Ein Klingeln kommt selten allein

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Gespannt schloss ich die Türe zu meiner Wohnung auf, neugierig auf das, was mich erwarten würde.
Was ich sofort bemerkte war, dass ER auf jeden Fall nicht mehr da war. Prüfend scannte ich meine Wohnung, um ein schnelles Inventar vorzunehmen.
Meine Gitarre, die in der Ecke stand, war noch da - mein Schmuck: so wie ich ihn hinterlassen hatte - mein Kleiderschrank: vollständig. Der Wäscheständer lehnte zusammengeklappt an der Wand und auch die Bettwäsche war abgezogen und mehr oder weniger gründlich zusammengefaltet.
Das Essen stand genauso am Tisch, wie ich es hingerichtet hatte. Doch ein benutzter Teller ließ mich dankbar aufstöhnen, da ich schon kurz Angst hatte, dass er ohne etwas zu essen wieder verschwunden war.
Doch dann fiel mir mein Zettel ins Auge, auf den ich meine kurzen Worte geschrieben hatte. Klein in einer Ecke stand in leserlicher Schrift „Danke“.
Ein breites Grinsen streckte sich über mein Gesicht, auch wenn ich es lieber unterdrückt hätte.
Was gab mir den Grund so zu grinsen?
Der Fakt, dass ich etwas Gutes getan habe?
Der Fakt, dass ein wahnsinnig gutaussehender Obdachloser in meiner Wohnung übernachtet hatte?
Oder der Fakt, dass der verschlossene und kalte Verfolger doch einen Hauch an Weiche zeigte und tatsächlich wahre Dankbarkeit hinterließ?

***

Ein paar Tage nach diesem Ereignis hatte ich Aly wieder mal zum Girlyabend auf meinem Sofa sitzen und wir waren bereit einen der kitschigsten Filme aller Zeiten zu schauen.

Beim Aussuchen des Filmes musste ich ungewollter Weiser wieder an ihn denken.

Ich war ihm die Tage nicht mehr begegnet und ich fragte mich ständig, ob der Wunsch nochmal auf ihn zu treffen angebracht bzw. echt war. Es würde mich so reizen zu wissen, was er über diese Aktion dachte. Was er über meine Entscheidung, ihn in meiner Wohnung allein zu lassen, dachte. Und eventuell auch was er über … mich dachte. Aber auch wenn ich ihn nochmal sehen würde, wären das wohl die letzten Fragen, die ich ihm stellen würde.

„Der klingt doch gut, was sagst du?“, riss mich Aly mit einem Filmvorschlag aus den Gedanken.

Entgeistert schaute ich sie an, weil ich von ihrem Vorlesen der Inhaltsangabe einfach Null mitbekommen hatte.

„Hast du überhaupt zugehört?“, fragte sie mich leicht eingeknickt.

„Tut mir leid, ich war gerade in Gedanken…“, gab ich ehrlich zu.

„Ich hoffe, dass WENN nur dein heißer Schauspieler in deinem Kopf ist, oder du endlich darüber nachdenkst wegen deinem Verfolger die Polizei zu rufen.“

Sofort hielt ich die Luft an und meine Lippen pressten sich aufeinander.

Ich hatte ihr von meiner Aktion noch nichts erzählt und entschied mich nun neu dafür sie auch jetzt noch nichts davon erfahren zu lassen. Sie würde schlicht und einfach durchdrehen und wahrscheinlich ohne zu zögern selbst die Polizei anrufen. Kurz hinterfragte ich diese Entscheidung, aber ich bin doch nicht gleich eine schlechte Freundin, wenn ich zum Schutz von ihr einfach manche Dinge für mich behielt oder?

Schließlich hatten wir uns auf einen Film geeinigt. Diesmal auch schneller als sonst.
Vielleicht lag es auch daran, dass ich am Ende einfach bei einem Film einwilligte, damit wir diesen nervenaufreibenden Prozess endlich hinter uns hatten.
Oder vielleicht wollte ich einfach so schnell es ging meine wirren Gedanken von einer tollen Liebesgeschichte vertreiben lassen.

Jedoch hatten wir noch keine 5 Minuten den Film laufen, da klingelte es plötzlich. Sofort drückte Aly auf Pause. Es war immer klar, dass keiner von uns nur eine Sekunde eines Filmes verpassen durfte.

„Erwartest du jemanden?“

„Wen hätte ich denn noch zu unserem Aly-und-Lia-special-Girlyabend einladen sollen?“,
entgegnete ich ihrer Frage spielerisch.

Doch innerlich hatte ich alles andere als die Leichtigkeit eines Kindes.

