"Wo ist denn dein Lächeln?"

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Ich konnte es kaum glauben! Gerade hatte ich noch an ihn gedacht und jetzt steht er direkt vor mir. Gerade hatte ich noch sein Gesicht vor mir gehabt und nun sah ich direkt in seine dunklen Augen.

Etwas genauer musterte ich seine Gesichtszüge, solange es mir der Moment zuließ, und bemerkte wie verdammt gut er aussah.

„Lia, du sprichst hier gerade von einem Obdachlosen! Schon mal seine Klamotten angeschaut und das Gefährt, mit dem er unterwegs ist, bzw. nun wohl eher unterwegs war!?", drängte sich mein Inneres Ich in meine Gedanken.

Ich wusste sehr wohl, dass ich es hier mit einem wohl obdachlosen Mann zu tun hatte. Aber die Klamotten und seine Geschichte schienen mir in diesem Moment total egal zu sein. Ich konnte einfach nicht aufhören in dieses wunderschöne Gesicht zu schauen, obwohl es mit jeder Sekunde immer grimmiger wurde.

„Gaffst du mich jetzt noch länger an oder gehst du nun endlich aus dem Weg? Soll ich dieses verbogene Ding jetzt auch noch um dich rumschieben?", gab dieses hübsche Gesicht, genauso grimmig wie es aussah, von sich.

Bevor ich überhaupt reagieren konnte, schob er siegessicher seinen Drahtesel schon auf mich zu und wäre mit großer Wahrscheinlichkeit dazu bereit gewesen dieses Ding voll in mich reinzuschieben. Sofort sprang ich mit einem Satz auf die Seite, bevor er sein Vorhaben wirklich zu Ende führen konnte.

Ein halblautes „Was soll das?" drang aus meinem Mund und sah zu wie er dieses verbogene Stück Metall versuchte voran zu bringen.

„Sie fragen ernsthaft was das soll?", sprach er in die immer dunkler werdende Dämmerung.

Dann drehte er sich noch einmal um und fügte hinzu: „SIE haben MICH angefahren, schon vergessen? ICH könnte fragen, was das soll!!!"

Diese Worte haute er mir noch vor die Füße wie einen dreckigen, halbtoten Pudel, bevor er den Rest der Straße überquerte und einen dramatischen Abgang hinlegte.

Was war das denn bitte???

Total verwirrt und extrem genervt von seinen Aussagen, schaute ich ihm noch hinterher. Er hob noch mal seine Hand und zeigte mir seinen Mittelfinger, als ob er genau wüsste, dass ich ihm noch hinterher starrte.

Was fällt dem eigentlich ein? Ich versuch ihm zu helfen und er mault mich nur blöd von der Seite an? Und den Mittelfinger hätte er sich auch sparen können!

Ein wütendes Brummen ertönte tief aus meinem Innern, wobei kurz darauf ein Hupen mich aus meinen nachsinnenden Gedanken holte und mich schreckhaft zusammenzucken ließ.

Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich mitten auf der Straße stand und mein Auto die Spur blockierte.

„Welcome back in the reality.", musste jetzt auch noch die zweite Lia in mir den Brei noch mehr zum kochen bringen, oder wie dieses Sprichwort halt geht.

Mit einem „Ist ja schon gut.", versuchte ich das Auto unhörbar zu beruhigen, dass ungeduldig wartete, bis ich endlich weiterfuhr und stieg hastig wieder ins Auto ein.

Ebenso hastig versuchte ich mein Auto vom Zebrastreifen zu bekommen und fuhr unruhig ohne weitere Vorkommnisse nach Hause. Wenn mir jetzt noch ein Hase vor das Auto gerannt wäre, hätte ich mich, glaube ich, neben den Hasen auf die Straße gelegt und mich totgestellt.

Sogar als ich schon im Bett lag, spielte sich die Szene nochmal in meinem Kopf ab und ein immer wieder wiederholender Schauer lief mir unangenehm den Rücken runter.

Ich konnte es nicht glauben, dass ich wirklich jemanden angefahren hatte und noch weniger, dass es genau ER war, der mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf ging. Und jetzt wollten seine genauen Gesichtszüge noch weniger vor meinem inneren Auge verschwinden.

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