Freunde und Familie

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Der restliche Sonntag verfliegt und ehe ich mich versehe, bin ich todmüde und unmotiviert auf dem Weg in die Schule. „Guten Morgen.", brummt Steph, als wir uns vor dem Gelände treffen. „Guten Morgen.", lächle ich. „Da hat aber jemand gute Laune.", bemerkt sie skeptisch. „Hat das etwas mit einem gewissen M. zu tun?", fragt sie und reibt sich über das Kinn. „Du wirst mich gleich für verrückt erklären, wenn ich dir das erzähle." „Ich liebe Geschichten, die so anfangen!", sagt sie und grinst. „Was liebst du?", fragt Jasper, der gerade auf uns zu kommt. „Dich, mein Süßer.", singt sie. „Ich wusste es.", grinst er und umarmt uns zur Begrüßung.

„Julie, in letzter Zeit bekommt man wirklich kaum etwas von mir mit.", beschwert er sich in der ersten Pause. Steph pflichtet ihm bei. „Tut mir Leid, der Job nimmt viel Zeit in Anspruch und ..." „und Mat.", unterbricht Steph mich und betont seinen Namen extra lang. „Mat?", fragt Jasper verwirrt. „Was ist denn jetzt schon wieder mit diesem Typen?" Und dann erzähle ich ihnen, was am Wochenende alles passiert ist. Eigentlich wollte ich nur Steph davon erzählen, weil ich weiß, dass Jasper nicht viel von ihm hält, aber er hätte es sowieso irgendwann erfahren. „Und jetzt datet ihr euch?", fragt Jasper. „Es scheint so.", grinse ich. „Also so richtig schlau werde ich aus dem Typen ja nicht.", stellt Steph fest. „Ich auch nicht, aber ich hoffe, das wird sich bald ändern."

„Wie auch immer.", lenkt Jasper vom Thema ab. „Du darfst deine Freunde auf keinen Fall vernachlässigen, deshalb würde ich sagen, dass du uns auf eine Party am Samstag begleitest." Jasper und Steph Grinsen mich beide an, als hätten sie das einstudiert. „Was für eine Party?", frage ich skeptisch und neige meinen Kopf zur Seite. „Im Midnight! Es wird eine All Red Everything Party, jeder kleidet sich rot. Ich habe Karten von einem Bekannten bekommen, die Party ist schon lange ausverkauft." Das Midnight ist ein Club mitten in der Stadt, eröffnet in zwei alten Stadtvillen, die zusammengelegt wurden. Einer der wenigen Clubs hier, der keine vollkommen fertigen Menschen reinlässt, dafür aber auch etwas teurer ist. Wenn ich ehrlich bin, würde ich mir diesen Club wahnsinnig gerne mal ansehen. „Gut, aber dann musst du mit mir vorher shoppen gehen.", sage ich zu Steph und sie spielt entsetzt. „Wunderbar.", klatscht Jasper in die Hände und die Klingel zur nächsten Stunde ertönt.

„Meinst du, das steht mir?", fragt Steph, die sich einen roten Body aus Samt vor den Köper hält. "Ich glaube, es gibt nichts, dass dir nicht steht.", antworte ich ehrlich. Steph sieht in allem gut aus, sogar in Orange. "Mhh, ich weiß nicht. Probiere du ihn doch mal an!", schlägt sie vor und hält ihn mir vor die Nase. "Nein, ich möchte ein Kleid anziehen.", sage ich. "Uhh, du in einem Kleid? Sexy.", lacht sie und wackelt mit den Augenbrauen. Ich habe schon ewig kein Kleid mehr getragen. Nachdem ich eines mit Pailletten und eines mit Blumen drauf anprobiert habe, fällt mir ein rotes, schlichtes Kleid in einer Ecke des Ladens auf. Ich nehme es vorsichtig von der Stange und betrachte es. Es ist locker geschnitten, aber dennoch enger an der Taille, ein leichter Ausschnitt und es sollte so weit bis unter den Po gehen, dass ich mich darin wohl fühlen könnte. "Ahh, das ist perfekt für dich.", schreit Steph, als sie mich mit dem Kleid sieht. Schnell probiere ich es an und was soll ich sagen? Ich möchte es nie wieder ausziehen!

Müde von unserem Shoppingtrip lasse ich mich ins Bett fallen. Seit dem Mat hier geschlafen hat, muss ich immer an ihn denken, sobald ich mein Zimmer betrete. Leider habe ich von ihm noch nichts gehört. Natürlich könnte ich mich auch bei ihm melden, aber ich will ihn nicht nerven... "Das ist doch bescheuert.", sage ich zu mir selbst. Wenn er morgen Nachmittag noch nicht geschrieben hat, werde ich das tun!

Ich schrecke nachts vollkommen verschwitzt hoch. Was war das für ein Geräusch? Ich versuche meinen Atem zu kontrollieren, doch da ist es wieder. Ein lautes Klirren hallt durch die Wohnung. Schnell springe ich auf und als ich vorsichtig die Tür öffne, sehe ich, dass Mamans Schlafzimmertür geöffnet ist. Ich trete vor die Tür und langsamen Schrittes in Richtung Wohnzimmer. Ich traue meinen müden Augen nicht, als ich sie vor mir sehe. Vollkommen verweint steht sie vor unserem großen Regal. Vor ihr liegen Scherben und zerrissene Fotos. "Maman.", spreche ich sie sanft an. "Was machst du denn da?", frage ich und komme näher. Sie sieht mich nur kurz an, dann schaut sie wieder auf ein Foto in ihrer Hand. "Ich habe es satt, mir tagtäglich Fotos von Männern anzusehen, die uns im Stich gelassen haben.", sagt sie und zerreißt das nächste Foto. Es sind Fotos von Papa und Etienne, die sie da zerreißt. Mir bricht es das Herz sie so zu sehen, meine arme Maman. "Sie haben uns nicht im Stich gelassen. Das Schicksal wollte es so.", beruhige ich sie. "Achja? Was kann das für ein Schicksal sein?" Dann stammelt sie irgendwas auf französisch, was ich kaum verstehe. Einzelne Worte wie "Coeur" und "Haine" dringen zu mir durch. "Maman, du solltest schlafen. Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus."

Langsam führe ich sie zu ihrem Schlafzimmer und bringe sie ins Bett. Es dauert nicht lange, da schläft sie wieder und ich beseitige den Scherbenhaufen im Wohnzimmer. Die Fotos, die sie nur leicht angerissen hat, nehme ich mit in mein Zimmer, bei den anderen ist nichts mehr zu retten und sie kommen in den Müll. Ich könnte Etienne wohl alles verzeihen, außer den Schmerz, den er unserer eigenen Mutter zugefügt hat.

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now