Dein Freund

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„Zwei Cheeseburger und einmal Pommes, bitte.", bestellt das Mädel vor mir für sich und ihre Freunde. „Kommt sofort.", antworte ich und begebe mich in Richtung Tresen. Ich muss noch zwei Stunden arbeiten und danach mindestens zwei weitere Stunden für den morgigen Mathetest lernen. Zum Glück ist es der letzte vor den Weihnachtsferien. Ich kann die Ferien kaum erwarten. Endlich nicht mehr so früh aufstehen, endlich auch mal Zeit für mich haben. Doch auf der anderen Seite stehen die Festtage an. Das erste Weihnachten ohne Étienne wird dem ersten Weihnachten ohne Papa  vermutlich ähneln.

Maman hat damals drei Tage durch geweint und getrunken. Da sie dachte, wir würden es nicht merken, hat sie versucht uns ein Essen zu kochen. Das ging so schief, dass Etienne irgendwann nach dem Feuerlöscher griff und wir am Ende Rührei mit Paprika aßen. Damals haben wir kein Wort gesagt, fast drei Tage lang. Alle aßen still auf und befanden sich mit ihren Gedanken in einer ganz anderen Welt. Die Stille war für mich damals sehr bedrückend. Ich wollte nicht Schweigen, ich wollte wissen, wieso ausgerechnet Papa nicht mehr da ist und ich wollte über ihn reden. Das Jahr davor habe ich gemerkt, dass er immer den Weihnachtsmann für uns gespielt hat. Die kleine, zornige Julie hat es ihm vorgeworfen; an dem Weihnachten habe ich mir gewünscht, er würde gleich wieder mit dem abgenutzten Kostüm auftauchen.

Dieses Mal wäre ich ganz froh darüber, kein Wort zu verlieren. Weihnachten komplett alleine mit Maman zu verbringen wird merkwürdig sein. Ich weiß nicht einmal, ob sie an die Feiertage denkt. Mit Mat habe ich auch noch nicht darüber gesprochen, ob wir schon so weit sind, dass wir uns etwas schenken. Wie er die Feiertage wohl verbringt?

„Erde an Julie.", lacht Bruno und fuchtelt mir vor dem Gesicht herum. „Sorry.", murmle ich. „Wo warst du denn mit deinen Gedanken? Ich hab schon mehrfach geschnipst." Ich fasse mir an die Stirn und seufze. „Ich musste gerade an die Feiertage denken und dass ich noch keine Geschenke habe." Ich werde Mat definitiv etwas schenken. Bloß was?

„Das kenne ich. Ich weiß einfach nicht, was ich Tanja schenken soll.", seufze er und lehnt sich gegen den Tresen. „Ich denke, Theaterkarten würden ihr gefallen.", antworte ich beiläufig und greife mir die Teller, die in der Durchreiche stehe. Mit großen Augen sieht Bruno mich an. „Du bist genial.", er streckt die Hände nach mir aus. „Ja, aber nur wenn es um andere geht. Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich Mat schenken soll.", mit diesen Worten mache ich mich auf den Weg zu den Tischen.

Als ich die Teller abgestellt und mir meine Haarsträhne aus dem Gesicht gepustet habe, sehe ich im Augenwinkel eine Silhouette, die ich nie verwechseln könnte. Mat steht am Tresen und schaut sich nach mir um. Er trägt einen Hoodie und eine Cap - einfach alles sieht gut aus an ihm. Mit einem breiten Lächeln mache ich mich auf dem Weg zu ihm.

„Da ist sie auch schon.", lächelt Bruno gequält hinter dem Tresen und sieht mich dabei hilfesuchend an. Mat dreht sich zu mir um und als er mich sieht, huscht ein kurzes Lächeln über seine Lippen. „Hey.", begrüße ich ihn. „Hey. Können wir kurz unter vier Augen sprechen?" Ich nicke und er folgt mir in Richtung Aufenthaltsraum. Ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass er mich zur Begrüßung nicht geküsst hat, aber ich habe schließlich kein Anrecht darauf.

„Was gibt's?", sage ich, als ich mich gegen den Tisch lehne. „Morgen ist dein letzter Schultag vor den Ferien." Ich nicke vorsichtig. „Was machst du im Anschluss?" Ich lege den Kopf zur Seite und schaue ihn prüfend an. „Bisher nichts.", sage ich vorsichtig. Was hat er vor? „Perfekt. Ich hole dich nach der Schule ab.", er kommt einen Schritt näher. „Und denk gar nicht erst daran, zu fragen, was ich vorhabe. Ich verrate es dir sowieso nicht." Ich verdrehe lachend die Augen, woraufhin er mit einer Hand vorsichtig nach meinem Kiefer greift und ihn zu sich dreht. Herausfordernd sehe ich zu ihm auf.

„Schau mich nicht so an, sonst habe ich plötzlich eine Menge Ideen, wie ich dir dieses Augen verdrehen austreiben könnte." Augenblicklich werde ich rot, was ihn sehr zu amüsieren scheint. Seine Hand wandert von meinem Kiefer zu meinem Hinterkopf und vergräbt sich sanft in meinen Haaren. Doch anstatt mich zu küssen, drückt er mich an sich, sodass ich meinen Kopf auf seine harte Brust lege. Ich wickle meine Arme um ihn und er küsst meinen Haaransatz. Damit muss ich mich für heute wohl zufrieden geben. Sofort steigt mir sein Parfum in die Nase und ich wünschte, wir wären bei ihm und ich könnte einfach die nächsten Stunden in seinen Armen liegen.

„Bald ist Weihnachten.", beginne ich mit dem offensichtlichen, so wie er eben. „Jap.", sagt er leise. „Ich hab gerade Bruno bei dem Geschenk für seine Freundin geholfen, doch ich für meinen..." Mitten im Satz breche ich ab.

Mat löst sich von mir und mustert mich frech. „Willst du den Satz nicht beenden?" Ich halte mir die Hand vors Gesicht und schüttle den Kopf. Das ist nun wirklich peinlich. Er greift nach meiner Hand und zieht sie nach unten. „Du kannst mich ruhig deinen Freund nennen.", sagt er während er mir eine Strähne aus dem Gesicht streicht. Die selbe, die mich schon den ganzen Tag nervt, doch gerade bin ich froh darüber.

„Wie meinst du das?", frage ich und muss schwer schlucken. „Ich meine, dass du mich als deinen Freund bezeichnen sollst." Er lächelt mich an und legt nun auch die andere Hand an meinen Hinterkopf. „Okay.", lächle ich und mein Herz macht einen Satz. „Dann sag es.", flüstert er. Ich weiß genau, was er hören will. „Ich gehöre Dir.", flüstere ich, während ich ihm in die Augen sehe. Er beißt sich auf die Unterlippe und sein Kopf nähert sich meinem.

Wir küssen uns, während ich mich an seinen tätowierten Armen festhalte. Der Kuss kommt mir vor wie eine Erlösung.

Als wir voneinander ablassen, geht er einen Schritt zurück. „Dann hole ich dich morgen um 12 Uhr ab." Ich nicke. „12 Uhr klingt gut.", flüstere ich völlig außer Atem.

Er geht zur Tür und kurz bevor es verschwindet, dreht er sich nochmal um. „Dein Freund würde sich über ein persönliches Weihnachtsgeschenk freuen." Dann geht er weiter.

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Onde histórias criam vida. Descubra agora