Ich steuerte auf meine Sprechanlage zu und fragte mein Gegenüber:
„Wer ist da?“

Nach einer längeren Pause erklang schließlich eine tiefe Stimme und stellte sich vor.

„Rob“

Einen verwirrten Blick tauschte ich mit Aly aus, weil sie genauso wenig einen Rob kannte, wie ich.

„Warte, ich komme runter“,
waren meine letzten Worte in die Sprechanlage bevor ich auch schon die Treppe zur Eingangstür runter huschte.

Heute wünschte ich mir zum ersten Mal, dass diese Eingangstür ein Fenster hätte.
Ich kannte die Person nicht, die hinter dieser Tür wartete bis sie endlich aufging. Und zu gern würde ich zuerst abwägen können, ob ich diese überhaupt aufmachen wollte.

Bevor ich mir die schlimmsten und kriminellsten Szenen vorstellen konnte, öffnete ich einfach die Tür, die mir kurz darauf kräftig entgegengedrückt wurde, so dass ich fast von meiner eigenen Eingangstür gebügelt wurde.
Weil ich so sehr mit der Tür beschäftigt war, bemerkte ich erst gar nicht wer hier so hektisch ins Treppenhaus wollte.
Schnell schloss er die Tür hinter sich.  Schnaufend ließ sich mein Verfolger auf den Boden sinken, um erstmal durchzuatmen. Seine unglaubliche Nervosität sprang sofort auf mich über und Sorgen breiteten sich in mir aus. Aber ich traute mich nicht zu fragen bzw. würde ich gerade eh kein Wort herausbringen.
Stattdessen starrte ich ihn nur mit großen Augen an, wie er in meinem Treppenhaus auf den Boden saß und aufgelöst versuchte seine zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen.

Wortlos setzte ich mich auf die zweite Treppenstufe, um ihm etwas mehr auf Augenhöhe zu kommen.

Rasche nichtwissende Blicke warf er mir immer wieder zu, die nicht länger als eine viertel Sekunde lang waren. Ich versuchte diesen spitzen Blicken mit einer liebevollen Sanftheit entgegenzuwirken.

Ich merkte wie mehr und mehr Ruhe in ihn kehrte, doch ich ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Wenn er bereit war etwas zu sagen, würde er das tun. Ich musste ihn nicht danach fragen.

Eigentlich fällt mir so etwas extrem schwer. Ich hätte normalerweise gar keine Geduld zu warten, bis jemand endlich mal Worte für etwas findet. Doch nicht nur der alt bekannte Frieden breitete sich wieder in mir aus, sondern die nötige Geduld floss wie Blut durch meine Adern. Ich fühlte mich unglaublich stark in dem Moment, obwohl ich eigentlich voll von Unsicherheit sein sollte.
Immerhin wusste ich nicht was heute noch alles passieren würde. Und dass Aly noch immer oben in meiner Wohnung auf mich wartete, hatte ich komplett ausgeblendet. Mein ganzer Fokus lag auf ihm…

Nun endlich öffnete er seinen Mund.

„Ich muss hier noch eine Nacht unterkommen.“

Trocken warf er mir diese Worte vor die Füße.

Ich hätte ja eine etwas andere Formulierung gewählt, um nochmal höflich um eine Unterkunft zu bitten...
Allein, dass er das Wort „muss“ verwendete, und dass es nicht mal eine Frage war, sondern eine Forderung.
Es war eine absolut gestellte Forderung, die eine klare Handlung verlangte.

Eine Autosirene ließ ihn zusammenzucken, was ihn einen kurzen Moment später aufspringen ließ.

„Darf ich hoch?“

Die Nervosität, die er einige Minuten vorher noch siegreich bewältigt bekam, war wie auf Knopfdruck wieder zurückgekehrt und an seinem ganzen Körper sichtbar.

„Bitte!“

Kräftig griff er nach meinem Arm und sah mich mit großen Augen an. Fordernd aber auch flehend zu gleich.

Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich erstmal etwas zurückweichen musste, um wieder Raum zum Atmen zu haben.

„Ehm…ja, ich meine…“

Ich hatte nicht mal einen anständigen Satz gesprochen, da stampfte er an mir die Treppe hoch.

Bevor ich ihm nachsprang, schüttelte ich noch kurz diesen unglaublich merkwürdigen Moment von mir ab.

„Ehm warte, ich habe…“

Ich schaffte es nicht mehr meinen Besuch anzukündigen, denn das tat sie bereits selbst.

„Liiiaaaaa, wo bist du denn so lange?“, unterbrach sie mich mit ihrem Schreien.

„Was will denn dieser unbekannte Rob  -  denn?“

Auf der Suche nach mir hatte sie sich zur Wohnungstür begeben und stand nun meinem Verfolger direkt gegenüber.

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