Lennys Bruder

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„Das war ziemlich merkwürdig vorhin.", stellt Bruno fest, als er mich nach Hause fährt. Nachdem ich den Saal wieder betreten hatte, war alles anders. Bruno redete kein Wort mehr, auch sein Lächeln war verschwunden. Und ich konnte mich kein Stück mehr auf den Film konzentrieren. „Julie... kann ich dich etwas fragen?" Ich nicke bloß, denn ich kann mir schon denken, was nun kommt. „Ist an den Gerüchten vielleicht doch etwas dran?" Ich atme schwer ein und aus. „Nicht so, wie du denkst. Die Blinders haben mir geholfen und jetzt kenne ich sie halt." Das ist eine ziemlich schlechte Erklärung, die ihn wohl kaum zufrieden stimmen wird. „Haben sie dich mit irgendwas in der Hand?" „Nein, wir sind absolut quitt.", sage ich. „Wie kann man mit denen quitt sein? Was hast du dafür getan?", fragt er besorgt. Bruno stellt eindeutig zu viele Fragen. „Ich kann mit dir nicht darüber sprechen, das kannst du dir sicher denken. Aber ich habe nichts Illegales getan und habe auch nicht meinen Körper verkauft.", versuche ich zu witzeln.

„Kannst du mir einen Gefallen tun und mich da vorne absetzen? Ich muss mit jemandem sprechen.", sage ich und zeige auf die Kreuzung vor uns. „Okay", sagt er und bleibt an der Ecke stehen. „Es tut mir Leid, wie das heute gelaufen ist. Momentan ist alles ziemlich kompliziert bei mir.", erkläre ich und flüchte aus dem Auto, damit er nichts mehr entgegnen kann. Das wars dann wohl mit unserer Freundschaft.

Als ich bei Lenny ankomme, höre ich Musik dröhnen und es kommt Licht aus dem Wohnzimmer. Ich glaube es vergeht kein Wochenende, an dem nichts bei denen los ist. Ich klopfe so laut ich kann und tatsächlich öffnet Lenny mir wenige Sekunden später die Tür. Er sieht mich freudig überrascht an. „Julie, was für eine Überraschung. Komm rein." Er umarmt mich zur Begrüßung und ich kann das Gras bereits riechen. „Lenny, ich muss mit dir reden." „Reden? Reden können wir auch ein anderes Mal. Komm lieber mit, Vito hat guten Stoff mitgebracht." Er zieht mich mit ins Wohnzimmer, in dem Vito und vier andere sitzen. Die anderen kenne ich nicht, aber ich denke, sie gehen auch auf Lenny's neue Schule. „Lenny, bitte..." Doch dieser nimmt bereits wieder auf der Couch Platz. „Nur wenn du mal ziehst.", sagt er und wackelt mit den Augenbrauen. Ich verdrehe genervt die Augen und ziehe einmal an diesem blöden Joint. Er ist verdammt stark und ich muss husten. „Was ist denn das für ein Zeug?", sage ich und Vito lacht zufrieden. „Das Neueste vom neuesten.", sagt er geheimnisvoll.

„Wie auch immer. Lenny?" „Ist ja gut, ich komme ja schon.", sagt er und erhebt sich langsam. Wir gehen in die Küche und er setzt sich lässig an die Fensterbank um eine Zigarette zu rauchen. „Was gibt's so dringendes?" Ich lehne mich an den Kühlschrank und bemühe mich um Konzentration. Dieses Zeug ist echt verdammt stark. „Was treibt dein Bruder?", frage ich. „Was meinst du?" „Ich meine: In was ist er verwickelt Lenny?", frage ich eindringlich. „Ich weiß nicht, was du meinst." Es war klar, dass so etwas kommt. „Er ist in Gefahr." „Und wie kommst du darauf?", fragt er und pustet den Rauch aus. „Weil Mat es mir gesagt hat." Er wird hellhörig und zieht die Augenbrauen hoch. „Mat? Ich dachte ihr hättet keinen Kontakt mehr, seit...", dann bricht er ab. Steph, diese blöde Kuh! Sie muss ihm von unserem Gespräch erzählt haben. „Aber dafür ist er extra vorbeigekommen. Er hat mir gesagt, ich soll ihm sagen, dass er sich auf dünnem Eis bewegt. Worin ist er verwickelt?" frage ich nochmal. „Shit.", sagt Lenny und schmeißt die Zigarette aus dem offenen Fenster. „Er dealt mit den Russen.", gesteht er. Ach du scheiße! „Wieso tut er das? Das hier ist Blinders Gebiet." „Weil die mehr zahlen und nicht solche Arschlöcher sind." Tzz, wenn er wüsste, was das für Arschlöcher sind! „Lenny... die Russen sind weg. Mit wem auch immer er die letzten Tage zu tun hatte, war kein Russe." Er steht auf und schnappt sich sein Handy. Er hält es sich ans Ohr und als niemand rangeht, wirft er es durch den Raum. „Fuck, fuck, fuck!", schimpft er.

Lenny ist aus dem Haus gestürmt und irgendwo hingefahren. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt und da er sein Handy zertrümmert hat, kann ich ihn auch nicht erreichen. Ich sitze also mit den anderen, die vollkommen breit sind, auf dem Sofa und warte auf ihn. Alle paar Minuten sehe ich auf die Uhr, doch die Zeit will einfach nicht umgehen. Kurz bevor ich drauf und dran bin Steph und Jasper anzurufen, geht die Tür auf. Lenny und sein Bruder kommen herein. Gott sei Dank, ihm fehlt nichts!

„Woher wusstest du davon?", herrscht Leroy mich an. „Habe ich doch eben schon erklärt, von Mat, dem Anführer der Blinders." „Du bist also eine von denen?" Seine Augen treten hervor, weil er so wütend ist. Ich fand Lenny's Bruder schon immer gruselig, aber das jetzt ist ein anderes Level. „Ich bin gar nichts, außer jemand, der deinen Arsch gerettet hat!", zische ich. „Bro, lass gut sein.", mischt Lenny sich vorsichtig ein. „Einen scheiß lass ich gut sein, sie ist eine von denen. Die Blinders sind das allerletzte." Woher kommt der Hass ihnen gegenüber? „Soll ich dir mal sagen, wer das allerletzte ist?", frage ich und atme tief ein. Dann erzähle ich ihnen von meinem letzten Gefallen für die Blinders. Dass die Russen eine schwangere Frau entführen wollten, dass der eine wohl drauf und dran war, mich zu vergewaltigen und dass die Blinders Etiennes Schulden bezahlt haben.

Lenny kannte das meiste schon, nur nicht, was genau am letzten Abend passiert ist. „Scheiße.," murmelt Leroy. „Du hast mich wirklich gerettet, was?", sagt er dann und seine Schultern entspannen sich endlich wieder.

Und tatsächlich, wenig später bekam Leroy eine Nachricht, dass seine Partner, die sich noch von der Übergabe abbringen lassen wollten, tot sind.

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now