Worte auf Papier

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‚Lieber Rob'

Meine Hand zitterte leicht, als ich diese Worte auf ein Schmierblatt schrieb.
Sollte ich ihn so ansprechen? Oder sollte ich einfach ‚Hallo Rob' oder ‚Hey Rob' oder einfach nur ‚Hey' schreiben?

In meinem Kopf hörte sich alles dämlich an. Also versuchte ich erstmal weiterzugehen, bevor ich mich Ewigkeiten bei der Anrede verzettelte.
Aber die nächsten Sätze wurden nicht unbedingt leichter.

‚Es tut mir so leid, wie das nun alles lief...'

Kopfschüttelnd strich ich die Worte wieder durch. Wie jämmerlich kann man eigentlich anfangen?

‚Ich würde dich viel lieber besuchen, als dir diesen Brief zu schreiben. Aber anscheinend bleibt mir keine andere Möglichkeit, nachdem du mich bei der Gerichtsverhandlung in Schutz genommen hast und ich zu deinem Opfer geworden war. Dafür wollte ich mich von Herzen bedanken. Du hast mich wohl vor meiner ersten Strafe meines Lebens bewahrt. Auch wenn du jetzt da bist wo du bist - für mich bist du ein Held. Ich habe in der Gerichtsverhandlung dein Herz neu kennengelernt. Ich fand es unglaublich stark, dass du die Schuld auf dich genommen hast, um mich zu schützen. Und sich bei seinem Opfer zu entschuldigen und Reue zu zeigen erfordert enormen Mut. Ich glaube dir, dass du diese Straftat nicht aus bösen Absichten begangen hast. Und es schmerzt mein Herz zutiefst...'

Ich stoppte den Flow meines Schreibens. Den letzten Satzteil konnte ich so nicht formulieren. Das klingt ja wie in einem schlechten lyrischen Gedicht aus dem 13. Jahrhundert.

‚Der Schmerz ist so unglaublich groß, zu wissen, dich 6 Monate nicht sehen zu können. Und ich kann es kaum aushalten, nicht zu wissen wie du über mich denkst. Die Zeit mit dir hat sich für mich so echt und ehrlich angefühlt und ich habe wirklich geglaubt, dass du es genauso gesehen hast. Doch jetzt quälen mich so viele unsichere Fragen, ob du es wirklich ernst mit mir gemeint hast und ob die jetzige Situation etwas verändert hat? Ich von meiner Seite, kann nur sagen, dass meine Gefühle für dich echt waren und nach langem in mich hineinhorchen immer noch echt und da sind.'

Der letze Satz fiel mir nicht leicht. Ich überlegte lange, aber ich hatte mich dafür entschieden. Es war wohl der bedeutendste Satz des ganzes Briefes.

Rob, Ich bin bereit auf dich zu warten.

Deine Lia'

Nach noch 10-maligem Durchlesen und kleinen Korrekturen, entschied ich mich den Brief erstmal liegen zu lassen. Vielleicht würde ich ihn morgen ja ganz anders schreiben.

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Tage vergingen und ich hatte den Brief so abgeschickt, wie ich ihn zu Beginn formuliert hatte.
Ich hatte mir extra hochwertiges Briefpapier gekauft und mich bemüht extra schön zu schreiben. Am Ende habe ich das Papier sogar noch mit meinem Parfum eingesprüht. Irgendwie hatte ich mich für die kitschige Film Variante entschieden.
Aber es war nun mal der erste persönliche Brief, den ich je geschrieben hatte. Das war einfach aufregend und sehr besonders für mich. Und dann ging dieser Brief auch noch an einen Mann, der mir sehr wichtig war. Und zusätzlich waren in diesem Brief auch noch sehr viele Gefühle verpackt. Vielleicht war es auch ein Liebesbrief, aber so wollte ich ihn nicht nennen.

Im Café ließ sich David nicht blicken. Ich war so dankbar, dass nicht so viel los war, sodass ich seine Hilfe nicht nötig hatte.

Es war ein Dienstag, als ich plötzlich einen ganz bestimmten Brief in meinem Postkasten fand. Schnell erkannte ich, dass es ein persönlich geschriebener Brief war und ich wusste sofort von wem dieser Brief verfasst wurde.
Augenblicklich schlug mein Herz schneller als ich ihn in meinen Händen hielt und ganz genau musterte.
Meine Augen nahmen jeden Schriftzug der Anschrift unter die Lupe. Ich hatte noch nie etwas von Hand Geschriebenes von ihm gesehen. Umso genauer inspizierte ich jeden Buchstaben.
Am längste starrte ich auf meinen Namen. Es fühlte sich so unglaublich besonders an, dass er meinen Namen per Hand auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Es war so wunderschön, auch wenn seine Handschrift jetzt nicht die ansehnlichste war.

Nach langem Untersuchen mit Augen, Fingern und Nase fragte ich mich, wielange ich nun schon diesen Brief viel zu nahe an mein Gesicht gehalten hatte. Hätte mich jemand beobachtet, wäre er bestimmt der Meinung gewesen, dass ich ihn jeden Moment essen würde.

Innerlich hüpfend wie ein Kind stieg ich die Treppe hoch.
Jede Stufe fühlte sich unendlich schwer an, als würde sich der Weg noch Stunden ziehen.

Möglichst ruhig versuchte ich den Schlüssel in das Türschloss meiner Wohnung zu stecken, aber meine Hand zitterte zu sehr. Mein Körper reagierte mal wieder anders als mein Hirn.

„Lia, es bringt jetzt nichts so nervös zu sein. Du wirst diesen Brief in der nächsten Minute aufmachen können. Chill mal!",
ermahnte ich mein inneres Selbst.

Irgendwann stand ich dann endlich in meiner Wohnung. So schnell hatte ich meine Schuhe noch nie ausgezogen gehabt.
Meine Tasche warf ich einfach auf den Boden und rannte in die Küche, um ein scharfes Messer zu holen. Ich wollte diesen Brief so schön wie es nur möglich war öffnen. Doch bevor ich das Messer schneidebereit ansetzte hielt ich nochmal inne.

Was, wenn das, was in diesem Brief steht mir nicht gefallen wird?
Was, wenn ich mit den harten Worten seiner Ehrlichkeit nicht umgehen konnte?
Was, wenn er uns aufgeben wollte?
Was, wenn er keinen Kontakt mehr zu mir haben will?
Was, wenn...?

Ein Zweifel nach dem anderen schrie laut in meinem Kopf. Plötzlich war ich nicht mehr voller Vorfreude, diesen Brief zu öffnen, sondern voller Angst.

Was, wenn er ganz anderer Meinung war, als ich?

Ich begann Runden um meinen Küchenblock zu drehen. Den Brief und das Messer auf der Arbeitsplatte abgelegt.

Ohne groß darüber nachzudenken begann ich zu beten:

„Gott, ich weiß nicht, ob es dich wirklich gibt. Aber wenn David Recht hat, dann musst du auch jetzt bei mir sein. Hilf mir, bitte. Du weißt wie's mir geht. Was für eine Angst ich habe. Bitte, mach mich ruhig. Und hilf mir mit dem Inhalt dieses Briefes umgehen zu können. Amen."

Ich kreiste noch drei Runden um meinen Küchenblock, bis ich tatsächlich um einiges ruhiger vor dem Brief wieder zum Stehen kam.

Ich war bereit...

Langsam und behutsam öffnete ich den Brief, holte den Zettel aus dem Umschlag hervor und faltete ihn auf. Bevor ich richtig zu lesen begann, scannte ich seine Handschrift, die so unglaublich schön in meinen Augen war.

Dann widmete ich mich schließlich dem Inhalt dieses Briefes:

‚Lia'

Er hatte kein ‚Hallo' geschrieben, kein ‚Hey' und somit natürlich auch kein ‚Liebe Lia'. Einfach nur ‚Lia'?

Eine kleine Enttäuschung machte sich in mir breit. Aber vielleicht hatte das ja gar nichts zu bedeuten. Also las ich erstmal weiter, bevor ich mir über seine gewählte Anrede den Kopf zerbrach.

‚Lieb, dass du mir schreibst. Deine Worte taten gut. Aber sie haben mich auch bitter gemacht.'

Bitter?
Meine Worte haben ihn bitter gemacht?

Ich schluckte fest, um aufsteigende Tränen wieder zu verabschieden.

‚Die Zeit mit dir war wirklich besonders für mich. Schon lange hatte sich niemand mehr so um mich gekümmert. Ich glaube auch noch nie mit so einer Liebe. Und das schon lange bevor ich annähernd erträglich war. Du hast es irgendwie geschafft meine Mauer langsam zum Bröckeln zu bringen, obwohl ich das niemals zulassen wollte. Aber du hast mir so gutgetan. Und ich bin dir wirklich dankbar für alles was du für mich getan hast. Und dass du mich niemals aufgegeben hast.
Aber ich weiß nicht was ich dir nun sagen soll. Es macht eigentlich keinen Unterschied, ob ich dir nun sage, dass ich gleich fühle oder nicht. Wer will schon einen Mann, der im Gefängnis sitzt? Es wäre dumm auf so jemanden zu warten. Ich kann dir nicht bieten, was du Wert bist zu haben.
Also nutz lieber diese 6 Monate, um mich zu vergessen.

Rob'

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