Das Angebot

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Da war er nun…

Ich hatte ihn gefunden… meine Beine hatten mich direkt zu ihm gebracht. Und wieder stellte ich mir die Frage, ob ich ihn denn wirklich finden wollte und die zweite wichtige Frage war warum.

Noch immer starrte ich in seine eiskalten Augen. Unsicher wog ich ab, ob seine Augen schlicht wegen der Kälte so kalt wirkten, oder ob er mit Absicht diese kühle abweisende Miene aufsetzte.

Weil ich wohl wie eingefroren dastand und mich nicht regte, entschied er sich seinen Blick wieder von mir abzuwenden und auf den Boden vor sich zu starren, nachdem er seinen Kopf nochmal tiefer in seine Jacke vergraben hatte.

Er schien sich heute wohl nicht danach zu fühlen in seine creepy Verfolgerrolle zu schlüpfen und alles Nötige zu unternehmen, um mich ins Wahnsinnige zu treiben.

Einen kurzen Moment kam es mir so vor, als würde er mir einen Hauch an Verletzlichkeit zeigen. Denn der Mann, den ich heute hier sitzen sah, glich nicht dem selbstbewussten Typen, der wohl auch fähig dazu wäre ohne mit der Wimper zu zucken jemanden kaltblütig zu ermorden.
Gerade wollte sich ein ganzer Kanister an Mitleid in mir ausleeren und ausbreiten, aber von dem bekam ich nur ein paar Tropfen ab, denn aus dem braven Lämmchen wurde plötzlich wieder der altbekannte Löwe.

„Wie lange willst du mich noch anstarren? Seh ich aus wie eine Schaufensterpuppe? Die Reichen gehen da drüben einkaufen.“,
meinte er mich unangenehm anzumotzen.

Leider war seine Aussage berechtigt, auch wenn man es anders formulieren hätte können, aber ich hatte ihn bisher nur blöd angestarrt und das hätte ich auch unangenehm empfunden.

„Tut mir Leid. Ich...“,
brachte ich endlich aus meinem Mund hervor und versuchte den Rest seiner Äußerung zu ignorieren, doch mein Hirn wollte mir keine sinnvollen weiteren Worte schenken.

„Bitte, Gott“,
schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel.

Der Mann vor mir machte es mir nicht leichter, indem er mich herablassend ansah, weil er sich wohl dachte, dass ich zu dämlich zum Sprechen war.

„Ich bin Lia.“,
kam plötzlich aus meinem Mund ohne darüber weiter nachgedachte zu haben und ich hielt ihm die Hand hin. Doch diese zog ich kurz danach wieder zurück, weil ich ziemlich sicher war, dass er sie nicht ergreifen würde.

„Und was interessiert mich das?“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mich fragend und immer noch herablassend an und wartete wohl drauf bis ich endlich nachgab und verschwand.

Und ehrlich gesagt, war das genau das, was ich wollte. Einfach verschwinden. Raus aus dieser unangenehmen und auch noch sowas von unnötigen Situation und zurück in meine warme Wohnung. Alles in mir wehrte sich noch länger hier zu bleiben, aber trotzdem hielt mich ein anderer sehr starker Teil davon zurück einfach zu gehen. Es war die gleiche Kraft, die mich davon abhielt das Auto zu starten und die gleiche Kraft, die meine Füße genau zu ihm steuerte.

Also schien ich hier richtig zu sein…

Nach diesem Gedanken breitete sich plötzliche Sicherheit in mir aus, die ich nun wirklich brauchte.

„Ich weiß wir hatten einen schlechten Start… Und es tut mir auch wirklich leid, dass ich dein Fahrrad zerstört habe. Und das würde ich gerne wieder gutmachen…“

Ich machte eine kurze Pause, um seine Stimmung kurz zu erspüren. Doch als auch kein blöder Spruch mehr kam und er mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen fragend ansah, fuhr ich fort.

„Ich weiß nicht, wo du dich sonst so rumtreibst… aber ich… ich würde dir gerne in dieser schrecklich kalten Nacht ein warmes Bett anbieten.“

Gespannt auf eine Reaktion, sah ich ihn ungeduldig an.

Doch es kam nix.

Er schaute mich noch immer gleich fragend an, wie kurz bevor ich ihm dieses Angebot machte.

Ich versuchte aus seinem Blick zu lesen, was er grade dachte, aber zu viele Ideen durchströmten meine Gedanken. Vielleicht würde er so etwas denken wie:
„Ist das dein Ernst?“
„Du spinnst ja!“
„Seh, ich aus wie ein Obdachloser?“
„Bist du dir sicher auf wen du dich hier einlässt?“

Da er auch keinen Anstand dazu machte, etwas zu sagen, fügte ich noch hinzu:
„Und ich würde dir die Werkstatt meines Dad‘s anbieten, um dein Fahrrad zu reparieren.“

Nun kam seine Reaktion um einiges schneller als gedacht, denn sein plötzliches Auflachen, ließ mich erstmal innerlich zurückschrecken.
Ernst beobachtete ich ihn, bis sein Lachen schließlich in der Stille der Nacht verstummte. Darauf folgte ein weiterer ungläubiger Blick.

„Das scheint tatsächlich dein Ernst zu sein.“, belächelte er mich.

Weiterhin unter ernstem Blick bestätigte ich seine Bemerkung mit einem sicheren „Ja!?“

Sein spottendes Gesicht änderte sich mühsam zu einem sachlichen Blick. Endlich schien er ernsthaft über mein Angebot nachzudenken. Doch ich merkte schnell, dass hinter seinem Grübeln sehr viel Skepsis verborgen war.

„Warum?“

„Was warum?“

Ungläubig schüttelte er den Kopf, als könnte er nicht fassen, was hier gerade passiert.

„So wie ich dich die letzten Begegnungen gefoltert habe, wärst du wohl die aller Letzte auf die ich getippt hätte, die mit solch einer schwachsinnigen Idee kommt.“

„Hallllloooo!!! Erde an Lia!!! Sogar dein Verfolger hier vor dir findet das eine schwachsinnige Idee!!! Sogar Der ist der Meinung, dass das vorne und hinten keinen Sinn ergibt!“

Ja sie hatten Recht, aber trotzdem war in mir diese unglaubliche Sicherheit und ein übernatürlicher Frieden, dass das was ich hier tat, das Richtige war.

„Wolltest du die Nacht hier drin verbringen? In der Hoffnung, dass der eisige Wind dich in dem Häuschen nicht zu sehr peinigt?“,
gab ich plötzlich unglaublich mutige Worte von mir, die mich selbst überraschten.

Betroffen wanderten seine Augen auf den Boden.

„Wo ist der Haken?“,
fragte er mit zusammengepressten Lippen.

Langsam wurde ich ungeduldig, weil Ich wollte ja nicht unbedingt, dass ein fremder obdachloser Mann in meiner Wohnung schläft… Es war ein Angebot für IHN, damit IHM etwas Gutes getan wurde, nicht mir.

„Es gibt keinen Haken.“,
sagte ich mit verständnisvoll freundlicher Stimme.

„Du spinnst!“

„Hja, das glaub ich auch.“,
gab ich zu und ein ehrliches Lachen entwich seinem Mund, was er aber gleich wieder mit einer verärgerten Miene überspielen versuchte.

„Solltest du nicht Angst vor mir haben?“

Da war er nun wieder… Der Blick und der Tonfall, den er bei unseren schrecklichen Begegnungen hatte. Doch das erstaunliche war… es regte sich in mir nichts. Keine Angst wie damals. Keine halben Herzinfarkte, kein Erstarren. Sondern immer mehr Frieden und Sicherheit breitete sich in mir aus.

„Ich werde dich nicht überreden. Es liegt an dir, ob du dieses Angebot annehmen willst, oder nicht.“

Mit diesem Satz, schloss ich diese Diskussion endlich ab und gab ihm eine letzte Chance. Würde er nun wieder nicht darauf eingehen, hat er schlicht und einfach Pech gehabt.
Mit nachdrücklichem Ausdruck, wartete ich auf seine Entscheidung.

Ich weiß nicht wieviel Zeit verging, aber es waren mindesten einige Minuten. Es schien sehr viel in seinem Kopf abzugehen, denn er sah so aus, als würde er dieses Angebot bis in die Tiefe abwägen, um ja keine falsche Entscheidung zu treffen.

Ich ließ ihm den Freiraum.
Doch ich merkte wie nun auch mir die Kälte die Beine hochkletterte und ich mich immer mehr nach meiner beheizten Wohnung sehnte.

Doch endlich…

Zaghaft stand er auf und sah mich unsicher an, bis schließlich ein minimales Nicken seinerseits zu erkennen war.

So machte ich also kehrt und steuerte auf mein Auto zu… gefolgt von IHM.

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