Kapitel 08 - Das Wiedersehen (2)

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Kapitel 08 – Das Wiedersehen (2)

– Paul –

La Push, September 2009

Was in den letzten Tagen meines Lebens passiert war, überstieg jegliche Vorstellungskraft. Einige Fragen hatten sich mir erschlossen, doch gleichzeitig hatten sich noch viel mehr aufgeworfen.
Das, was ich zunächst für den Kater meines Lebens gehalten hatte und mir geschworen hatte, niemals wieder Alkohol anzurühren, sollte schließlich doch die bedeutendste Wendung meines Lebens bedeuten.

Meine Kopfschmerzen und Aggressionen hatten am Samstagabend ihren Höhepunkt erreicht und kaum hatte ich mich entschlossen, all dem nachzugeben und freien Lauf zu lassen, wurde ich in eine Welt katapultiert, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen hätte können.

Scheinbar hatte ich La Push all die Jahre unterschätzt und unser Stamm hatte mehr zu bieten, als ich je erwartet hätte.
Sam hatte sich bemüht, mir alles plausibel zu erklären - allerdings erklärte sich die Existenz von Gestaltwandlern schwer, ohne vollkommen irre zu klingen.

Fünf Tage hatte ich diese Sache nun sacken lassen, hatte unzählige Male die Beherrschung verloren und inzwischen glaubte ich, dass ich bloß zu müde und geschwächt war, um schon wieder in Rage zu geraten und mich auf riesigen Pfoten wiederzufinden.

Das einzig Positive daran war, dass ich mir nicht länger die Frage stellen musste, was in meine ehemaligen Freunde gefahren war. In ihnen war lediglich der Wolf erwacht, sie gingen bloß ihrer Pflicht, ihre Intuition nach – und Sam Uley war gar kein übler Kerl.

Seit meiner ersten Verwandlung traute mir Sam heute zum ersten Mal zu, mich frei im Reservat zu bewegen. Zumindest glaubte er daran, dass ich es auf die Reihe bekommen würde, ohne Aufsehen zu erregen von meinem Zuhause bis zu den Klippen am Rande des First Beach laufen zu können.

Gerade durchwühlte ich noch die spärlich gefüllten Schränke meines Zimmers, auf der Suche nach einem heilen T-Shirt. Während der letzten Tage war die Anzahl meiner Klamotten drastisch gesunken, was ich nicht zuletzt meinem kochenden Gemüt und dem unzähmbaren Wolf in mir zu verdanken hatte.

Endlich erspähte ich das schwarze Shirt, das ich Freitagnacht in Port Angeles getragen und anschließend achtlos in die Ecke gepfeffert hatte. Frisch war es zwar sicherlich nicht, doch es war besser als nichts.
Auch wenn sich mein Körper glühend heiß anfühlte, war mir nicht wohl beim Gedanken, nun oben ohne durch das Reservat zu laufen – selbst wenn es die anderen meist taten und sich auch mein neuer Körper definitiv sehen lassen konnte.  

„Himmel, Lahote, wird das heute noch was? Die Anderen sind längst über alle Berge!", drang Embrys nervtötende, drängelnde Stimme zu mir nach drinnen.
Stöhnend fischte ich das Shirt vom Fußboden und spürte, wie sich mein Puls sofort wieder erhöhte. Ja, leicht reizbar war ich nach wie vor.

„Ich schwöre dir, ein falsches Wort", entgegnete ich drohend und prüfte das schwarze T-Shirt flüchtig auf Flecken, als sich das Nachbeben meines neuen Daseins wieder meldete.
Meine Gliedmaßen hatten sich immer noch nicht an ihre neue Funktion gewöhnt und ließen mich das auch bei jeder Gelegenheit spüren.
„Mein kompletter Körper schmerzt, jede einzelne, verfluchte Faser!"

„Reiß' dich zusammen, da mussten wir alle du-", versuchte mich Embry soeben abzuspeisen und meine Schmerzen herunterzuspielen, doch ich schenkte ich bereits kaum mehr Beachtung.
Stattdessen versetzte mir der unangenehme, schrille Ton meines Handys ein ungeheures Stechen im Kopf. Auch an das empfindliche Wolfsgehör musste ich mich zunächst noch gewöhnen.

„Oder lass dir einfach Zeit! Jetzt sind sie eh schon weg, also keine Eile!", hörte ich im Hintergrund weiterhin Embrys Stimme, während ich noch das ohrenbetäubende Geräusch ortete.
Endlich hatte ich mein Handy zwischen den Bettlaken ertastet und warf einen flüchtigen Blick auf das Display.
Annie.

Lahote || Twilight / WerwolfOn viuen les histories. Descobreix ara