Real?!

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‚Hallo Lia‘

Diesmal setzte er wenigstens ein ‚Hallo‘ vor das Lia.

‚Dein Erscheinen war wirklich sehr überraschend. Ich wusste erst nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern sollte. Ich dachte in meinem letzten Brief recht klar gewesen zu sein.‘

Ich hielt kurz inne, um diese harten Worte zu verarbeiten.

‚Daher finde ich es umso bemerkenswerter, dass du immer noch nicht aufgegeben hast. Du fragst dich vermutlich, was in mir vor sich ging.‘

JAAAAAA!!! Und wie!

‚Ich muss recht kalt und verschlossen auf dich gewirkt haben. Das tut mir leid. Aus Sicherheitsgründen wäre es einfach unklug gewesen jegliche Emotionen zu zeigen.
Nun habe ich wirklich viel nachgedacht. Ich muss zugeben: Es war schön dich zu sehen. Es hat meinen eintönigen tristen Alltag aufgehellt. Und ich bin absolut sprachlos, dass sich meine Zeit hier ganz plötzlich von sechs auf vier Monaten reduziert hat. Ich weiß nicht wie ich das alles verdient habe. Leute, die mich kaum kennen oder nicht mal ausstehen können, bezahlen meine Geldstrafen und eine wundervolle Frau scheint um mich zu kämpfen, obwohl sie tausend Gründe hätte sich von mir fern zu halten. Ich schulde dir noch eine Antwort, wie ich die Zeit mit dir empfunden habe. Du lagst richtig, wie du meine Gefühle wahrgenommen hast. Alles was ich sagte oder machte war echt und ehrlich gemeint. Noch nie hatte eine Frau geschafft so tiefen Zugang zu mir zu bekommen. Bisher begann ich immer zuzumachen, wenn Gefühle ins Spiel kamen. Aber bei dir ist irgendwie alles anders. Ich habe lange dagegen angekämpft, weil mir klar war, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis wir auseinandergerissen werden würden.  Aber du hast mich irgendwie verzaubert. Ich hab den Eindruck ich kann bei dir einfach sein wer ich wirklich bin.  Und das selbst noch, wenn ich im Gefängnis sitze. Das tat einfach so gut, nach dieser miesen Zeit, als mein Lable mich komplett verbiegen wollte.
Ich fand es fast schon unmenschlich, dass du in deinem letzten Brief geschrieben hast, dass du bereit bist auf mich zu warten. Ich wollte nicht, dass du das für mich tust. Ich fühlte mich wie ein Looser. Nachdem du aber hier warst, fing ich an zu glauben, dass ich für dich anscheinend kein Looser war. Die Wartezeit hat sich nun ja glücklicher Weise verkürzt. Wenn du immer noch bereit bist auf mich zu warten, dann möchte ich anfangen meine Tage hier zu zählen und mit Vorfreude auf das Ziel schauen dich bald wiedersehen zu können.
Dein Rob‘

Immer mehr Tränen haben sich beim Lesen dieser Zeilen in meinen Augen gesammelt. Teilweise musste ich eine Pause einlegen, um meine verschwommene Sicht wieder klar werden zu lassen.
Diese Worte gingen tief.
Ganz ganz tief in mein Herz.
Ich las sie immer und immer wieder. Und jedes einzige Mal bereitete es mir eine Gänsehaut. Jeder einzelne Satz tat meinem Herzen einfach so unfassbar gut.

War dieser Brief wirklich von dem Rob, den ich kannte? Die zwei Briefe, die ich nun von ihm hatte, konnten nicht konträrer sein. Der eiskalte Rob, der seine Gefühle runterschluckte und alles Lebendige von sich wegstößt und hier nun ein Rob, der eine unglaublich weiche und sensible Seite hat. Der auf eine unfassbar romantische Art und Weise seine ehrlichen Gefühle niederschreiben kann.

Ich bemerkte, dass mein Herz noch immer richtig schnell schlug und spätestens jetzt wusste ich, dass ich total in ihn verliebt war.
Das Gefühl ist unbeschreiblich, zu wissen, dass Liebe auf Gegenliebe trifft. Mein Durchhalten hatte sich tatsächlich gelohnt. Es war es Wert weiterhin für ihn zu kämpfen, obwohl er mir sehr deutlich gemacht hatte dies nicht zu tun.

Mit diesem Wissen den Tag unseres Widersehens herbeizusehnen schien nun etwas erträglicher zu sein. Ich würde die Tage zählen…

Und das tat ich tatsächlich.
Ich bastelte mir sogar einen Kalender aus echtem Papier, sodass ich jeden Tag einen Tag abreisen konnte. Ich wollte nicht einfach digital einen Countdown erstellen. Das fühlte sich nicht so echt an, als das befriedigende Gefühl einen Tag abzureißen, Gott dafür zu danken, dass es nur noch 91 von 92 Tagen waren, um dann voller Vorfreude das Blatt Papier zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu werfen.
Herrlich!
Ich liebte es mit diesem Ritual jeden Tag, der weniger wurde, zu feiern.

