Der erste Drehtag

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Fünf verschiedene Pinsel wedelten mir übers Gesicht, an meinen Haaren wurde gezogen und achtsam rund um meine Augen gemalt. So fühlte es sich also an in der Maske zu sitzen.

Irgendwie versuchte ich so zu tun, als wär das das Normalste der Welt für mich. Aber irgendwie zweifelte ich daran, dass es mir gelang.

Weshalb sollte ich mich denn eigentlich verstellen? Ich wollte doch ICH bleiben...
Vielleicht hatte David gar nicht so unrecht, als er mir noch sagte, dass Ich die Lia bleiben soll, die er kannte. Einmal etwas Aufregendes in meinem Leben und ich erkenn mich kaum wieder. Ein Nervenbündel, dass versucht selbstbewusst und cool zu sein. Das würde mir auf Dauer sowieso nicht guttun. In manchen Situationen konnte ich zwar sehr selbstbewusst sein, aber dann auf meine Art und Weise. Und diese Art und Weise winkt der Coolness von 10 Kilometer Entfernung aus zu.

Aber trotzdem sollte es hier keinen Grund geben sich zu verstellen und vorzugeben jemand zu sein, der ich nicht bin.
Außer mein lieber neuer Bekannter wäre ein Grund dafür...
Nur ein paar Meter weiter, im selben Stuhl wie ich, saß der Namenlose und bekam von einer anderen Stylistin die Haare, noch perfekter als sie eh schon waren, frisiert.
Aber nein! Ich will mich auch nicht für diesen Typen verstellen. Der hat doch auch bestimmt eine Freundin, so wie der aussiehst. Und wenn nicht, dann ist er ein Frauenheld, der eine nach der anderen hat und darauf programmiert ist, zu verletzen und Herzen zu brechen.

„Also hör auf zu träumen, Lia!!!"

***

„Gut siehst du aus."

Ertönte die bekannte männliche Stimme des Namenlosen hinter mir, als ich mich nach meiner „Vollendung" von meinem Stuhl erhob und mich dem Spiegel näherte, in dem ich nicht nur mich zu sehen bekam.

„Danke", antwortete ich und trat noch etwas näher, um die perfekt geschminkten Augen besser betrachten zu können.

Nach einem nicht all zu langen Moment, drehte ich mich um zu dem Mann, der wartend an meinem Styling-Stuhl lehnte.

„Verrätst du mir eigentlich auch mal deinen Namen?", fragte ich ihn schließlich, da ich es mehr als nur merkwürdig fand, seinen Namen immer noch nicht zu wissen. Und die Bezeichnung des „Namenlosen" in meinem Kopf wurde mir nun langsam auch zu blöd.

„Lia.", sagte er stolz Meinem Namen, als wäre es ein Triumph für ihn zu wissen wie Ich heiße.

In meinem Inneren schnaufte ich kurz auf.

Hätte ich mir ja fast denken können, dass er meinen Namen natürlich schon weiß.

Ich versuchte mir nichts anmerken zulassen und ein endlich mal etwas schlagfertiger Satz kam aus mir heraus.

„Nein, Lia kann nicht dein Name sein, so heiß nämlich schon ich.", reagierte ich Lia-like und freute mich über meine authentische Antwort, worüber er nur lachte.

„Adrian" (englisch ausgesprochen),
verriet er mir nun endlich seinen Namen.

„Uh, Adrian", ließ sich mein Inneres Ich seinen Namen auf der Zunge zergehen.

„Still hier jetzt! Ich muss mich konzentrieren.", brachte ich diese nervige Stimme zum Schweigen, denn er streckte mir gerade seine Hand hin, die ich etwas überrumpelt ergriff.

Wer gibt sich in unserem Alter denn bitte die Hand, um sich vorzustellen? Also ja bei so Bewerbungsgesprächen oder so. Aber von dem Model hier vor mir hätte ich das nicht erwartet. Plötzlich wirkte er so anders auf mich. Was war es... gebildet?

„Lia mein Kind. Nur weil er aussieht wie ein Model und du ihn für einen Herzensbrecher hältst, heißt das nicht gleich, dass er nichts in der Birne hat!", meldete sich wiedermal meine hilfreiche innere Stimme zu Wort.

