut sie so, als wäre ich das größte Monster überhaupt und hat beschissene Angst vor meiner Reaktion?! Die sollte sie auch haben. "Ist mir egal. Du hättest ihr ruhig etwas verkaufen können, damit sie sich zum Mond schießt.", sage ich trocken und stehe auf. 

"Bullshit.", murmelt Emre und ich zeige ihm beim Verlassen der Küche den Mittelfinger. 

Eigentlich wollte ich schlafen, doch nun schlage ich seit mindestens einer Stunde auf meinen Boxsack ein. Ich werde einfach nicht müde davon. Mir fällt immer wieder eine neues Gesicht ein, dass ich mir vorstelle und worauf ich dann zu gerne einschlage. "Ich hab da so eine Idee, wie du deine Energie los werden kannst.", sagt Milo, der an meine Wand gelehnt steht. Erschrocken fahre ich zusammen. "Wie lange stehst du schon da?", frage ich. "Hab schon hundert Schläge mitgezählt.", antwortet er bloß. "Mittwoch ist ein Kampf in Downtown. Wo genau, wird kurz vorher bekannt gegeben. Keine Regeln, keine Schiedsrichter, Käfig." Er mustert mich von oben bis unten und spielt mit zwei Fingern nachdenklich an seiner Unterlippe herum. "Klingt spaßig.", antworte ich sarkastisch. "Springt eine Menge Kohle bei raus - und ist sinnvoller als das hier.", stellt er fest und zeigt auf meinen Boxsack. "Was ist mir dir?" Er schüttelt bloß den Kopf. "Ich kann nicht, Charlotte bringt mich um, wenn ich mich noch so kurz vor ihrer Hochzeit verletze." 

"Also schön.", willige ich ein und widme mich wieder meinem Boxsack. Es ist mir eigentlich egal, worauf ich einschlage, aber wenn dabei noch Geld rausspringt - wieso nicht? "Warum bist du so angepisst?", fragt Milo, der warum auch immer weiter an meiner Wand lehnt. "Ist es wegen der Kleinen?" Ruckartig halte ich den schwingenden Boxsack an. "Warum geht ihr mir heute alle mit Julie auf die Nerven?" Milo lacht. "Weil das viel zu einfach ist." Dann verschwindet er endlich aus meinem Zimmer. 


Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now