Unergründlicher Frieden

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Diese 2 Minuten fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Zu gern wollte ich wissen, was gerade in ihrem Kopf vor sich ging. Irgendwie konnte ich aber erahnen wie sie unsinnige Ideen in ihrem Kopf auf die Seite schob und kurz darauf wieder hervorkramte. Abwägte, Theorien und Lösungen aufstellte. So wie sie hier gerade grübelnd vor mir saß, konnte ich mir gut vorstellen wie die Männchen in ihrem Hirn aufgrund maßloser Überforderung mehr Knoten als Entwirrung konstruierten. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich über ihre kommende Beurteilung freuen werde.

Schließlich regte sie sich endlich wieder und das erste was sie tat war nach meinem Handy zu greifen, um es mir zielsicher in die Hand zu drücken.

„Du rufst jetzt bei der Polizei an. SOFORT!", gab sie fordernd fast schon bedrohlich von sich.

In ihren Augen lag eine so gefährliche Härte, dass ich fast schon Angst bekam. Kurz glaubte ich sie würde mich in jedem Moment geißeln, an einem Stuhl festbinden und mich solange foltern bis ich endlich getan hatte, wonach sie verlangte. Noch nie hatte ich sie mit einem so unheimlich bösen Blick gesehen, der meine Augen zu durchbohren schien.

Luftanhaltend versuchte ich ihrem Blick standhaft zu bleiben, aber einen kurzen Moment länger und ich wäre rückwärts vom Sofa gepurzelt.

Mit meinem letzten Stück Stabilität drückte ich sie vorsichtig von mir weg, um wieder ein wenig Abstand zum Atmen zu bekommen.

„Das ist nur deine Beste Freundin Aly. Du brauchst keine Angst vor ihr haben.", redete ich mir immer wieder ein.

„Lia bitte!"

Ohne nur etwas gesagt zu haben, merkte sie, dass ich mit ihrem Vorschlag nicht einverstanden war.

„Ich will nicht irgendwann in der Zeitung lesen: Junge Frau von Obdachlosen vergewaltigt und anschließend getötet.",
begründete sie ihre Forderung.

Ich weiß nicht warum ich mir so sicher war, aber etwas in mir war äußerst stark davon überzeugt, dass es nicht so weit kommen würde.

„Das wirst du auch nicht, Aly.", versuchte ich sie zu beruhigen, doch konnte ich meine Sicherheit nicht wirklich begründen. Auf jeden Fall nicht so, dass es Aly zufriedenstellen würde.

„WARUM BIST DU DIR DABEI SO SICHER? MACHT DICH DAS NICHT WAHNSINNIG?"

Jetzt fuhr sie komplett aus der Haut. Verzweifelt schrie sie mir ihr Misstrauen ins Gesicht.

Ob es mich wahnsinnig machte? JA! Ob ich Angst hatte wirklich so zu enden? JA! Aber irgendetwas in mir zeigte mir, dass alles in Ordnung war. Und dieses Irgendetwas schien immer stärker zu werden...

Es verwirrte mich. Ich konnte dieses Gefühl nicht einordnen. Es kam so unerwartet... Ich wollte ihn loswerden, weil er jedes Mal mein Herz fast zum Stehen brachte und ein weiteres Zusammentreffen in dieser Form meine Nerven nicht überstehen könnten, aber... irgendwie hatte es auch etwas...etwas...reizvolles?

Ich spürte wie mein Inneres Ich versuchte mich zu schlagen.
„Vor ein paar Stunden hast du noch so Panik geschoben, dass ich in Ohnmacht gefallen bin! Schon vergessen???", erinnerte es mich ärgerlich.
Schade, dass es sich mittlerweile erholt hatte...

Ich weiß, es ist einfach nur schräg. Ich kann nicht sagen, wo das plötzlich herkam. Vielleicht war ich einfach nur so fertig mit der Welt, sodass aus der Anspannung ein Standard wurde. Die ersten Drehtage...das plötzliche Widertreffen mit Adrian...die Diskussion mit meinen Eltern. Da konnte ich mit zusätzlichem Stress wohl nicht umgehen... Das versuchte ich mir zumindest einzureden. Eine andere Erklärung fand ich dafür nicht.

„Jetzt komm mal wieder runter! Wer hier Grund zum Durchdrehen hätte wäre ich, aber das tu ich eben grade nicht. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie breitet sich unergründlicher Frieden über diese Situation in mir aus. Also kannst du dich jetzt erst mal wieder beruhigen."

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