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Nachdenklich aß ich mein Müsli während ich versuchte mein gestriges Verhalten nachzuvollziehen. Ich denke, ich muss einfach akzeptieren, dass es passiert ist, auch wenn ich es nicht verstehen kann. „Du erinnerst dich noch an die Spritzen gestern Abend, oder?", hakte Cole nach, was ich mit einem Nicken beantwortete. „Es tut uns leid, dass wir dich festgehalten haben, aber es gab keine andere Möglichkeit. Du hast die Medikamente gebraucht und es führte kein Weg daran vorbei", sagte mein Bruder. „Ich weiß. Ich erinnere mich, dass ihr mit Tabletten geben wolltet, aber ich sie nicht nehmen wollte", antwortete ich nachdenklich. Meine Brüder haben mir einmal versprochen, dass sie mich nie festhalten würden, wenn ich Angst vor Spritzen habe, es sei denn, es gab keinen anderen Weg. Ich wusste, dass sie das gestern nicht gemacht hatten, weil sie das wollten, sondern weil es sie es mussten. Auch wenn sie mir damit echt Angst gemacht hatten, konnte ich sie verstehen und ich war ihnen irgendwie dankbar, dass sie es gemacht haben. Ich glaube, ohne die Beruhigungsmittel wäre ich dort nicht mehr rausgekommen. „Dir geht es wirklich ganz gut, oder?", sagte Jake feststellend, während er mich musterte. Ich nickte. Jake stand auf und setzte sich auf den Stuhl neben mich. Er nahm mein Handgelenk und fühlte meinen Puls, während er in meine Augen sah. „Hast du das Gefühl, dass etwas neben dir stehst oder fühlst du dich, als wärst du zu 100 % im Hier und Jetzt?", fragte er ohne seinen Blick von mir abzuwenden. „Ich weiß es nicht. Es ist, als ob ich nicht zu 100 % hier bin. Mir geht es gut, aber es fühlt sich so an, als würde etwas in mir unterdrückt und ich nicht so wirklich ich bin" versuchte ich zu erklären. „Das sind die Psychopharmaka. Sie beeinflussen deine Gefühle und dein Bewusstsein. Sie unterdrücken deine wahren Gefühle und halten dich ruhig. Das wird aber im Laufe des Tages nachlassen", Jake hörte sich nicht sehr begeistert an. „Ist das schlecht?", fragte ich unsicher. „Es ist gut, dass deine wahren Gefühle wieder herauskommen, erst dann kannst du beginnen, das zu verarbeiten. Die Psychopharmaka, die ich dir gegeben habe, haben allerdings einen großen Nachteil. Je länger und je extremer sie wirken, desto ausgeprägter wird die Niedergeschlagenheit danach", erklärte mir mein großer Bruder. „Also wird es mir später schlecht gehen?", hakte ich nach, was Jake mit einem nicken Beantwortete. „Ich will nicht, dass es schlecht wird, es soll so bleiben wie gerade", nuschelte ich. „Es muss dir schlecht gehen, damit zu beginnen kannst, das alles zu verarbeiten, das gehört leider dazu. Aber wir helfen wir. Cole und ich haben beide den ganzen Tag frei und bleiben hier bei dir. Die Jungs sind in der Schule und haben danach Training, also werden sie auch nicht allzu früh nach Hause kommen", erwiderte Jake. Etwas traurig sah ich ihn an. Ich will einfach, dass alles so bleibt, wie es gerade ist. So kann ich versuchen zu verstehen, was passiert ist, ohne wieder daran kaputtzugehen. Ich möchte nicht wieder in so ein Loch fallen. „Du bleibst heute bei uns in der Nähe, okay? Wir wollen nicht, dass du dich in deinem Zimmer verkriechst", sagte Cole nach einigen Sekunden. Wenn meine Brüder möchten, dass ich bei ihnen bleibe, erwarten sie dann, dass ich wieder zusammen breche? Ich will das nicht. Dann soll Jake mir lieber noch einmal Beruhigungsmittel geben, aber ich möchte nicht wieder das fühlen, was ich gestern gefühlt habe. „Erwartet ihr, dass ich wieder zusammen breche?", fragte ich vorsichtig nach. Es war komisch, so über mich zu reden. Es war als hätte ich zwei Persönlichkeiten, wobei das im Moment ja auch irgendwie zutrifft. „Wir erwarten nicht, dass du zusammen brichst, aber wir gehen davon aus, dass dich das alles ziemlich mitnehmen wird" korrigierte mich Jake. „Kannst du mir nicht einfach nochmal Beruhigungsmittel geben, dass ich so bleibe wie ich gerade bin", versuchte ich all dem aus dem Weg zu gehen, aber Jake erwiderte sofort „nein, definitiv nicht. Du unterschätzt das. Psychopharmaka sind sehr starke Beruhigungsmittel, die hohen Auswirkungen auf dich, deine Persönlichkeit und deinen Verstand haben. Sie machen sehr schnell abhängig und auf jede Hochphase kommt das Tief. Damit ist nicht zu spaßen, vor allem nicht in deinem Alter". Etwas enttäuscht sah ich auf den Tisch. Ich konnte Jake verstehen, aber ich wollte mich nicht meinen Gefühlen und der Realität stellen. Ich war nicht bereit dazu.

Erschöpft legte ich meinen Kopf gegen Alex Brust und starrte weiter Löcher in die Luft. Ich fühlte mich total leer, aber war gleichzeitig voller Emotionen. Ich wusste nicht, was ich über alles denken sollte. Linus, Chapter und die vermissten Mädchen, es war alles so viel. Ich fühlte mich total verloren. "Sollen wir deine Netflix Serie weiter schauen?", fragte mein großer Bruder, während er mir sanft über meinen Rücken strich. Ich schüttelte leicht den Kopf. Ich wollte nichts anschauen, ich wollte einfach nur, dass diese Traurigkeit verschwindet. Ich fühlte mich, als würde ich einen riesigen Rucksack voller Dinge auf mir tragen, die mich belasten und mir jegliche Lebensfreude nehmen. Jake meinte, dass die Medikamente, die er mir gestern gegeben hatte, Nebenwirkung hatten, dass ich mich gerade in einem depressiven Loch befand. Es fühlte sich allerdings nicht nur wie ein Loch an. Alles war so schwer, so traurig und dunkel um mich herum. Ich fühlte mich so alleine, obwohl ich es nicht war. Alex kümmerte sich schon den ganzen Tag um mich und schien kein bisschen genervt mir und das, obwohl ich schon die ganze Zeit an ihm klammerte. Ich wollte es nicht, aber ich kam nicht dagegen an. Ich wusste nicht mehr, was ich denken oder machen sollte. Ich war so leer und so überfordert. Es war, als ob alles gegen mich war und ich die Last der ganzen Welt auf mir tragen musste. Es fühlte sich so an, als würde ich nicht mehr aus diesem Loch heraus kommen und für immer in dieser tiefen, schwarzen Dunkelheit gefangen zu sein. "Ich weiß, dass es schwer ist, mein Schatz", sagte Alex leise, bevor er mir einen Kuss auf meinen Haaransatz gab. Nein, das weiß er nicht. Ich war alleine in meinem schwarzen, tiefen Loch. Es fühlte sich an, als würde mich gerade alles erdrücken und als könnte ich dem Druck und der Last nicht mehr Stand halten...

Big Brothers 7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt