Smalltalk? Pff!

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So saß ich nun mit meinem Verfolger im Auto.

Wortlos hatten wir das Fahrrad in meinem Kofferraum gequetscht. Ja, er hat mir tatsächlich dabei geholfen. Sonst würde ich da wahrscheinlich jetzt noch dran rumbasteln und schlicht und einfach verzweifeln. Ich war sehr dankbar, dass mir diese peinliche Aktion erspart blieb, aber dafür rutschte ich in eine andere hinein, denn die unangenehme Stille legte Nervosität wie einen Schleier unerwünscht über mich.

Wie soll ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten? Würde er auf einen Smalltalk eingehen?
Nicht lange wog ich ab, bis ich diese Idee sofort wieder aus meinem Kopf geboxt hatte. Ich war schon recht „froh", dass er das Angebot überhaupt angenommen hatte. Ich will nicht auch noch erwarten, dass er sich mit mir gezwungen unterhält.

So schaltete ich kurzerhand den Radio etwas lauter, um die Stille zu übertönen. Ein schneller Blick ließ mich erkennen, dass seine Hände in fest zusammengeballten Fäusten auf seinen Oberschenkeln zitterten.

Konzentriert lenkte ich meinen Wagen nach Hause. Obwohl ich sonst ganz automatisch mein Auto lenkte, brauchte es in diesem Moment eine wahnsinnig große Konzentration nicht von der Straße abzukommen, denn ich spürte wie jede meiner Bewegungen von dem starren Blick meines Beifahrers begleitet wurden. So gut es ging versuchte ich dies zu ignorieren, aber erst als wir angekommen waren und ich hastig aus dem Auto sprang, merkte ich wie sich die aufgebaute Anspannung wieder etwas löste. Es war als hätte ich damit das Band seines Blickes durchtrennen können.

Das Fahrrad ausgeladen versuchte ich es zur Werkstatt zu schieben. Ich musste kurz schlucken, da es weit aus schwerer zu schieben war, als gedacht. Ich hoffte sehr, dass es so einfach zu reparieren war wie ich mir das vorstellte.

„Das ist die Werkstatt meines Dad's."

Ich schloss die Tür auf und machte das Licht an.

„Ich hoffe du findest das, was du brauchst."

Ich trat aus der Tür, um ihm den Weg frei zu machen.

„Wenn du fertig bist, klingle einfach. Dann lass ich dich rein."

Ich sah ihm nochmal kurz in die Augen, um ihn so gut es ging ermutigend anzulächeln. Dann schlug ich zielstrebig den Weg zu meiner Wohnung ein.

***

Meine Ellenbogen stützen am Tisch und mein Gesicht ruhte in meinen Händen.

„Was mach ich hier eigentlich?", kroch es tonlos aus meinem Mund.

Wie wild trommelte ich auf meinem Kopf herum bis ich realisierte, dass das kein verrückter Traum war, sondern Realität!

Wie aus dem Nichts schoss mir wie ein Blitz plötzlich überdosierte Energie in den Körper, sodass ich plötzlich wieder vom Tisch aufgesprungen war.

Zuerst das Bett? Oder was Kochen? Was braucht ein Obdachloser am meisten? Will er überhaupt Essen von mir annehmen? Vielleicht kommt er ja schon gleich zurück und es ist noch nichts gerichtet? Wie geh ich denn jetzt am Klügsten vor?

Ein Ball von Fragen durchrollte meinen Kopf, was mich für einen kurzen Moment handlungsunfähig machte. Ohne es realisiert zu haben eine Entscheidung getroffen zu haben, fand ich mich bei meinem Schrank wieder und suchte Bettzeugs für das Sofa raus.

Die Nudeln waren schon längst verkocht, als es endlich klingelte. Er brauchte um einiges länger als gedacht, aber anstatt mir einen weiteren Plan zu stricken, starrte ich nach meinen letzten Vorbereitungen nur noch auf die Uhr.

Sofort rannte ich zum Knopf, um ihm die Tür zu öffnen. Ich entschied mich einfach an meiner Eingangstür zu warten und ihn in Ruhe hochkommen zu lassen. Ich beobachtete ihn genau wie er langsam die Treppe hochstieg. Dabei fielen mir wieder seine zusammengeballten Fäuste auf.
Bevor er einen Blick durch die offene Tür in meine Wohnung warf, sah er mich nochmal skeptisch an. Brav zog er dann aber seine Schuhe aus und trat vorsichtig über die Türschwelle. Zögerlich sah er sich um, ließ aber keine Gedanken durch seinen immer gleichbleibenden Gesichtsausdruck erkennen. Sein Blick blieb bei den Töpfen auf meinem Herd hängen.

