Jahr 1: Kapitel 6 - Alchemie

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Die ersten Schulwochen waren für Amina gewöhnungsbedürftig. Sie versuchte sich so gut es ging von den Gedanken und Gefühlen aller um sie herum fernzuhalten, den Unterricht interessant und lehrreich zu gestalten und sowohl dem Schulleiter als auch dem Tränkemeister aus dem Weg zu gehen. Diese hatten seit der großen Feier offensichtlich ein reges Interesse an ihr und schienen sie überall hinzuverfolgen. Zudem plagten sie ständige Kopfschmerzen wegen der ungewohnten Anzahl an flüchtigen Gedanken und Gefühlen, die sie aufschnappte. Ihr Plan, herauszufinden, ob der Schulleiter ihr Urgroßvater war, ging mit diesen Gegebenheiten in jedem Fall nicht auf.

Gerade korrigierte sie im Lehrkräftezimmer Aufsätze, als Minerva sich neben sie stellte. „Amina, Sie scheinen in Gedanken zu sein, was beschäftigt Sie?", fragte die Ältere sie. Tatsächlich starrte sie seit fünf Minuten auf dieselbe Stelle eines schlechten Aufsatzes.

„Ich verstehe nicht, wie jemand sich so wenig merken kann, dass selbst das, was wir im Unterricht besprochen haben, nicht mal ansatzweise richtig ist.", sagte sie und zeigte auf den vor ihr schwebenden Aufsatz, welcher mehr rote als schwarze Tinte zu haben schien. Schmunzelnd sah sich die Verwandlungslehrerin den Aufsatz an. „Darüber sollten Sie sich nicht den Kopf zerbrechen. Es wird immer Lernende geben, welche ein verdientes Troll bekommen. Sie scheinen eine gute Lehrerin zu sein. Zumindest war bis jetzt noch keiner meiner Lernenden bei mir, um sich zu beschweren."

Die strenge Frau hatte eine ungewöhnliche Art der Aufmunterung, doch es half ihr, sich nicht für gänzlich unfähig zu halten. „Das ist in der Tat positiv. Ich denke, ich werde mich mal mit dieser Schülerin unterhalten.", überlegte sie laut und fing wieder an, den Aufsatz zu korrigieren. „Tun Sie das.", bestätigte Minerva sie und ließ sie mit ihrer Arbeit allein.

Im Lehrkräftezimmer war es angenehm ruhig. Bis auf Minerva war nur Aurora anwesend, welche ebenfalls Aufsätze zu korrigieren schien. Nachdem Amina schwungvoll ein T unter den Aufsatz geschrieben hatte, holte sie sich eine Tasse Tee und sah auf ihre Taschenuhr.

Ihre Freistunde endete bald. Als Nächstes hatte sie die Siebtklässler in Alchemie. Sie packte die Aufsätze zusammen und ließ sie in einer ihrer Hosentaschen verschwinden, dann verließ sie mit einem kurzen Nicken in Richtung Minerva das Lehrkräftezimmer.

Diese Klasse hatte es besonders schwer, da sie, wie die Sechstklässler, dieses Jahr zum ersten Mal Alchemie hatten. Im vorherigen Jahr hatte es keine Lehrkraft für das Fach gegeben. Das bedeutete jedoch, dass sie mit ihnen den Schulstoff von zwei Jahren bearbeiten musste, damit die Lernenden eine ordentliche Prüfung ablegen konnten. Bis jetzt lag sie noch in ihrem Zeitplan.

Sie machte sich auf den Weg in die Kerkerräume, lies es sich jedoch nicht nehmen, ab und zu an einem der Gemälde zu halten und ein kurzes Gespräch dessen Bewohnenden zu führen. Sie war im Allgemeinen keine sonderlich gesprächige Person, doch mochte sie viele der Personen in den Gemälden und hörte konnte ihnen stundenlang zuhören.

Als sie nach einiger Zeit im Klassenzimmer ankam, saßen die sieben Lernenden, die ihre Alchemie-Klasse im Abschlussjahr bildeten, schon da. „Guten Tag zusammen, wir werden gleich mit einem Experiment beginnen.", begrüßte sie die Klasse, während sie mit schnellen Schritten an ihnen vorbei auf das Lehrerpult zulief. Dort drehte sie sich um. „Sie werden heute versuchen, aus einem Stück Eisen Bronze zu machen. Die entsprechenden Anweisungen lesen Sie von der Tafel ab. Seien Sie vorsichtig bei dem Experiment nicht, dass uns das Klassenzimmer um die Ohren fliegt. Die Materialien finden Sie im Schrank.", erklärte sie ihrer Klasse und ließ mit Hilfe ihres Zauberstabs den Experimentablauf an der Tafel erscheinen.

„Sie werden eigenständig, während Sie das Experiment durchführen, ein entsprechendes Protokoll anfertigen." Sie konnte fühlen, wie sich die Stimmung ihrer Klasse senkte, doch es war ihr egal. „Um Alchemie zu verstehen, können Sie nicht einfach stumpfsinnig von einer Tafel ablesen und hoffen, dass sie etwas lernen. Sie müssen lernen mitzudenken. Stellen sie sich darauf ein, dass die Anweisungen an der Tafel nach den Weihnachtsferien Fehler enthalten werden, welche sie erkennen und lösen müssen." Und wieder sank die Stimmung im Klassenzimmer, doch keiner widersprach ihr.

Die Alchemistin - Bis in den TodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt