Unnötiger Crash

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Ich war dankbar, dass sonst niemand hier auf dem Platz unterwegs war. Aber selbst wenn, hätte ich eh alles ausgeblendet. Alles in mir war nur auf ihn fokussiert.

Nach einem sehr langen aber wunderschönen Moment, in dem wir uns einfach nur in den Armen hielten, lösten wir uns langsam. Seine Hand legte er an mein Gesicht, wo er sanft mit dem Daumen über meine Wange strich. Seine Augen musterten jeden meiner Gesichtszüge im Detail. So als müsste er jeden Millimeter genau abspeichern, weil er vergessen hatte wie ich aussah.
Sein Lächeln sprach tausend Worte. Und ich wusste einfach, dass es echt war. Meine Interpretation seiner Gesten bestätigten sich auch nur wenige Sekunden später:

„Es ist so schön dich wieder zu sehen.“

Er lachte.

„Nein, es ist so schön dich wieder zu haben.“,
korrigierte er sich.

Daraufhin gab er mir einen sanften Kuss auf die Stirn und drückte mich nochmal fest an sich.

Seine Worte waren wie Balsam auf meinen Wunden. Heiße Tränen sammelten sich in meinen Augen.

„Welches Abenteuer gehen wir als nächstes an?“,
fragte er verschmitzt, als er mich wieder losließ.

Da entdeckte er erst meine Tränen, woraufhin sich sofort ein sorgenvoller Blick auf seinem Gesicht ausbreitete.

„Ganz egal welches, Hauptsache wir machen es zusammen.“,
antwortete ich auf seine Frage mit einem Lächeln, doch ich konnte nicht verhindern, dass Tränen meine Wangen runter kullerten.
Behutsam wischte er sie mir weg.

„Jetzt trennt uns erstmal nichts mehr.“

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Auf dem Rückweg führte kein Weg daran vorbei bei einer Tankstelle zu halten. Ich hätte diesen Part am liebsten übersprungen, weil den strengen Geruch von Benzin, wie er einem bedrohlich in die Nase kriecht, fand ich nicht ganz so romantisch. Während aber Rob gentleman-like das Tanken übernahm, besorgte ich noch ein paar Snacks. Vielleicht fanden wir auf dem restlichen Nachhauseweg noch eine schöne Stelle zum Verweilen.
Kritisch verglich ich die Preise. Ich hasste Tankstellen. Wie kann hier eine Chipstüte mit vielleicht 15 Chips drin drei-mal so viel kosten wie in einem normalen Supermarkt? Genervt nahm ich einfach das worauf ich Lust hatte und versuchte die Preise zu ignorieren.

Auf dem Weg zur Kasse prüfte ich nochmal die Snack-Zusammenstellung in meiner Hand und fragte mich, ob das nun eine kluge Wahl war. In dem Moment wusste ich noch nicht, dass wenige Sekunden später meine Chips fast nur mehr Krümel sein würden. Diese wurden nämlich zwischen mir und noch jemand anderen zerquetscht.

„Hey, pass doch auf, wo du hinläufst.“,
regte sich dieser Jemand sofort auf.

Schmollend hielt ich die Chips Tüte hoch und schüttelte sie leicht, um meine Sorge, dass sich die 15 Chips in 100 verwandelt hatten, zu bestätigen.

„Na toll“,
grummelte ich vor mich hin.

Er wollte sich gerade bei mir vorbeidrücken, da hörte ich plötzlich meinen Namen.

„Lia?“

Bisher hatte ich dem unfreundlichen Chips-Mörder noch keine Beachtung geschenkt. Doch nun war ich wohl gezwungen Adrian direkt in die Augen zu schauen.

„Du…“,
war alles was ich in diesem Moment rausbekam.

Es klang erstaunt. Vielleicht auch ein bisschen überfordert.

Ich versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich alles andere als erfreut war ihn hier zu treffen. Es zerstörte nicht nur Rob und mein romantisches Wiedersehen. Es war auch nicht nur übertrieben ungünstig. Nein, es war das Worst-Case-Szenario. Und auch wenn man glauben mag, dass ein Worst-Case-Szenario normalerweise schon der Höhepunkt ist – nein, war es nicht. Es ging noch schlimmer. Genau in diesem Moment kam nämlich Rob durch diese Tür, wo ich doch innerlich so gehofft hatte, dass er noch etwas brauchen würde und ich ihn abwimmeln konnte ohne dass sich die zwei begegneten.

„Können wir zahlen?“

Sein freundlich fragender Blick veränderte sich auf einem Schlag in eine finstere Miene.

„Ach ist der Knacki wieder frei?“,
machte sich Adrian über Rob lustig.

Rob hatte sich an meine Seite gestellt und wir beide schauten unser idiotisches Gegenüber nur unverständig an.

„Habt ihr euch nie gefragt, wie die Polizei von deinem kleinen Versteck erfahren hat?“

Mit einem fiesen Lachen stellte er uns diese Frage mit einem ekligen Protzen als hätte er einen Preis dafür verdient.

Ich hatte mir diese Frage oft gestellt. Aber ich war nie zu dem Fazit gekommen, dass es Adrian war, der uns verraten hatte. Ich hatte die Begebenheit, als er plötzlich vor meiner Tür stand und ungebeten in meine Wohnung kam, anscheinend sehr gut verdrängt.

Ein Schnaufen riss mich aus meinen Gedanken und bemerkte erst jetzt, dass Rob auf 180 war. Seine Fäuste waren fest geballt und sein ganzer Körper war angespannt. Er bebte vor Wut.

„Na wütend? Komm schon hau mir eine rein. Dann kannst du gleich wieder zurück in deine Zelle.“,
provozierte Adrian.

Ich konnte deutlich spüren wie alles in Rob versuchte gegen diese Wut anzukämpfen. Ich glaubte fest daran, dass er sich nicht auf das Niveau dieses Idioten begeben würde.

„Was soll der Scheiss, Adrian!?“,
schoss es plötzlich aus meinem Mund.

„Ich kanns echt nicht glauben, dass du auf ihn gewartet hast. Was willst du denn von diesem armlosen Knastbruder? Willst du wirklich mit so einem Looser zusammen sein?“

Da entbrannte mir einfache alles:

„Dieser Mann hat mehr Benehmen als du! Mehr Charakter als du! Mehr Herz als du und sowas von mehr Niveau als du! Dein Charakter ist einfach so abscheulich eklig! Es ist wirklich traurig zu sehen was für ein bedauernswertes Häufchen in dir steckt. Ich hoffe deine Schuldgefühle holen dich irgendwann ein. Und jetzt beweg deinen verf***** Arsch hier raus!!!“

Ich wusste selbst nicht wo plötzlich dieser Mut herkam so etwas zu sagen. In so einer Lautstärke, in so einer Klarheit und so einer Wahrheit. Erst als er tatsächlich etwas eingeschüchtert das Tankstellenhaus verließ, wusste ich, dass es genau diese Ansage gebraucht hatte.

Sofort drehte ich mich zu Rob, der weiterhin in seiner vollsten Anspannung verharrte und noch immer dorthin starrte, wo Adrian gerade gestanden war.

Um ihm diesen Blick zu nehmen stellte ich mich vor ihm und legte meine Hand sanft auf sein Gesicht.

„Schau mich an“,
forderte ich ihn auf.

Seine Augen verfolgten nun Adrian, doch ich versuchte immer wieder seinen Kopf zu mir zu drehen.

„Schau mich an.“,
forderte ich ihn erneut liebevoll auf.

Nachdem er sich zwei, drei-mal gewährt hatte, sah er mir endlich in die Augen.

„Er ist weg.“,
versuchte ich ihn zu beruhigen.

Meine Hand wanderte in seinen Nacken, wo ich ihm wohltuend auf und ab strich.

Langsam fingen seine Muskeln an sich zu entspannen und Erleichterung breitete sich in mir aus. Ihn so voller Wut zu sehen ließ auch über mich Anspannung kommen. Immerhin wusste ich nicht, ob er seine Wut unter Kontrolle hatte. Zumindest wusste ich es nicht bis zu diesem Erlebnis. Er hatte sie unter Kontrolle und das machte mich unglaublich stolz.

„Alles in Ordnung?“,
hörte ich jemanden weiter hinten aus dem Raum verunsichert fragen.

Es war der Mann an der Kasse, der unsere Szene wohl hautnah mitverfolgt hatte. Ich wollte gar nicht wissen, was in seinem Kopf gerade abgehen musste.

Wir bezahlten und verließen etwas aufgelöst die Tankstelle.

„So hatte ich mir unseren ersten Tag nicht vorgestellt.“,
traf ich leise die Feststellung, als wir wieder auf die Hauptstraße bogen.

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