Mädelsabend

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"Ich habe Popcorn, Schokolade, Nachos und Gummibärchen.", zählt Steph auf und kommt mit der Schüssel Popcorn aus der Küche ins Wohnzimmer. Als Mat mich nach unserem Wochenende abgesetzt hat, wurde mir bewusst, wie sehr ich Steph in letzter Zeit vernachlässigt habe. Ich kam zwar sofort zu ihr und erzählte ihr alles über Lennys und meinen Plan, der gehörig schief gelaufen ist, badete die Zeit danach aber lieber in meinem Selbstmitleid, als mich abzulenken. Schule und Arbeit haben mir gereicht, den Rest der Zeit wollte ich nur in meinem Zimmer verbringen.

"Wie viel Zeit hat man, bis man an einem Zuckerschock stirbt?", frage ich zur Sicherheit, nehme mir aber schon mal die erste Hand Popcorn. "Hoffentlich genug, um den Film zu Ende zu sehen.", sagt sie trocken und holt auch schon die nächste Ladung Zucker. Ich nutze die Zeit, um auf mein Handy zu sehen. Mat hat mir geschrieben. Er fragt, was ich mache und ob ich morgen Abend Zeit für ihn habe. So gerne ich etwas mit ihm unternehmen würde, muss ich verneinen. Ich schreibe, dass ich bei Steph bin und morgen doch arbeiten muss. Als Antwort hakt er nochmal nach, ob ich wirklich bei Steph bin.

Er vertraut mir noch nicht, das ist mir klar, aber das neugeborene Misstrauen, was meine Freizeit angeht, ist anstrengend. Auch wenn ich versuche ruhig zu bleiben und Verständnis zu zeigen, macht es mich langsam wahnsinnig. Ich schicke ihm ein Foto von dem Tisch und dem Fernseher, sowie meinen Kuschelsocken.

"Für wen ist denn dieses anzügliche Foto?", scherzt Steph, als sie zurückkommt. "Wobei ich es mir ja schon denken kann." Sie lässt sich neben mich auf die Couch fallen und winkelt ein Bein an. Bevor sie etwas sagen kann, komme ich ihr zuvor, denn ich weiß genau, was sie sagen will. "Frag bitte nicht. Es läuft eigentlich gut, aber er misstraut mir so sehr, dass ich langsam zweifle, ob wir das wirklich hinkriegen." Sie fährt sich nachdenklich durch die Haare. "Naja, ein Vertrauensbruch ist eben schwer zu verkraften. Gerade für so einen nervigen Eisklotz, der sonst keine Gefühle hat." Ich sehe tadelnd zu ihr rüber, kann mir ein leichtes Schmunzeln aber nicht verkneifen. "Das wird schon wieder. Hab ein bisschen Geduld mit ihm und bitte, bitte mach so etwas nie wieder. Diesen Ärger ist nicht einmal Lenny wert."

Steph ist total sauer auf ihn, weil er uns allen so viel verschwiegen und mich in die Sache mit reingezogen hat. Naja, ich habe ihr mehrmals versucht zu erklären, dass das meine Idee war, aber die Leute hören, was sie hören wollen. "Ignorierst du Lenny immer noch?", frage ich, um das Thema auf sie zu  lenken. "Jap, darin bin ich gut. Aber wenn ich ehrlich sein soll, gibt es da kaum etwas zu ignorieren, er meldet sich nicht mehr." Sie gießt uns dabei zwei Gläster Wein ein und reicht mir das erste. "Du solltest nicht sauer auf ihn sein. Leroy ist ein Arschloch, der seinen Bruder ausnutzen wollte." Und wegen dem er nicht einmal mehr ein zu Hause hat. "Ich weiß. Hätte doch bloß er der Bruder sein können, der einfach verschwindet." Als sie diesen Satz ausspricht, zucke ich zusammen. Sie hält sich die Hände vor den Mund und sieht mich geschockt an. "Oh Gott, tut mir Leid. Ich wollte das nur denken und nicht aussprechen."

"Ich habe wirklich schon länger nicht mehr an Etienne gedacht. Also eigentlich schon, aber ich habe mir nicht mehr den Kopf darüber zerbrochen, weißt du?" Auf diese Erkenntnis nehme ich noch einen großen Schluck. "Ja, mit der Zeit kann man anscheinend alles überwinden.", fasst sie zusammen und ich bin mir sicher, dass das nicht nur auf Etienne, sondern auch auf Lenny bezogen ist.

„Bevor wie den Film starten, will ich alles über dein Wochenende mit Mat in seiner Wohnung hören.", mit großen, neugierigen Augen sieht sie mich an. „Der Typ hat also wirklich eine verdammte Wohnung und lebt trotzdem mit den anderen Holzköpfen zusammen? Und wie weit seit ihr gegangen, Mh? Ihr habt doch aufgepasst?", plappert sie und um sie zum Schweigen zu bringen, fange ich an zu erzählen.

„Das klingt verdammt schön. So ein Wochenende hätte ich auch gerne mit einem heißen Typen.", schwärmt sie und starrt an die Wand gegenüber. „Also seid ihr wieder zusammen?" Ich ziehe die Schultern hoch. „Wir haben nicht darüber gesprochen. Ich glaube nicht, dass wir das schon sind, aber wir sind auf einem guten Weg." Ja, das sind wir wirklich und darüber bin ich ziemlich froh. Mat gibt mir so viel, das mir zuvor gar nicht bewusst war. Durch ihn fühle ich mich stärker, selbstbewusster und mehr wie selbst. Er macht mich wahnsinnig und das in jeglicher Hinsicht, positiv wie negativ.

"Sollen wir endlich den Film starten?", fragt Steph nachdem wir das Thema Mat mehrfach durchgekaut haben und greift nach der Fernbedienung. "Ja, bitte.", sage ich und lächle sie an. Dann kuscheln wir uns zusammen, breiten eine Decke über uns aus und genießen es, einfach mal wieder Zeit als beste Freundinnen zu verbringen.

"Dieser Film war...", beginne ich. "unfassbar kitschig?", beendet sie meinen Satz und ich nicke. Wir müssen beide lachen. Eigentlich sollte er eine witzige Liebesbeziehung darstellen, doch das war einfach klischeehaft - und es hat mich an Mat und mein Wochenende erinnert. Das war eindeutig kitschig und romantisch und schön und... Hör auf, Julie!

Als Steph neben mir liegt und bereits tief und fest schläft, schaue ich auf mein Handy. Mat hat mir als Antwort auf mein Foto einen lachenden Smiley gesendet, dazu ein viel Spaß und eine Stunde später ein Kuss Emoji. Ich schreibe ihm, dass wir nun schlafen und ich ihn vermisse.

Plötzlich überkommt mich die Unsicherheit. Bin ich schon bereit, ihm so etwas zu schreiben? Ist er schon bereit dazu? Ich kneife die Augen zu und sende die Nachricht einfach ab. Es könnte unangenehm sein, wenn er nichts erwidert, aber so schlimm wäre es auch nicht.

Zehn Minuten lang habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, als mein Handy vibriert.

Ich vermisse dich auch, Baby. ♥️

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now