Ich helfe dir

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Seit dem Lenny seinem Bruder wieder bei seinen Geschäften hilft, ist er anders. Er meldet sich kaum noch und ich mache mir ernsthafte Sorgen um ihn. Deshalb bin ich vor meiner Schicht schon früher von zu Hause losgelaufen und auf dem Weg zu ihm. Am Telefon drückt er mich immer weg und das kann er schlecht, wenn ich mitten in seinem Wohnzimmer stehe.

Ich drücke die Klingel und bleibe vor der Tür stehen. Im Haus ist Bewegung zu hören, doch niemand macht sich auf den Weg zur Tür. Ich kopfe gegen das kleine Glasfenster, doch wieder sind keine Schritte zu hören. "Was soll denn das?", murmle ich vor mich hin und schaue durch die Fenster links und rechts. Als ich einen Schritt zurücktrete, sehe ich dass das Fenster in Lennys Zimmer geöffnet ist. "Lenny, ich trete diese beschissene Tür gleich ein, wenn du mir nicht aufmachst. Ich weiß, dass du da bist.", bluffe ich und hoffe, nicht nur mit einem leeren Haus zu sprechen.

Doch dann höre ich endlich Schritte und ein ziemlich fertiger Lenny öffnet mir die Tür. Er hat tiefe Augenringe und seine Haare fallen ihm wahllos ins Gesicht. "Hey.", sagt er beschämt und bleibt im Türrahmen stehen. "Hey.", sage ich besorgt. Ich kann es nicht unterdrücken, denn Lenny sieht schlimm aus, wirklich schlimm. Kurz überkommt mich der Gedanke, ob Lenny vielleicht nicht nur hilft, die Drogen zu verkaufen, sondern selbst welche nimmt, um diesen scheiß zu ertragen. "Darf ich reinkommen?", frage ich sanft. Er zögert, doch dann tritt er einen Schritt zu Seite.

Wir gehen hoch in sein Zimmer und er schließt die Tür hinter sich. "Wie geht es dir?", frage ich vorsichtig, doch er lacht kurz auf, während er ein paar Klamotten von seinem Sessel fegt. "Als ob du das nicht siehst." Ich schaue betreten zu Boden und überlege, wie ich mich verhalten soll. Das hätte ich mir vielleicht mal vorher überlegen sollen...

"Lenny...", "Nein.", unterbricht er mich und schüttelt den Kopf. "Hör auf damit. Ich will keine Ansprache darüber, dass du dir Sorgen machst." Sein Blick ist stur auf das Fenster gerichtet, durch das er auf die Straße sieht. "Ok. Denn die bekommst du auch nicht...", sage ich trocken. Er dreht seinen Kopf langsam zu mir und sieht mich verwundert an. "Du bekommst kein Mitleid von mir dafür, dass du deinem beschissenen Bruder wieder beim Dealen hilfst. Ich will einfach wissen, wie es jetzt weiter geht."

Er überlegt und knickt langsam ein. Seine gestrafften Schultern lässt er fallen und stützt seinen Kopf ab. "Ich weiß es nicht.", seufzt er. "Ich will wieder aussteigen. Ich wollte nur über eine bestimmte Zeit helfen, aber langsam merke ich, dass Leroy etwas anderes geplant hat." Manchmal frage ich mich, wieso ich Leroy eigentlich damals vorgewarnt habe... "Das heißt?", frage ich.

"Das heißt, dass ich ihm gesagt habe, dass ich aussteigen will. Er sagte ich kann aussteigen, muss aber vorher noch eine Lieferung abholen und an einem Abend verticken." Das klingt nach einem großen Haken. "Und wo ist das Problem?", frage ich. Er sieht mich nervös an und spielt mit seinen Händen an seinen Kapuzenbändern herum. "Ich soll im Blinders Gebiet dealen."

Alles dreht sich um mich herum und ich habe alle Mühe, meine Gedanken zu sortieren. Wir schweigen uns eine Weile an, bis ich endlich etwas sagen kann. "Und wenn du es nicht machst?", frage ich. Er steht auf und stellt sich vor mich. "Was passiert wohl mit Leuten, die ihre Aufträge nicht ausführen?" Scheiße! Leroy ist es sowas von egal, was mit seinem Bruder passiert. Er ist ein noch größeres Arschloch, als ich vermutet habe und er spielt seine Spielchen mit jedem. Diese Situation ist aussichtlos. Entweder dealt Lenny in den Clubs der Blinders und stirbt, oder er tut es nicht und stirbt. Lenny greift in seine Hosentasche und holt eine Packung Zigaretten hervor. "Willst du?", fragt er und ich nicke. Dann gehen wir raus auf die Terrasse.

Ich ziehe an meiner Zigarette, die mich irgendwie beruhigen soll. Doch das funktioniert nicht, wenn da bloß Tabak drin ist. "Wann sollst du diesen beschissenen Auftrag ausführen?" Er reibt sich mit der Hand über die Stirn und drückt seine Zigarette aus. "Nächsten Samstag.", antwortet er knapp. Dann steckt er die Hände in die Hosentaschen und sein Blick schweift über den Garten. "Ich muss das machen, Jul. Das weißt du, oder?" Ich nicke, auch wenn er mich nicht sieht. "Was ist, wenn ich dir helfe?", frage ich und sein Kopf schießt herum. "Was redest du denn da?", fragt er verwirrt.

Genau überlegt habe ich mir das noch nicht, um ehrlich zu sein ist mir die Idee gerade erst gekommen, doch wir haben keine Zeit, um genau darüber nachzudenken. "Was ist, wenn ich mit dir in die Clubs gehe? Ich habe neulich bestimmt die Hälfte aller Blinders kennengelernt, sie wissen wer ich bin. Wenn wir zusammen aufkreuzen, werden sie denken, dass du dazu gehörst und du wirst nicht groß auffallen." Energisch schüttelt er den Kopf. "Auf gar keinen Fall. Das ist verrückt und du bringst dich in ernsthafte Gefahr. Niemand hintergeht die Blinders." Ich mache mir weniger Sorgen darum, die Gang zu hintergehen, als meinen Freund. Mat dürfte davon nichts erfahren, denn er würde es nicht zulassen, das kann er gar nicht.

Doch es geht hier um einen meiner besten Freunde, der wie Familie für mich ist. Ich kann nicht einfach tatenlos zusehen, wie sein Bruder ihn in das offene Messer laufen lässt. "Sie werden nichts davon mitkriegen. Danach werden sie sich vielleicht wundern und können sich denken, dass dort noch jemand seinen Stoff verkauft hat, aber sie werden niemals darauf kommen, wer das war."

Nachdem ich weitere 20 Minuten auf Lenny eingeredet und auch mich selbst von diesem Plan überzeugt habe, willigt er ein. "Das ist verrückt.", sagt er. "Das ist es, aber danach hast du es geschafft. Danach solltest du nie wieder ein Wort mit Leroy reden." Ich hasse diesen Typen mehr denn je. "Ich werde danach hier ausziehen, das steht mal fest."

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now