Vielleicht hat sie Recht. Also ich meine, vielleicht hab ich Recht. Also ich in mir drin... Ehhm...Naja also. Ihr wisst schon...

Vielleicht sollte ich ihn wirklich nicht in diese Schublade stecken und ihm eine Chance geben. Ich hab ja jetzt genug Möglichkeiten ihn etwas kennen zu lernen...

***

„War doch gut der erste Drehtag oder?"

Adrian und ich spazierten noch gemeinsam durch den anliegenden Park und ließen den heutigen Drehtag Revue passieren.

„Hhmm Joa.", war alles was ich darauf antworten konnte.

Ich habe ja noch keinen anderen Drehtag erlebt. Deshalb konnte ich auch nicht beurteilen wie gut oder schlecht dieser denn nun gewesen war.

„Das ist dein erster Film oder?"

Verständnisvoll ist wohl das falsche Wort um seinen begleitenden Blick dieser Worte zu beschreiben. Er vermittelte mir auf jeden Fall, dass es für ihn nichts Peinliches oder Unprofessionelles war, noch so unerfahren zu sein. Er gab mir das Gefühl, dass es vollkommen in Ordnung ist und schenkte mir in gewisser Hinsicht ein Mitfreuen, was ich wirklich süß fand. Immerhin muss es irgendwann ja das erste Mal geben.

Ich nickte um seine Frage zu beantworten.

„Ich weiß noch wie aufregend ich meinen ersten Film fand. Ich konnte es bis zur Veröffentlichung nicht glauben, dass ich tatsächlich in einem Film mitspielen durfte."

„Dein Lieber Freund hier gibt Tiefe von sich Preis. Hättest du nicht gedacht oder?"

Tiefe? Naja ok. Er lässt mich etwas hinter seine Fassade schauen und gibt frühere „Schwächen" zu, wenn man das so nennen will. Aber so besonders find ich das jetzt auch nicht. Oder? Doch warum diskutiere ich hier überhaupt mit meinem Inneren Ich!?

„So wird's mir bestimmt auch gehen... Wie viele Filme hast du denn schon hinter dir?", fragte ich neugierig.

„Ach, so viele warn's jetzt auch nicht. Das ist meine zweite Hauptrolle und drei, vier Nebenrollen warn da noch."

So viele warn's nicht? Sein Ernst? Das ist mehr als ich mir bisher nur erträumen konnte!

Wir quatschen noch ein klein wenig, bis er mich schließlich bei meinem Auto absetzte. Echt lieb von ihm mich bis dorthin begleitet zu haben.

„Bis morgen dann.", gab er zur Verabschiedung mit einem unglaublichen Lächeln von sich und fügte „Vielleicht wollen wir uns morgen auch zusammen etwas locker machen" hinzu, belgeitet von einem schmunzelnden Zwinkern.

Ich hätte mir am Liebsten die Hand auf die Stirn geklatscht, aber das hätte den Moment wahrscheinlich nicht besser gemacht.

„Ich kann dir gerne meine amüsante Performance beibringen, wenn du scharf darauf bist.", scherzte ich überspielt.

Er lachte nur beim Weggehen und wünschte mir noch einen schönen Abend.

Und weg war er.

Puh. Das war mal ein Tag! Ich war emotional und körperlich einfach nur fertig. Mein Bett schrie nicht nur nach mir, es hatte bestimmt schon eine Vermisstenanzeige aushängen lassen.

Erfreut im Herzen mich gleich in mein kuscheliges Bett fallen zu lassen, drehte ich mich um zu meiner Autotür, absolut bereit einzusteigen. Da erschreckte ich mich fast zu Tode, als da plötzlich ein gewisser Mann an meiner Motorhaube lehnte!

Aus Reflex machte ich ungewollt einen Satz nach hinten und fasste mir ans Herz.

„Ach du heilige Sch****, geht's noch?", brach es aufgebracht aus mir heraus, was ich wenige Sekunden später gleich wieder bereute.

Wenn ich es mir mit ihm verspiele, werd ich wohl doch irgendwann so enden, wie in meinen schlimmsten Vorstellungen.

Ganz lässig an meinem Auto lehnte nämlich mein obdachloser Rivale...

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