„Ich hab Nudeln gekocht.", sagte ich fröhlich als wärs eine Überraschung.

„Dachte du hast bestimmt Hunger.", fügte ich vorsichtig hinzu.

Mit einem leichten Kopfnicken, ohne jeglichem Anzeichen eines Lächelns, bestätigte er meine Aussage.

Langsam hatte er sich zu Tisch gesetzt, während ich ihm eine große Portion anrichtete. Mir selbst tat ich auch ein wenig auf den Teller, damit er nicht dachte ich hätte nur für ihn gekocht. Ich hatte heute eigentlich schon zu Abend gegessen, aber all die Aufregung hatte wohl ein Loch in meinen Magen gefressen. Denn ich verspürte tatsächlich Hunger.

Stumm futterten wir in uns hinein. Es konnte mir nicht entgehen zu bemerken wie er gierig eine Gabel nach der anderen in sich hineinschob. Ich fragte mich, wann er wohl das letzte Mal eine warme Mahlzeit bekommen hatte...

Als sein Teller leer gekratzt war, schob er ihn ein wenig von sich weg und starrte ihn an. Kurz darauf blickte er zu mir auf und ich wusste sofort, was er wollte: Nachschub!

Nach dem dritten Teller ließ er sich in die Stuhllehne fallen und ein lauter Rülpser quoll aus seinem Mund. Kurz hoffte ich auf ein dankendes Lächeln, aber das kam nicht. Stattdessen warf er mir den alt zu bekannten kühlen Blick zu. Mir kam es so vor, als würde er jedes Mal, wenn er unsicher wurde, in seine sicherheitsgebende Verfolger Rolle zurück schlüpfen. Seine Beschäftigung des Essens war jetzt nämlich beendet und nun war er wieder von mir abhängig, was als nächstes geschehen würde.

Ich räumte kurz die Teller weg und griff danach zu den Handtüchern, die ich auf sein bereitetes Bett gelegt hatte.

„Hier hast du Handtücher. Benutz gerne die Dusche."

Weil er nicht nach den Handtüchern griff, die ich ihm hinhielt, sondern sie nur anstarrte, legte ich sie wieder auf das Sofa.

„Ich gehe jetzt in mein Schlafzimmer. Falls du was brauchst, sag Bescheid."

Ich war mir ziemlich sicher, dass er sich nicht melden würde, selbst wenn er etwas bräuchte, aber ihm das Angebot zu machen, schien mir nicht falsch zu sein.

Zuerst lauschte ich erstmal, bis ich mir sicher war, dass er im Bad verschwunden war und unter der Dusche stand. Dann griff ich nach meiner Zahnbürste, die ich zum Glück noch aus dem Bad frühzeitig gerettet hatte, und huschte leise in die Küche, wo ich meine Zähne putze.

Ich hörte die Dusche eine gefühlte Ewigkeit laufen, aber ich entschied mich dafür es ihm zu gönnen, anstatt an die erhöhten Heizkosten zu denken.

Ich machte mich bettfertig, aber an schlafen konnte ich noch lange nicht denken. Vor allem, weil ich plötzlich furchtbar dringend auf Toilette musste. Und es gab nur eine Toilette. Und die war im Bad...
Dass es klug gewesen wäre auch nochmal die Blase zu entleeren, bevor dieser Mann in meine Wohnung trat, fiel mir erst jetzt ein und ärgerte mich tierisch. Warum konnte ich nicht so wie bei der Zahnbürste ganzheitlich mitdenken?

Immer ungeduldiger wurde ich, weil das Geräusch der Dusche einfach nicht aufhörte und ich nun wirklich mal musste.
Doch schließlich hörte ich endlich die Badezimmertüre aufgehen gefolgt von Schritten Richtung Wohnzimmer. Ich zählte noch einmal kurz bis 20, um sicher zu stellen, dass er auch wirklich verschwunden war und eilte dann blitzschnell ins Badezimmer.
Erleichtert wollte ich wieder zurück in mein Zimmer verschwinden, doch als ich aus der Türe trat und einen kurzen Blick ins Wohnzimmer warf, machten meine Füße plötzlich mitten am Weg halt.

Ein gutaussehender Mann stand nämlich mit nichts als einem Handtuch um die Hüften in meinem Wohnzimmer...

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