So kann Warten plötzlich ganz leicht werden.

3 Monate später
Von einem Fuß auf den anderen tapsend blickte ich nervös die Wände, des vor mir erhebenden Gebäudes, hoch. Hinter dieser dicken Mauer war Rob. Und jeden Moment würde er durch diese Türe marschieren.

Nun war es endlich so weit. Der Tag war nun da, den ich mir so sehnlichst herbeigewünscht hatte.

Gleichzeitig wünschte ich mir aber, dass dieser Tag noch nicht heute sein würde.
War ich schon bereit für diesen Moment?
Ich kannte mich schon so gut, dass ich wusste, dass ich oft herausfordernde Situationen umgehen wollte. Ich schob sie auf oder rannte vor ihnen weg. Auch wenn das Widersehen etwas Schönes war, auf das ich mich ja seit Ewigkeiten gefreut hatte. Es war eine Situation, die mich unsicher machte und deshalb gehörte sie zu den herausfordernden Situationen, aus denen ich am liebsten verschwinden würde. Ich freute mich keine Frage, aber gleichzeitig hatte ich furchtbare Angst.
Was, wenn das Wiedersehen nicht so schön wird, wie in meinen Vorstellungen?
Was, wenn es richtig komisch wird, weil wir nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen, weil man sich solange nicht gesehen hat?
Was, wenn wir uns beide verändert hatten und wir mit der Zeit merken, dass wir gar nicht mehr zusammen passen?
Die ganze Fahrt hierher drehten sich meine Gedanken um diese ängstlichen Fragen.
Ich weiß zwar im Kopf, dass es nicht gut ist sich um diese Sorgen zu drehen, weil es das nur schlimmer macht. Aber diese Sorgen waren so groß und mächtig. Ich konnte mich nicht von ihnen losreißen.

Aber jeden Moment würden mir ganz andere Gedanken durch den Kopf gehen. Ich würde nur noch Augen für ihn haben. Und jede Faser meines Körpers würde seine Umarmung genießen. Und so war es auch.

Als er durch die Tür kam und mich entdeckte, blieb er erstmal stehen. Von weitem schaute er mich an.

Einen Moment und noch einen Moment.

Es fühlte sich für mich viel zu lange an. Ich wollte auf ihn zu rennen, ihm um den Hals fallen.
Aber ich hatte das Gefühl als solle ich vorsichtig sein und ihm Zeit geben.

Auch wenn alles in mir danach schrie ihm entgegen zu laufen. Es war wirklich hart dagegen anzukämpfen, aber ich hielt durch.

Nach einem dritten viel zu langen Moment, setzte er endlich weitere Schritte voreinander.
Aber es waren langsame Schritte.
Seeeeehr langsame Schritte.
Es war als würde er sich versuchen anzutasten und auf das, was jetzt kommt, vorzubereiten.

Ich gab ihm die Zeit, die er brauchte. Zumindest versuchte ich es.

Als er nur noch zwei Meter von mir entfernt war hielt ich es nicht mehr länger aus. Ich kam ihn die letzten Schritte entgegen und war bereit ihn in meine Arme zu schließen.

Aber ich stoppte abrupt.
So nah, sodass ich gerade noch so in seine Augen schauen konnte.

Im Vergleich zu unserer letzten Begegnung konnte ich so viel in seinen Augen erkennen.
Freude, Erleichterung, Befreiung und… tiefe Sehnsucht.

Zaghaft hob ich meinen Arm. Ich wollte seinen Oberarm berühren, doch zuckte nochmal zurück.
Ich versuchte meinen Wunsch nach einer Umarmung zu signalisieren. Doch wenn er das nicht wollte, würde ich es akzeptieren. Zumindest würde ich es versuchen auszuhalten ohne dabei zu krepieren.

Noch immer sahen wir uns tief in die Augen.
Ich konnte meinen schnellen Herzschlag spüren, der höchst wahrscheinlich nicht nur für mich hörbar war.
Einen kurzen Moment dachte ich in seinen Augen wahrgenommen zu haben, dass es keine Umarmung geben wird, doch dann zog er mich plötzlich an seine Brust.
Fest umschloss er mich mit seinen Armen, die in der Zeit noch stärker geworden waren.
Ich spürte seinen tiefen Atem. So als würde er versuchen dieses Moment und dieses Gefühl in sich aufzusaugen.
Ich tat es auf jeden Fall. Es war ein unglaublich schöner Moment. Endlich hielt ich den Mann, auf den ich so lange gewartete hatte, wieder in meinen Armen. Und das ohne Angst, dass er mir bald wieder genommen werden würde. Er war frei. Wir waren frei. Und dieses befreiende Gefühl tat so so gut.

Ich war dankbar, dass er das gleiche Bedürfnis hatte wie ich, was die länge der Umarmung anging. Sie war nämlich lang. Sehr lang.

Wir umarmten uns einfach nur.

Ohne etwas zu sagen.
Unser Atem und die feste Umarmung kommunizierten für uns erstmal ausreichend.

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